In Yis sollte uns aber noch etwas Anderes bevorstehen. So schlecht die Wagen nämlich bis jetzt gewesen waren, so hatte man doch wenigstens darauf sitzen können, ohne der steten Gefahr ausgesetzt zu sein, herauszufallen, hier in Yis sollte aber auch dies aufhören. Von da aus bekamen wir einen zweirädrigen Karren, auf dem Zwei nach vorn und Zwei nach hinten (die auf dem Rücksitz mit dem Rücken den /72/ Pferden zugewandt) sitzen k o n n t e n, Drei nach vorn und Drei nach hinten aber aufgenommen werden, wenn sich Schlachtopfer genug dazu finden. Die vorn saßen, hatten sich noch nicht zu beklagen; der Karren hing auf ziemlich guten Federn, und der Vordersitz war, wenn auch nicht bequem, doch leidlich, es war, als ob man bei einer gewöhnlichen Kutsche mit auf dem Bock saß. Die Hintersitze erwiesen sich aber in der Tat lebensgefährlich, und wie ich später gehört habe, soll auch schon mehrfaches Unglück, besonders mit Damen, vorgefallen sein, die nicht im Stande waren, sich gegen das furchtbare Rütteln des Kastens an dem niedern eisernen Geländer und mit fast keinem Fußbord festzuhalten, und dann rettungslos herabgeschleudert wurden, wobei sie noch ihrem Gott danken konnten, wenn sie nicht auf das herumwirbelnde Rad stürzten.
Die Wege sind dabei, Hügel auf und nieder und durch trockene Lagunen und Schluchten, wahrhaft lebensgefährlich, was etwas die zwei Räder entschuldigt; denn ein vierrädriger Wagen würde noch mehr dem Umwerfen ausgesetzt sein. So, steilen Abhang hinauf oder hinunter, geht es fortwährend im Galopp, so daß beim Wiederaufführen die hinten Sitzenden die ganze Wucht ihres Körpers einzig und allein ihren Händen oder ihren um die schmale eiserne Stange geschlungenen Armen anvertrauen müssen.
Die Szenerie wurde hier, wenn das seit den letzten Meilen überhaupt möglich gewesen wäre, noch trauriger; kein Grashalm so weit das Auge reichte, kein Busch außer niederen Gumbüschen, und alle, alle ein und dasselbe Laub; ja so verzweifelt gleichförmig sind selbst die Blätter untereinander, daß man, wenn man sie nicht selber vom Zweig bricht, gar nicht bestimmen kann, was die obere oder untere Seite an ihnen ist.
D i e Annehmlichkeit haben die mit dem Rücken nach vorn Sitzenden, daß ihnen niederhängende Zweige gar nicht selten nicht allein den Hut vom Kopf reißen, sondern den Kopf manchmal fast auch mitnehmen möchten - der Karren rasselt in der Zeit an, bis Ihr Kutscher oder Pferde bewegen könnt zu halten, und von dem Schlag noch halb be-/73/
täubt, kann der Passagier oft hundert und zweihundert Schritt zurücklaufen, um seine verlorene Kopfbedeckung wieder zu holen.
„Verliert Ihr manchmal Passagiere von dem Kasten herunter?" - frug ich den Kutscher, als uns das Marterwerkzeug zum ersten Mal vorgestellt wurde.
„Selten!" lautete die lakonische Antwort.
Freitag Abend, den 25. April, kamen wir glücklich nach Gundegay, einem kleinen Städtchen am Murrumbidgee. Hier ließen wir unsere letzte Dame, und die arme Frau war durch die anstrengende Tour wirklich mehr tot als lebendig.
In Gundegay, das wir in der Nacht erreichten, blieben wir etwa eine Stunde und fanden den kleinen Ort noch in voller Aufregung eines Angriffs wegen, den ein benachbarter Murrumbidgee-Stamm auf die friedlichen Indianer oder Blacks gemacht hatte, die sich gewöhnlich in Gundegay selber aufhielten. Mitten in der Stadt hatten sie diese plötzlich überfallen, mehrere verwundet und einen getötet, ohne jedoch einen Weißen, von denen ihnen gerade mehrere in den Weg kamen, zu verletzen. Die Leute waren hier wieder einmal voll von schrecklichen Geschichten über die „treacherous devils", verräterischen Teufel, wie sie überall genannt wurden.
