Das Duell. Anton Tschechow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Tschechow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753126562
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in Typen aus der Literatur. Vorige Nacht habe ich mich so mit dem ewigen Gedanken getröstet: Wie recht hat doch Tolstoi, wie erbarmungslos recht! Und davon wurde mir leichter. Wahrhaftig, er ist ein großer Dichter.«

      Samoilenko hatte Tolstoi nie gelesen und wollte jeden Tag damit anfangen. Er wurde verwirrt und sagte:

      »Ja, andere Dichter dichten aus ihrer Phantasie, er aber direkt nach der Natur –«

      »Ach Gott,« seufzte Lajewskij, »wie hat die Zivilisation uns ausgemergelt! Ich hatte mich verliebt in eine verheiratete Frau, und sie sich in mich. Anfangs gab's bei uns Küsse und stille Abende und Schwüre und Philosophie und Ideale und gemeinsame Interessen... Was für eine Lüge! Wir flohen in Wahrheit vor ihrem Mann, logen uns aber vor, vor der Oede unserer gebildeten Welt zu fliehen. Unsere Zukunft malten wir uns so aus: Ich würde anfangs im Kaukasus, bis wir uns mit Land und Leuten bekannt gemacht hätten, die Beamtenuniform anziehen und eine Zeitlang im Staatsdienst bleiben, dann aber würden wir uns ein Stück Land nehmen und im Schweiße des Angesichts schaffen, einen Weinberg, ein Feld bebauen usw. Wärest du an meiner Stelle, oder dein Zoolog, dieser Herrn von Koren, ihr würdet vielleicht dreißig Jahre mit Nadeschda Fjodorowna zusammenleben und euren Erben einen reichen Weinberg und tausend Dessjatinen Maisland hinterlassen. Ich habe mich vom ersten Tage an bankerott gefühlt. In der Stadt unerträgliche Hitze und Langeweile, kein Mensch, und kommt man hinaus, da lauern unter dem Strauch Skorpione oder Schlangen. Und weiterhin Berge und Einöde. Fremde Menschen, eine fremde Natur, eine traurige Kultur. Lieber Freund, es ist viel leichter mit Nadeschda Fjodorowna am Arm im Pelz den Newskij Prospekt entlangzubummeln und von warmen Ländern zu plaudern. Hier gilt es nicht den Kampf ums Leben, sondern den Kampf um den Tod, und was bin ich denn für ein Kämpfer? Ich trauriger Neurastheniker mit meinen gepflegten Händen. Am ersten Tage hab' ich's eingesehen, daß meine schönen Gedanken von einem arbeitsamen Leben, von einem Weinberg den Teufel nichts taugten. Und was die Liebe angeht, so kann ich dir sagen, daß es ebenso uninteressant ist, mit einem Frauenzimmer zu leben, das Spencer gelesen hat und dir zuliebe bis ans Ende der Welt mitgelaufen ist, als mit irgendeiner beliebigen Akulina. Sie riecht genau so nach dem Bügeleisen, nach Puder und Medikamenten, sie trägt genau so jeden Morgen ihre Papilloten, und es ist genau derselbe Selbstbetrug ...«

      »Ohne Bügeleisen kommt man in keiner Wirtschaft aus,« sagte Samoilenko und wurde rot, weil Lajewskij so intime Details von einer bekannten Dame erzählte, »du bist, merk' ich, heute nicht bei Laune, Wanja. Nadeschda Fjodorowna ist eine reizende und gebildete Frau, du bist ein sehr begabter Mensch. Warum solltet ihr nicht zusammenpaffen? Es ist ja wahr, ihr seid nicht verheiratet,« sagte Samoilenko und sah sich nach den Nachbartischen um, »aber das ist doch nicht eure Schuld, und außerdem – der Mensch soll keine Vorurteile haben und sich auf das Niveau zeitgemäßer Ideen erheben. Ich bin selbst für die Ehe ohne Formen, ja –. Aber, ich meine, wenn man einmal zusammenlebt, so soll man auch bis ans Lebensende zusammenbleiben.«

      »Ohne Liebe?«

      »Das erkläre ich dir gleich,« sagte Samoilenko. »Vor acht Jahren hatten wir hier einen alten Agenten. Er war ein sehr kluger Mensch. Siehst du, der sagte immer: im Familienleben ist die Hauptsache – Geduld ... Verstehst du, Wanja? Nicht die Liebe, sondern die Geduld. Die Liebe kann nicht lange dauern. Zwei Jahre hast du in Liebe gelebt, jetzt ist dein Familienleben augenscheinlich in die Phase getreten, wo du all deine Geduld in Anwendung bringen mußt, um das Gleichgewicht zu erhalten.«

      »Du glaubst deinem alten Agenten, für mich aber ist sein Rat ein Blödsinn. Der Alte konnte heucheln. Er vermochte es, einen ungeliebten Menschen für ein Instrument anzusehen, das ihm zur Übung seiner Geduld sehr gute Dienste leisten konnte. So tief bin ich noch nicht gesunken. Wenn ich meine Geduld üben will, kaufe ich mir einen Turnapparat oder ein störrisches Pferd, die Menschen lass' ich in Ruhe.«

      Samoilenko bestellte eine Flasche Weißwein mit Eis.

