Nachdem sein Vater seinem Sohn auffordernd zugenickt hatte, trat Sam ihr entgegen und stellte sich selbst vor. „Ich bin Samuel, aber alle nennen mich Sam.“
Sie lächelte ihn an. „Sam. Das gefällt mir gut. Ich bin Sky.“
Nun reichte sie selbst ihm zuerst die Hand und Sam ergriff sie. Ihre Haut fühlte sich überraschend echt und weich an. Vorsichtig schüttelten sie einander die Hände.
„Sehr gut“, erklang die Stimme seines Vaters. „Verone, legen Sie den Namen Sky in der Datenbank dieser Serie ab und sperren Sie ihn für die Nutzung weiterer R2-Cyborgs.“
„Der Name ist abgelegt und wird an die Datenbanken Cyrons übermittelt. Können wir mit den Tests beginnen, Professor?“
„Wer ist das?“, flüsterte Sky Sam zu. Sie wunderte sich über die immer wiederkehrende Stimme, die sie keinem Gesicht zuordnen konnte.
„Das ist die K.I. des Forschungszentrums. Ihr Name ist Verone, sie hat keinen Körper wie du und ich. Sie ist quasi das gesamte Gebäude.“
„Wofür steht denn K.I.?“
Sam sah sie überrascht an. „Das steht für künstliche Intelligenz. Sie wurde von Menschen wie meinem Vater entwickelt und dient dazu, technische Geräte mit einem Lernprozess auszustatten – oder wie in eurem Fall sogar mit Gefühlen.“ Er war sich eigentlich gar nicht sicher, ob er ihr so etwas sagen sollte, geschweige denn durfte. Sie schien ja noch nicht allzu viel zu wissen, doch Sam wusste nicht, dass Sky lediglich die Abkürzung nicht kannte.
Die Stimme seines Vaters übertönte ihr Gespräch „Wir werden mit den Bewegungskoordinationsversuchen anfangen. Danach prüfen wir sie auf ihre körperlichen Empfindungen. Dazu können Sie schon einmal die Ablage mit den benötigten Utensilien ausfahren. Zeichnen Sie ihre Bewegungen bitte mit einer Nahaufnahme der Gelenke auf. Das wäre bis dahin erst einmal alles, Verone.“
„Nahaufnahme der Gelenke wurde soeben aktiviert. Die benötigten Utensilien stehen zur Verfügung. Viel Erfolg, Professor!“
Eine Schublade fuhr aus der rechten Wand des Raumes heraus. Was sich darin befand, konnten weder Sam noch Sky aus der Entfernung sehen. Als sein Vater sich Sky näherte, trat Sam einige Schritte beiseite.
„Wir beginnen nun damit deine Bewegungsfähigkeit zu prüfen. Dazu fangen wir von oben an und arbeiten uns bis zu deinen Füßen vor.“
Der R2 nickte bereitwillig. Es folgten einige Übungen. Sie musste den Kopf, soweit es ging, nach links und rechts drehen, dann nach oben und unten richten. Dabei war es ihr scheinbar nicht möglich diesen weiter zu drehen als ein Mensch. Bei Jenna sah das noch ganz anders aus. Zu ihrer Zeit spielte die Ähnlichkeit eine viel geringfügigere Rolle. Sie konnte den Kopf um 360° drehen und den Raum aus einer Position heraus komplett durchleuchten. Der Professor und Sky testeten die Schultergelenke und den Halswirbel. Bei Cyborgs achtete sein Vater stets darauf die Bauteile so zu benennen wie die Körperteile eines Menschen. Sie schauten, wie weit sie sich nach vorn beugen konnte und sie schaffte es sogar ihre Zehen zu berühren.
Sam war leider nicht ganz so sportlich. Er war zwar schlank, aber nicht wirklich muskulös. Während die meisten Jungs in seinem Alter sportlichen Aktivitäten wie Spinrun oder dem auf Hope sehr beliebten Juno nachgingen, verbrachte er seine Zeit damit die Archivkammern nach alten Schätzen zu durchforsten. Dieser Unterschied zu seinen Mitschülern machte sich meist dann bemerkbar, wenn er bei einem Sportwettbewerb der Schule schon nach den ersten Aufgaben außer Atem geriet und folglich einen der letzten Plätze belegte. Doch Sam schob diese Gedanken schnell beiseite, denn er sah sich nicht gern als Verlierer und so versuchte er sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Sky sollte derweil jeden ihrer Finger mit dem Daumen berühren und danach die Hände einmal zu Fäusten ballen. Sie bekam danach die Aufgabe ihre Augen zu schließen und zuerst den rechten Arm auszustrecken und ihren Zeigefinger zur Nasenspitze zu führen. Danach musste sie diese Übung mit dem anderen Arm wiederholen. Es folgten eine Reihe weiterer Tests wie das Hüftkreisen, Kniebeugen, auf einer Linie Laufen und das Kreisen der Füße. Für Sam war das schnell langweilig, denn sie schien jede Aufgabe problemlos zu beherrschen und er erkannte längst, dass sie einwandfrei funktionierte. Als sie zu allerletzt auch mit all ihren Zehen wackeln konnte und sich auf deren Spitzen stellte, war dieser Test endlich erfolgreich abgeschlossen.