Wir mußten hier über den Murrumbidgee, den ich, obgleich er ein ganz ansehnliches Bett hat, kaum einen Fluß nennen darf, denn er bestand, in dieser allerdings sehr trockenen Jahreszeit, nur aus einer Kette von Wasserlöchern ohne irgend eine Strömung, ja ohne Verbindung derselben untereinander; und in jedem Sommer tat er dasselbe. Gerade hier war jedoch Wasser genug, und wir setzten in einem großen breitschlächtigen Fährboot über.
Am nächsten Tag bekamen wir für die Abgegangene wieder einen andern Passagier als Leidens geführten - einen jungen Mann, und seiner weißen Halsbinde und dem etwas breit- krämpigen Hut nach unter jeder Bedingung Geistlicher, der, wie ich auch bald genug erfuhr, seine Glieder allmonatlich dem australischen Marterfuhrwerk, Royal-Mail genannt, preisgab, um in Albury seine geistlichen Functionen zu versehen - ich betrachtete ihn mir als eine Art Märtyrer mit einer /74/ gewissen Ehrfurcht. In Albury glücklich und ohne Knochenbrüche angekommen, hält er dann Sonntags seine regelmäßigen Predigten, und tauft und traut was ihm gebracht wird und sich während seiner Abwesenheit angehäuft hat.
Interessant war sein Entree - natürlich kam er zu mir auf den Hintersitz, und mit einem sanften, verbindlichen Gruß aufsteigend, nahm er seinen Sitz ein und zog ein kleines Gebetbuch aus der Tasche, in dem er zu lesen anfing. Er war allerdings schon öfter auf dieser Post gefahren und hatte volle Ursache, seinen Leichnam dem Herrn der Heerschaaren im Besondern und sämtlichen Posten im Allgemeinen zu empfehlen, aber er gab auch ein treffendes Beispiel, daß man in Zeit der Not wenn man beten will, nicht die Hände dabei falten darf, sondern zugreifen muß; denn kaum konnte er zehn Worte gelesen haben, als der Kutscher in die Pferde hieb, und mit dem ersten Ruck war auch Buch und Hut des geistlichen Mannes, der nur rasch mit beiden Händen ausgriff, um sich vor dem eigenen Falle zu bewahren, über Bord. Wir mußten wieder halten, um Beides aufzulesen, und der reisende Prediger steckte von da ab sehr vernünftiger Weise sein Buch in die Tasche.
Am nächsten Abend bekamen wir etwa dritthalb Stunden Zeit zum Schlafen; wie wir aber am andern Morgen wieder abfahren wollten, erwies es sich, daß der geistliche Herr kein „kleines“ Geld bei sich hatte, um seine Zeche zu zahlen; seiner Bitte, das Geld bis Albury für ihn auszulegen, willfahrte ich gern, wunderte mich nur, dort angekommen, über sein schlechtes Gedächtnis. Er erwähnte kein Wort weiter von den drei Schillingen, und ich muß vermuten, daß er mich als ein „ W e r k z e u g“ betrachtet habe.
Diesen Morgen traf ich auch einige deutsche Familien, die hier bei Engländern ausgemietet waren und ihre Heimat mitten in dem graslosen, dürren Gumwald gegründet hatten; sie fühlten sich aber trotzdem vollkommen wohl, denn sie hatten doch hier, was sie in Deutschland nicht gehabt: ihr gutes Auskommen, und mit anderen Bedürfnissen total unbekannt, mit ihrer Familie um sich her, auch weiter keine Entschädigung /75/ nötig für Das, was sie etwa sonst noch im alten Vaterland zurückgelassen.
Die Gegend war hier übrigens so wasserarm, daß mir die Leute versicherten: nicht weit von hier sei im Walde ein Wasserloch, zu dem der glückliche Besitzer desselben einen Mann mit einem geladenen Gewehr gestellt habe, um fremdes Vieh und fremde Viehtreiber davon abzuhalten.
Butter und Milch gelten gegenwärtig in dieser Gegend als Naturmerkwürdigkeiten.
Sonnabend um zwölf Uhr erreichten wir endlich bei besserem Weg und über die Ebene hin, welche die Wasser des Murrumbidgee und Murray voneinander trennt, das kleine Städtchen A l b u r y, am Ufer des letzteren, und an allen Gliedern steif, kaum fähig von dem steten Anhalten meine Arme noch zu regen, kletterte ich vor einem der Wirtshäuser in Albury von dem Marterkastcn herunter, und war wirklich selber erstaunt, mich noch ganz und unzerbrochen, nur mit einigen im Verhältnis zu den erhaltenen Stößen wirklich unbedeutenden Quetschungen, wieder vorzufinden. Hier verließ ich die sogenannte Melbourne-Post, um mich auf dem Murray oder Hume, wie der Murray hier oben größtenteils genannt wird,