      Nach dem ersten Glas fragte Lajewskij plötzlich:

      »Sag' doch mal, was ist das, Gehirnerweichung?«

      »Das, ja, wie soll ich dir's gleich erklären – das ist so eine Krankheit, wenn die Gehirnmasse sich erweicht, gleichsam flüssig wird.«

      »Ist sie heilbar?«

      »Ja, wenn die Krankheit noch nicht eingerissen ist. – Kalte Duschen, spanische Fliegen. Auch innerliche Mittel gibt's.«

      »So, so ... Also siehst du, so liegt die Sache. Ich kann nicht mit ihr leben. Es übersteigt meine Kräfte. Wenn ich mit dir zusammen bin, siehst du, dann philosophiere ich und bin heiter, zu Hause aber verliere ich ganz meinen Mut. Ich fühle mich so hochgradig beengt; wenn man mir z. B. sagte, ich müßte auch nur noch einen Monat mit ihr zusammenleben, ich glaube, ich würde mir eine Kugel vor den Kopf schießen. Und auseinander können wir auch wieder nicht ... Sie steht allein in der Welt, versteht nicht zu arbeiten, Geld haben wir beide keins. Wohin soll sie gehen? Zu wem? Kein Ausweg ... Nun sag' mir mal, was ist da zu machen?«

      »M– ja,« brummte Samoilenko, er wußte keine Antwort, »liebt sie dich denn?«

      »Ja, sie liebt mich gerade so weit, als sie in ihren Jahren und bei ihrem Temperament einen Mann nötig hat. Von mir würde sie sich ebenso schwer trennen wie von ihrem Puder und ihren Papilloten. Ich bin ihr ein notwendiges Boudoirrequisit.«

      Samoilenko wurde verlegen.

      »Du bist heute schlecht aufgelegt, Wanja,« sagte er, »du hast offenbar nicht gut geschlafen.«

      »Ja, ich habe schlecht geschlafen. Ich fühle mich überhaupt nicht wohl. Ich habe so eine Leere im Kopf, der Herzschlag stockt, und dabei fühle ich mich so schwach. Ich muß entfliehen.«

      »Wohin denn?«

      »Dahin, nach dem Norden. Zu den Tannen, zu den Pilzen, zu den Menschen, zu den Ideen. Mein halbes Leben gäbe ich darum, könnte ich jetzt irgendwo im Gouvernement Moskau oder Tula sein und in einem Bach baden, weißt du, daß man ganz durchkältet wird, und dann spazieren bummeln ein paar Stunden, wenn auch mit dem minimalsten Studentlein, und schwatzen, schwatzen. – Und wie es da nach Heu duftet! Weißt du noch? Und abends, wenn man im Garten auf und abgeht und aus dem Hause das Klavier ertönt und in der Ferne die Eisenbahn vorbeirasselt –«

      Lajewskij lachte vor Vergnügen, und die Tränen traten ihm in die Augen. Um sie zu verbergen, reckte er sich, ohne aufzustehen, nach Zündhölzern zum Nebentisch hinüber.

      »Achtzehn Jahre sind's jetzt, daß ich nicht mehr in Russland war,« sagte Samoilenko, »ich weiß gar nicht mehr, wie es dort aussieht. Ich glaube, es gibt auch kein herrlicheres Land als den Kaukasus auf der ganzen Welt.«

      »Wereschtschagin hat ein Bild gemalt: da quälen sich die zum Tode Verurteilten auf dem Grunde eines tiefen Schachtes. Wie solch ein Schacht kommt mir dein herrlicher Kaukasus vor. Wenn ich die Wahl hätte und könnte entweder Schornsteinfeger in Petersburg oder Fürst auf dem Kaukasus werden, ich würde lieber Schornsteinfeger sein, als hier unter einer Platane liegen und irgendeine idiotische, dreckige Lesghinierin anglotzen. Und die Tscherkessinnen, was für ein Schund ist das bei Licht besehen.«

      »Sag' das nicht.«

      Lajewskij versank in Gedanken. Samoilenko musterte seine gebeugte Gestalt, die ins Leere starrenden Augen, das blasse, schweißige Gesicht, die eingefallenen Schläfen, die abgekauten Nägel und den Pantoffel, der von der Ferse hinunterhing und einen mangelhaft gestopften Strumpf sehen ließ, und fühlte Mitleid mit ihm. Und wahrscheinlich, weil er ihm wie ein hilfloses Kind vorkam, fragte er:

      »Lebt deine Mutter noch?«

      »Ja, aber wir sind ganz auseinander. Sie konnte mir diese Verbindung nicht verzeihen.«

      Samoilenko hatte seinen Freund gern. Er sah in ihm einen guten Kerl, eine studentische Seele, einen zwanglosen Menschen, mit dem man gut ein Glas Wein trinken, einen Scherz machen und nach Herzenslust schwatzen konnte. Was er an ihm verstand, gefiel ihm durchaus nicht. Lajewskij trank viel und außer der Zeit, spielte Karten, kümmerte sich nicht um seine Arbeit, lebte über seine Mittel, gebrauchte häufig im Gespräch unpassende Ausdrücke und zankte sich in Gegenwart dritter mit Nadeschda Fjodorowna – das alles gefiel Samoilenko