In den 1960er und 70er Jahren verbrachte ich meinen sogenannten "Urlaub" nach dem Abmustern fast immer in Hamburg auf St. Pauli. Ich war bei weitem nicht der einzige Seemann, der das tat. Nicht umsonst gab es auf der Reeperbahn und den Nebenstraßen so viele Seemannskneipen, die man auch als Nuttenkneipen bezeichnen könnte. Heute hat sich das gewandelt. Die Frauen stehen jetzt entweder auf der Straße oder sitzen im Bordell. Wenn der Seemann auf dem "Kietz" sein Geld einigermaßen einteilte, konnte er dort längere Zeit seinen "Urlaub" verleben. Viele Kollegen wohnten nicht in den Seemannsheimen, sondern in den Absteigen. Das sind kleine Hotels auf dem Kietz. Man lernte dort an der Bar schnell eine junge Frau kennen, die froh war, zu fortgeschrittener Stunde einen Mann zu finden, der gleich im Hause ein Zimmer hatte. Mancher Seemann hatte auf St. Pauli eine feste "Freundin", die nach seiner Abmusterung nur für ihn da war. Es gab auch "Bräute", die fuhren ihrem Seemann nach, wenn das Schiff statt nach Hamburg, nach Bremen, Emden oder Rotterdam kam.
Wir fuhren in Charter für die Ost-Afrika-Linie. Der erste Hafen lag meistens in Süd-West-Afrika. Es folgten dann fast alle Häfen längs der Küsten von Süd- und Ost-Afrika. Zurück ging es durch den Suezkanal und das Mittelmeer. Besonders begehrt war bei den Leuten Laurenco Marques in Mocambique (damals noch portugiesische Kolonie). Anfang 1964 kamen wir von großer Fahrt zurück und ich ging mit zwei Kumpels, die ihre "Bräute" in der "Dakota-Bar" hatten. Diese Bräute waren auch gerade anwesend, was nicht immer auf Anhieb der Fall war. Nach einem Begrüßungs-Umtrunk ging es dann ab an Bord, denn morgens begann wieder ein harter Arbeitstag. Wir wollten aber vorher noch den "Hormonspiegel" abbauen. Die Liegezeiten waren damals noch erheblich länger als heute, denn es gab noch keine oder noch ganz wenige Container. Nach einigen Tagen hatten wir natürlich wieder Lust, an Land zu gehen, um einen zu trinken. Die Frauen hatten aber keinen Bock darauf und sagten, wir sollten alleine gehen, denn sie wollten sich mal wieder richtig erholen. Was gibt es schöneres für einen in seiner Hafenkneipe sitzenden Seemann, wenn er weiß, dass er an Bord gleich zu seiner Braut in seine warme Koje kriechen kann. Zu dumm nur, dass der Boss der Kneipe damit gar nicht einverstanden war, dass seine drei Starfrauen nicht bei uns waren, denn diese sehr gut aussehenden "Damen" waren bei sehr vielen Seeleuten und auch bei Landratten gut bekannt. Die Kundschaft vermisste sie und ging ein Haus weiter. Man braucht gar nicht denken, dass schon alle Leute mit diesen Puppen zusammen in der Koje waren, nein, es waren einfach gute Bekannte. Es kam auch vor, was auch ich zum Glück mehrmals erlebt habe, dass, wenn man einmal schlecht bei Kasse war und noch kein neues Schiff hatte, eben diese Frauen einem mit etwas Geld aushalfen. Später wurde es selbstverständlich zurückgezahlt. Das kam, nebenbei bemerkt, sehr oft in den Häfen der Länder vor, die wir zur "dritten Welt" zählen.
Einmal besuchte ich eine Bekannte, die in einem Striplokal an der Bar arbeitete. Das Lokal machte am frühen Morgen dicht. Ich war todmüde, hatte aber noch keine Bleibe. Da sagte meine Bekannte: "Du kannst bei meiner Freundin, der Stripperin, in deren Wohnung übernachten, aber lass sie in Ruhe, sonst schmeißt sie dich gleich raus!" Man stelle sich mal vor: Du hast nach monatelanger Seefahrt eine junge Frau die ganze Nacht splitternackt tanzen gesehen, bist bei ihr zu Hause und nichts...!
Bei fast allen Seeleuten waren die Reisen zu den Karibischen Inseln und Westindien sowie Mittelamerika am beliebtesten. Auf der Hitliste standen Trinidad, Barbados, Dominikanische Republik mit Santo Domingo, Jamaika und vor Fidel Castros Ära natürlich Kuba! Auf der mittelamerikanischen Landbrücke waren alle Länder gefragt: Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras, El Salvador und Guatemala. In den 1960er und 70er Jahren war das Leben dort noch spottbillig. Was konnte man da noch für 10 bis 20 Dollar bekommen?! Man hatte in diesen Ländern nie das Gefühl, mit einer Prostituierten zu gehen. Das zählt auch für Mexiko und die südamerikanischen Länder, ebenso für Südostasien. Die "Damen" sind dort besonders temperamentvoll. Fast immer war bei den Frauen eine gewisse Sympathie uns Seeleuten gegenüber im Spiel. Das Geld, das sie von uns erhielten, spielte nicht die Hauptrolle. Oft entwickelte sich aus den flüchtigen Begegnungen richtige Liebe. Wenn das Schiff auslief, standen die Mädchen oft mit Abschiedstränen an der Pier. Die in ihrer Gesellschaft erlebten Begebenheiten gehörten zur Seefahrt. An den alten Seemannsschnulzen ist sehr viel Wahres dran. Aus den schönen alten Zeiten stammt auch der Begriff "achtern raus segeln", wenn man wegen seiner Braut das Schiff verpasst, was ich auch selbst einmal miterlebt habe. Das wurde immer zum teuren Spaß, wenn man Hotelunterkunft und Flugticket bis zum nächsten Hafen selber zahlen musste. Nicht selten sorgten die Mädchen bewusst dafür, dass Hein Seemann sein Schiff verpasste. Diese Frauen hatten oft einen heißen Draht und wussten genau, wann das Schiff auslief.
