Reisen Band 2. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753132471
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und wenn das Canoe Segel führt oder auch vielleicht der Wind schwerer weht als gewöhnlich, gebe ich zu, daß sie weit sicherer gehen als ohne dieselben. Dem Umschlagen sind sie fast gar nicht ausgesetzt, aber dadurch auch weit unbehülflicher zu lenken und schwerer zu steuern, indem die Wirkung des im Wasser liegenden Luvbaums dem schmalen Ruder fast immer entgegenarbeitet. Es läßt sich auch denken, wie viel schwerer eine rasche Wendung damit sein muß, da ich nach innen zu das Gewicht des Holzes erst durch das Wasser zurückzupressen habe, während ich nach außen dasselbe mit herumbringen muß. Nichtsdestoweniger kommt hier das federleichte Holz verschiedener Baumarten diesem indianischen Schiffsbau sehr zu statten, und wenn auch alle die Canoes, die ich hier sah, an Zierlichkeit und Zweckmäßigkeit des Baues lange denen der nordamerikanischen Indianer nicht gleichkommen, lagen sie doch verhältnißmäßig sehr leicht auf dem Wasser. Einzelne der Südsee-Inseln sind übrigens ihrer Canoes wegen berühmt, so die Neuseeländer des scharfen Baues und der wunderlichen Schnitzereien wegen, besonders aber die der navigators group, die ihre Canoes aus zwei Teilen, lang gespalten, zusammenfügten, den einen Teil verschieden geformt vom andern, wodurch sie einen außerordentlichen Grad von Schnelligkeit erreichen sollen.

      Das Canoe, das ich hatte, war einfach aus einem Brodfruchtstamm ausgehauen und nichts weniger als künstlich; trotzdem entsprach es meinem Zweck vollkommen, und die Entfernung betrug auch kaum mehr als eine oder anderthalb englische Meilen. Diese kleine Insel ist berühmt in der taktischen Geschichte - früher war es der Lieblingsaufenthalt der tahitischen Fürsten, hieß auch die Königsinsel, und selbst der /21/ letzte König hatte dort noch seinen Schießstand, und seine Bogen und Pfeile - mehr eine Vergnügungs- als Kriegswaffe - in einem besondern Haus, von welcher Sammlung er so viel hielt, daß Fremden besonders der Zutritt nur sehr selten gestattet wurde. Die Königin selber hat hier mehrere ihrer Kinder geboren, und die freundliche Insel muß für die Leute damals ein kleines Paradies gewesen sein. Und jetzt? - haben die Franzosen Besitz von derselben genommen; nach dem Eingang des Hafens zu steht eine Batterie von vier Zweiunddreißigpfündern. Die Gebäude enthalten Warenraume für alle möglichen Schiffsbedürfnisse: Taue, Blöcke, Ketten usw., ebenso für Munition; zerbrochenes und gebrauchtes Geräte liegt überall umher, das Gras ist niedergetreten, aus den Spielplätzen der Kinder wächst Gebüsch, und die einzelnen Cocospalmen senken trauernd ihre Häupter über das verödete Familienheiligtum.

      Ein einziger Indianer wohnt hier als Aufseher über die Schiffsgüter, und die Königin selber ist seit langen Jahren nicht mehr herübergekommen; aber die Palmen schaukeln noch so still und friedlich als damals ihre breiten herrlichen Wipfel, und das durchsichtige krystallreine Wasser spiegelt noch wie irüher die lauschigen Schatten der Büsche wieder. - Nur die freundlichen Gesichter sind verschwunden, die sich sonst darin neckten und haschten, die schlanken Gestalten gleiten nicht mehr aus dem schützenden Dickicht in das weite Korallenbassin, das die Natur hier für ihr Bad gebildet und mit scharfen, zackigen Pflanzen gegen die gefräßigen Ungeheuer der Tiefe gesichert hat. - Ihre fröhlichen Weisen schwellen nicht mehr - horch - was war das? - Trommelschlag - ein Wirbel rasselt, und die Möve, die eben dicht an dem dunkeln Buschwerk vorüberstrich, schießt in jähem Schreck ab von den feindlichen Tönen und sucht sich einen stilleren, friedlicheren Platz für ihren Flug.

      Ich hatte einige Mühe, einen Weg mit meinem selbst nur wenige Zoll im Wasser gehenden Canoe zu der Insel zu finden, obgleich mehrere ziemlich tiefe Kanäle dorthin führen - so hoch ragten die Korallen, gerade wo ich die Anfahrt versuchte, an die Oberfläche empor. Endlich erreichte ich eine /22/ etwas vorragende Landspitze und sprang an's Ufer - Niemand hinderte mich - während Hermann Melville damals auf so entschieden hartnäckige Weise von der einen Schildwache rund um die Insel herum vom Landen abgehalten worden war und unverrichteter Sache hatte wieder zurückkehren müssen - ein einziger alter Indianer hütet den Platz, sieht danach, daß Niemand die dort aufgespeicherten Vorräte berührt, und verträumt seine Zeit als Generalgouverneur und Schildwache des Platzes. Um so mehr war ich erstaunt, hier die kriegerischen Töne der Trommel zu hören, und als ich mir durch ein wirres Dickicht von wild aufgewachsenen Büschen Bahn zu der Stelle brach, fand ich - niemand Andern als meinen Straßburger mit den drei Prinzen des königlichen Hauses, denen er, auf dem Erbsitz, von dem sie die Fremden gestoßen - Trommelstunde gab. - Die drei Knaben, die übrigens in Hosen und Jacken gekleidet waren, und jeder einen goldenen Ring am Finger hatte, kamen freundlich auf mich zu - sie kannten mich noch, und gewissermaßen als eine Art Revanche, da ich ihnen doch auch früher „Musik gemacht", trommelten sie mir jetzt der Reihe nach etwas auf ihrem Lieblingsinstrument vor.