„Bewegungsabläufe funktionieren optimal. Notieren Sie das“, die Stimme des Professors wandte sich eindeutig erneut an Verone, die ihm die Sicherung der Notiz bestätigte. Dann gratulierte er Sky beeindruckt. „Wirklich hervorragend. Für einen ersten Ablauf direkt nach der Erweckung zeigst du große Körperbeherrschung.“
Ihre Mimik verriet, dass sie das Lob mit Freude annahm.
„Nun zum zweiten Test“, der Professor drehte sich zu seinem Sohn um. „In der Ablage dort liegen mehrere Gegenstände. Ich brauche zuerst den kleinen Hammer für einen Reflextest.“
Sein Sohn gehorchte und brachte ihm umgehend das ihm nicht unbekannte Werkzeug. Der Schularzt hatte diese Übung bereits einige Male auch bei Sam durchgeführt. Bei der alljährlichen gesundheitlichen Kontrolle wurden die Schüler auf Herz und Nieren geprüft. In Skys Fall schienen auch die körperlichen Reflexe einwandfrei zu reagieren. Schlug ihr Vater mit dem Hammer auf die Kniescheibe, so fuhr das Bein etwas hoch. Dies wiederholte er an einigen anderen Körperstellen. Danach reichte er Sam den Hammer und bat ihn, diesen gegen einen Glühstein zu tauschen. Während Sam den Stein holte, schnipste der Professor einmal an ihrem linken und dann am rechten Ohr. Daraufhin näherte er sich mit einem Finger ihrem linken Auge, das sich erfolgreich zu schützen versuchte und sich dementsprechend umgehend schloss. Diesen Ablauf wiederholte er mit dem anderen Auge, das dieselbe positive Reaktion hervorbrachte.
Als sein Sohn ihm den Stein reichte, bat er Sky eine Handfläche zu öffnen, damit er ihr den Stein in diese legen konnte. Sein Vater rieb den Glühstein zuvor in beiden Händen und ließ ihn dann auf ihre Haut fallen. Es dauerte einen Augenblick, bis sie plötzlich schmerzhaft das Gesicht verzerrte und ihn zu Boden fallen ließ.
„Das tat weh!“ Ihre Stimme klang erschrocken.
„Dieser Stein baut nach dem Reiben Hitze auf und er wird nach einiger Zeit so heiß, dass es Schmerzen verursacht. Das ist ein Schmerzgefühl gewesen, Sky, und zeigt deinem Körper, dass dort etwas ist, das dir schaden könnte.“ Die Erklärungen seines Vaters klangen unglaublich liebevoll. Es schien, als würde er sie bereits jetzt wie ein menschliches Kind behandeln. „Es gibt eine ähnliche Übung mit einem Kühlstein. Er simuliert Kälte, dein Körper hält ihr stand, aber eben nicht dauerhaft. Reagiert deine Haut auch darauf, kannst du dich erst einmal ausruhen. Dann machen wir eine kleine Pause und du kannst Sam etwas kennenlernen. Ich muss nach den Tests erst einmal gehen und die Aufzeichnungen überprüfen.“
Sky nickte und zeigte damit ihr Einverständnis, sich erneut einem Schmerzgefühl auszusetzen. Sam wurde geschickt, um den Kühlstein zu holen und die Prozedur wurde damit erneut durchgeführt. Wieder dauerte es einige Zeit bis auf ihrem Gesicht abzulesen war, dass sich der Stein auf ihrer Haut langsam unangenehm anfühlte. Sie ließ ihn zu Boden sinken und ballte die Hand zur Faust, um die Kälte zu vertreiben.
„Eine sehr gute instinktive Reaktion, Sky. Deine Hand nun wärmen zu wollen ist ein wundervolles Zeichen. Solche Maßnahmen gibt es auch gegen die Hitze. Du hättest dir in die Handfläche pusten können, um den Schmerz zu lindern oder, sofern du Zugriff auf eine Wasserquelle gehabt hättest, hättest du die Hand unter kaltem Wasser abkühlen können. Diese Dinge wirst du noch früh genug lernen, aber deine Ergebnisse sind bislang unglaublich beeindruckend, Sky.“ Er lächelte ihr zu. „Ich gehe nun kurz rüber. Die Steine werden nachher eingesammelt. Lasst sie solange einfach liegen, die könnt ihr im Moment wirklich nicht anfassen. Vielleicht mag Sam dir ja etwas über sich erzählen.“ Er sah seinen Sohn schon wieder erwartungsvoll an.
Na toll!, Sam würde gleich zum ersten Mal in seinem Leben mit einem Mädchen allein sein. Und das nicht einmal mit einem menschlichen. So hatte er sich das für seine Zukunft eigentlich nicht ausgemalt: eine Roboterfreundin an die Seite gestellt zu bekommen,