Was ich über das Verhältnis der Seeleute zu Frauen berichte, trifft natürlich nur für ledige Seeleute zu. Die Ehemänner waren immer treu und gingen mit einem Heiligenschein überm Kopf in den Hafenstädten nur spazieren. Was denn sonst?
Ich war fast elf Jahre lang für Orion, Reith & Co. tätig. Darüber waren viele meiner Kollegen erstaunt, und ich musste mir manchmal böse Beleidigungen anhören. Natürlich war bei Orion nicht alles rosig, besonders in punkto Ausrüstung und Geldüberweisungen, aber ich habe in meiner „Orion-Zeit“ noch die „echte“ Seefahrt kennen gelernt, zumal ich fast immer auf „wilder Fahrt“ war. Über eine Reise in den frühen siebziger Jahren möchte ich berichten, weil da gleich mehrere ernsthafte, aber auch amüsante Geschichten passierten. Das Schiff war in Puerto Plata in der Dominikanischen Republik fertig gelöscht, und der Kapitän hatte noch keine neue Order. Der Agent, der wusste, dass wir von der Besatzung alle unsere Bräute im Hafen hatten, bot dem Kapitän weiteres kostenloses Warten in diesem Hafen an. Aber so etwas kam für unseren Kapitän nicht in Betracht, also: Leinen los und bei den Bahamas vor Anker! Jetzt begann meine typische Orion-Koch-Story: Der Kapitän kam später zu mir in die Kombüse und fragte mich, ob ich noch bis New York, wo wir Ladung nehmen sollten, mit dem Proviant auskommen würde. Ich entgegnete, ich würde das wohl, wie gewohnt, hinkriegen. Als wir dann schon stundenlang auf Fahrt waren, erfuhr ich, dass die neue Order nach Brasilien zur Amazonasmündung lautete. Dort werden alle Schiffe, die flussaufwärts gehen, auf Belem-Reede einklariert. Mit den Behördenvertretern kam auch ein Boot mit genau 18 Mädchen. Der Käptn sah das alles von seinem Salonfenster aus und gab dem 1. Offizier sofort die Order, die Mädchen zu zählen, damit keine an Bord verblieb. Ein Matrose war aber schneller, hatte sich sofort eine der Frauen „ausgeschaut“ und war mit ihr auf Nimmerwiedersehen unter Deck verschwunden. Ich wurde natürlich zwecks Verpflegung eingeweiht. Für diese Reise hatten wir zwei Lotsen und einen Supercargo mit. Als wir dann später wieder mit Vollschiff nach Belem-Reede zurückkamen, musste - wie der Teufel es will - der Alte wieder zum Deck herunterschauen. Und wen sieht er da mit den anderen Brasilianern von Bord gehen, natürlich diese überzählige junge Schöne. Daraufhin schimpfte er wie ein Rohrspatz auf die doch so frechen Einheimischen.
Auf dieser Reise bemerkte ich, dass mir langsam das Brot ausging. Ich hatte wohl noch Mehl, jedoch kaum noch Hefe. Der Zufall wollte es, dass wir bei einem kleinen Urwald-Hüttendorf lagen, um die weltbekannten Edelhölzer an Bord zu nehmen. Frühmorgens ging ich sorgenvoll an Deck hin und her und beobachtete von oben, dass unten zwischen den Häuschen offenbar eine Bäckerei war. Ich ging sofort zu unserem von den Kapverden stammenden Matrosen Vicente und machte ihn darauf aufmerksam. Er mit seiner portugiesischen Muttersprache und gleicher Hautfarbe sorgte im Handumdrehen dafür, dass ich mit dem mir verbliebenen restlichen brasilianischen Geld schnellstens den Brotvorrat auffüllen konnte. Später stellte sich heraus, dass das nur ein Brotdepot für den täglichen Bedarf des Dorfes war. Das tat mir natürlich schrecklich leid.
Einige Tage später waren wir wieder bei so einem kleinen Hüttendorf. Abends ging ich mit einigen anderen Seeleuten an Land, um mal wieder ordentlich einen zur Brust zu nehmen. Das taten wir dann auch reichlich, und als ich mal wieder mit meinem „dicken Kopf“ vor der Kneipentür stand, bemerkte ich ein paar kleine schwarze Schweine, die da herumrannten. Schon erinnerte ich mich daran, dass ich fast kein Fleisch mehr an Bord hatte. Schnell kam ich mit dem Wirt, dem die netten Tierchen gehörten, ins Geschäft. Ich konnte es von meinen restlichen