      Ich blieb nicht lange auf der Insel, der Platz bot nichts Freundliches, was mich dort lange hätte halten können. Vorher aber zeigte mir der Straßburger noch eine Partie Hölzer, die wie starke Kanonen geformt, aber höchstens fünf Fuß lang und ohne Mündung waren. Ein englisches Schiff hatte vor mehreren Jahren hier einlaufen wollen, scheiterte aber aus den Rissen, und die Franzosen fischten unter den an's Land treibenden Hölzern auch diese Kanonen auf, von denen der Engländer, glaub' ich, siebenundzwanzig an Bord gehabt, und die wahrscheinlich hatten dazu dienen sollen, die Franzosen einzuschüchtern — ein sehr verfehlter Zweck, denn diese nachgemachten Kanonen liegen jetzt hier wie ein von Kindern entlarvter und verlachter Popanz.

      Von der Insel ab trieb ich langsam und ohne zu rudern, von einer leichten Brise fortbewegt, über die Korallenriffe, und sah unter mir nieder, gerade wie bei Imeo, die kleinen Fische spielen, und die wunderlichen Stämme und Pflanzen /23/ zu mir heraufragen. Seesterne und Igel lagen tief versteckt zwischen den zackigen Ästen und Zweigen, und wie ein Wald krystallisirter Bäume zog es sich in breiten Gebirgsstreifen und tiefen, mit blauem Nebel gefüllten Tälern unter mir hin. So muß dem Aeronauten zu Mute sein, wenn er in luftiger Höhe hoch, hoch über den Bergen und Seen des festen Landes schifft, und unter ihm Wälder und Täler, belebte Städte und Flecken wie flüchtige Nebelbilder dahinschwinden.

      Ein englischer Arzt in Papetee erzählte mir besonders viel von der Vegetation der höchsten Berge, und wie da oben unter anderen eine Blume blühe, die auf keinem andern Teil der Erde vorkomme, und den lieblichsten Duft verbreite, den man sich denken könne. Er selbst hatte den Versuch gemacht, sie unten im flachen Lande fortzubringen, aber sie wollte nicht gedeihen. Der Doktor hatte in seinem eigenen Garten eine recht hübsche Sammlung tropischer Pflanzen - die Vanille von Brasilien, die Norfolktanne von Australien, die Lotosblume und den Kapasbaum von Indien und manche andere mehr, die hier alle in dem wundervollen Klima Tahitis trefflich gedeihen.

      In diesen Tagen lief auch ein deutscher Walfischfänger ein: die Otaheite, und ich sah mit inniger Freude die Bremer Flagge, eine alte liebe Bekannte, von dessen Gaffel wehen. Natürlich fuhr ich gleich an Bord hinüber, und wurde von Capitain Wieding auf das Freundlichste empfangen. Die Otaheite war ein reizendes, noch ganz neues Schiff, sehr geschmackvoll, ja elegant eingerichtet und machte Furore in Tahiti.

      Als ich zum zweiten oder dritten Mal auf dem Schiff war und über Deck ging, um mir das nette Fahrzeug von allen Seiten zu besehen, trat, als ich nach vorn kam, einer der Matrosen mit einem echt deutschen Gesicht auf mich zu, und redete mich etwas verlegen an: er hätte gehört, ich wäre ein Sachse. - Ich versicherte ihm, daß ich wenigstens in Sachsen jetzt zu Hause sei, und sein breites -: Ne, da währen Se wohl gar ä Laipziger? versetzte mich im Nu an die Ufer der Pleiße und Elster zurück. /24/ Unsere Begrüßung war herzlich, und als ich ihn frug, wie er, ein richtiges Kind des innern Landes, nur um Gottes willen hier beinahe zu den Antipoden gekommen wäre, auf Walfische zu jagen - ein Leipziger und Walfische! - erzählte er mir mit freudestrahlendem Gesicht, daß er eigentlich der „Scharfrichters^“-Knecht aus Leipzig wäre und, „wie man nun so manchmal in der Welt herum käme,“ auch an Bord eines Walfischfängers geraten sei und jetzt „ganze Stücken mit einem Mal" von der Welt zu sehen bekäme. „Ach heren Se, mei gutes Herrechen,“ setzte er dann einschmeichelnd hinzu - „haben Se denn gar kene Nachrichten kerzlich von Laipzig?“

       Ich versicherte ihm, daß ich die letzten sieben oder acht Monate keinen Brief von dorther, keine Zeitung gesehen habe, die mir die geringste Auskunft erteilt hätte, und in seiner gemütlichen Weise fuhr er dann fort mir zu erzählen, was „für ein paar scheene Mordtaten" da erst ganz kürzlich wieder vorgefallen wären; - eine „sehre scheene“, wo ein Sohn seine Mutter um ein paar Taler erschlagen hatte, eine andere, minder scheußlich, aber doch auch angenehm, und er bedauerte jetzt, daß er nicht doch lieber