Meine Außenseiter-Linie zog ich durch bis zum Ende der Schulzeit.
Falsch - eigentlich bis heute!
Ich bin damals gehänselt, verspottet und gedemütigt worden. Im Vergleich zu dem, was wohl heutzutage an Schulen vorgeht, war das damals –rückblickend
gesehen- allerdings gar nichts.
Ich – über mich
Ich war schon immer der missratene Sohn. Für Onkel und Tante, für die Nachbarn, und still und leise –ohne dass sie es je so ausdrückte- auch für meine Mutter.
Sie hätte sich einen anderen Sohn gewünscht. Einen der so ist wie zum Beispiel Hans-Jürjens, wie man das in Krefeld am Niederrhein ausspricht, der Sohn einer
befreundeten Nachbarin. Leider war gerade der für mich immer genau das, was aus mir nicht werden sollte. Ich war immer schon ein Opportunist, einer der immer das Gegenteil wollte, egal, worum es ging.
Ich grüble viel und überlege, warum ich so geworden bin, wie ich bin. Von meinen Eltern habe ich das nicht. Meine Mutter war eine liebe, artige Hausfrau und
gute Mutter. Mein Vater ein hoher Polizeibeamter, genau wie mein Onkel, mein Opa war in der Heimat, in Rügenwalde in Pommern, damals vor dem Krieg,
irgendwie im Stadtrat.
Da muss aus dem Jungen doch was ordentliches werden!
Ich war so im Mittel-Alter, damals in unserer Siedlung. Mit den älteren Kindern wollte ich nicht spielen, weil ich mir nichts sagen lassen wollte. Die Gleichaltrigen
wollten nicht mit mir spielen. Vielleicht, weil ich Fußballspielen nicht leiden konnte. Es waren auch nicht so sehr viele Gleichaltrige. Also spielte ich mit Jüngeren.
Da war ich der Älteste, konnte den Ton angeben, wurde immer um Hilfe und Rat gefragt. Daher rührt wahrscheinlich meine Mentalität, allem auf den Grund
gehen zu wollen.
Vielleicht hätte ich lieber Detektiv, Schnüffler, werden sollen.
Denn wenn ich nicht blöd da stehen wollte, vor den Jüngeren, dann musste ich Antworten haben auf ihre Fragen. Und so habe ich mich eigentlich immer schon
für alles und jedes interessiert. Was ich nicht wusste, habe ich meine Eltern gefragt. Die wussten alles.
Eltern wissen immer alles. Sie sind ja auch schon groß.
In der Pubertät entdeckte ich meine technischen Fertigkeiten und eine große Liebe zu Motorrädern. Mit reichlich Fantasie von der Natur ausgestattet, aber leider
nicht mit einem Motorrad, machte ich kurzerhand meine Fahrräder zu heißen Feuerstühlen.
Eine Windschutz-Scheibe von einem Polizeimotorrad, die mein Vater selig irgendwann einmal mitbrachte, musste daran, ein Halogen-Fernscheinwerfer von
unserem alten Audi 80, den ich im Keller fand, Kunststoff-Packtaschen, die eigentlich Mofa-Zubehör waren und ähnliches mehr, Hauptsache auffällig.
Das ich geltungssüchtig bin, war mir damals noch nicht bewusst.
Jedenfalls habe ich dadurch Schrauben gelernt und mir früh schon einen gewissen Sachverstand, was Technik anbetrifft, zugelegt. Bei meinen Autos später setzte
sich das ähnlich fort. Von meinem Vater, der starb, als ich vierzehn war, hatte ich Geld geerbt, das meine Mutter bis zu meinem achtzehnten Geburtstag mit
Beschlag belegte. Besser so, wie ich heute einsehe.
Zur bestandenen Führerscheinprüfung bekam ich dafür einen grün-metallic-farbenen Alfasud, aus erster Hand, sechseinhalbtausend Mark. Ich war der König
der Siedlung, und König zu sein war geil, auch wenn ich das damals, mit gerade mal 18 noch nicht so ausgedrückt hätte. Weil cool war ich damals nicht.
Das war man in der Zeit, Anfang der Achtziger, auch noch nicht.
Bis ich so ungefähr sechsundzwanzig war, hatte ich dreißig Autos durch, darunter mehrere Ami-Schlitten aus den Siebzigern, gekauft während meiner Lehrzeit,
wo man immer viel Geld zur Verfügung hat für solche kostenintensiven Hobbies. Die hatte ich meistens für zwei oder drei Wochen, jedes Mal für dreißig Mark
tanken und hoffen, dass die Kiste nie kaputt geht.
Die meisten Autos habe ich dank übertrieben entwickeltem Geschäftssinn für viel zu teures Geld gekauft und mit Verlust wieder verkauft.
Auch diese sichere Hand in Gelddingen setzt sich bis heute fort. Zusammenfassend denke ich, wenn ich Eltern mit pubertierenden Kindern in Markenklamotten
an der Hand sehe - wehret bloß rechtzeitig den Anfängen!
Ich schaffte die Realschule phasenweise sogar recht gut, am Ende nur noch mit Mühen. Meine erste Bewerbung und die Fürsprache eines einflussreichen
Nachbarn hatten bereits Erfolg bei meinen darauf folgenden Bewerbungen um eine Lehrstelle.
Ich machte meine Lehre als Speditionskaufmann.
"Lern was, dann haste was!" sagte Mama immer.
Und: "Geh ins Büro, da sitzt Du warm und trocken, hast pünktlich Feierabend und keine schmutzigen Hände."
Solche Weisheiten begleiteten meine Jugend, das kennt wohl manch anderer auch. "Wenn Du eine Lehre hast, hast Du immer was sicheres im Leben.
Danach kannst Du tun und lassen, was Du willst, wenn es nicht klappt, hast Du immer noch Deinen Ausbildungsberuf, in den Du zurückkannst."
Pustekuchen!
Biste heutzutage drei Monate aus dem Job, nimmt dich keiner mehr. Und nach drei Jahren kannste den Lehrbrief wegschmeißen! Aber das wusste meine
Mutter damals noch nicht. Sonst hätte sie es nicht so gesagt. Denn sie wollte immer nur mein Bestes.
Leider habe ich mein Bestes bis heute nicht gefunden. Im Moment, mit gerade mal sechsunddreißig, versuche ich zum x-ten Male, es zu finden. Und heute
weiß ich am wenigsten, wo ich es noch suchen soll. Weil ich mittlerweile fast schon alles abgegrast habe. Auf der Suche nach dem Besten.
Meine Geltungssucht, die ich lange erhalten habe, hat mir dabei allerdings auch geholfen. Denn ich bin auf nette, unaufdringliche Weise geltungsbedürftig.
Nicht mehr, wie früher, mit übertriebenem Firlefanz sondern mit schlichter Eleganz, die erst auf den zweiten Blick auffällt.
Das anthrazitfarbene fünfsechsziger Nutten - Coupe, die Zuhälter-Breitling achtzehnvierundachtzig, die ich von Chico kaufte. Irgendwann mal im Laden
kam er mit dem Ding rein und bot sie zum Verkauf an, weiß der Teufel, wie der arme vormalige Besitzer aussah, nachdem Chico ihm die Uhr abgenommen hatte.
Jede Menge Silberschmuck an Armen, Hals und Fingern, der sieht gut aus, fällt auf gebräunter Haut schön auf, ist echt und dabei nicht einmal teuer!
Was willste mehr? Immer etwas extravagante Kleidung, auch nicht einmal teuer, muss nur auffällig sein, sich von der Masse abheben. Darauf kommt es an.