Herzkalt. Joachim Kath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Kath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847659020
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wenn er Einzelheiten erzählt hat, was Lisa für das Geld und die Drogen machen muss, ob sie den Job will oder nicht.“

      Erleichtert willigte ich ein und Mike vereinbarte telefonisch einen Termin mit Bob Fence. Nicht ohne zu erwähnen, ein junges Mädchen zum Casting mitzubringen. Sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung soll über den kleinen Scherz herzlich gelacht haben. Man kannte sich eben inzwischen und vertraute sich bereits.

      Am anderen Morgen machten wir uns mit meinem Wagen zu Dritt auf gen Albany. Es war ein kalter Tag. Die Sonne weichte den Raureif auf. Feuchtigkeit auf der Fahrbahn, nur in der Mitte war die Straße vom Berufsverkehr trocken gefönt.

      Ich setzte Lisa und Mike in sicherer Entfernung von ihrem Ziel ab. Wir hatten warten vereinbart. Es konnte dauern. Nachdem mir die Füße fast vor Kälte abgestorben waren, ließ ich den Motor einige Minuten laufen, stellte ihn dann aber wieder ab, weil sich Anlieger für die Ruhestörung zu interessieren begannen. „Standheizung müsste man haben!“ dachte ich. Schließlich stieg ich aus, um mir die Füße warmzulaufen. Bei mehreren Häusern, an denen ich vorbei kam, zuckten Gardinen in die Senkrechte. Eine aufmerksame Gegend.

      Nach fast zwei Stunden kamen Lisa und Mike endlich zurück. Ausgesprochen fröhlich, wie mir schien. Ihre Daunenjacken standen trotz der Kälte offen. Es hatte Champagner gegeben. Und Stoff natürlich. Eine Flugkarte nach Paris war für Lisa bestellt worden. Telefonisch. Das passte ins Bild. In einer Woche sollte geflogen werden. Sie hätte nur Kurierdienste zu leisten. Eine kinderleichte Sache. Ich behielt meine Skepsis für mich.

      Auf jeden Fall nahm ich mir vor, dieses Mal am Flughafen zu sein. Bei meiner Tochter Jane war ich nicht so fürsorglich gewesen. Sie hätte es ohnehin nicht gewollt, denn sie hasste Abschiedsszenen ebenso wie ich. Außerdem bestand sie immer darauf, kein Baby mehr zu sein, was zweifellos richtig war. Wo sie jetzt wohl steckte?

      Kaum zu Hause, rief ich Judith an. „Noch keine Spur!“ sagte ich die Unwahrheit, um ihrer Neugierde zuvorzukommen. Der Mund wurde mir trocken dabei. Natürlich wollte sie wissen, wie es mir ging und ich wollte wissen, wie es ihr ging.

      „Warum hast du mich eigentlich wirklich nach Boston geschickt? Wahrscheinlich wolltest du mich nur los sein!“ sagte sie.

      „Genau!“

      „David, so etwas sagt ein Mann nicht zu seiner Frau!“

      „Weil ich Angst um dich habe! Und um unsere Tochter!“

      „Angst? Um mich?“

      „Weil ich ausreichende Phantasie habe und mir vorstellen kann, dass so ein Rauschgiftring, wenn er dahinter käme, dass der Vater eines verschwundenen Mädchens Nachforschungen anstellt und womöglich dabei Erkenntnisse gewinnt, das nicht besonders gut leiden könnte. Die Herren könnten vermutlich leicht auf den Gedanken kommen, uns einfach einen Besuch abzustatten, oder?“

      „Sollen sie doch!“ sagte Judith resolut.

      „Wahrscheinlich denkst du, es wäre ganz praktisch, dann könnten wir sie direkt nach dem Verbleib von Jane fragen. Das Problem ist nur, dass die Leute, die diese Frage beantworten könnten, nicht selber kommen, sondern üblicherweise ein Schlägerkommando oder einen Killer schicken, der davon nichts weiß. Die würden dann, wie sie das nennen, Ketchup aus uns machen. Keine sehr angenehme Vorstellung, als Opfer so zugerichtet zu werden, dass man nicht auf den Gedanken kommt, die Augen auf zu machen, selbst wenn man dazu noch fähig wäre!“

      „Das ist ja schrecklich, David! Und wie du jetzt schon redest! Kaum lässt man dich alleine, verrohst du total!“

      „Ja, das macht mein Umgang, der färbt ab!“ versuchte ich möglichst cool zu bleiben.

      Judith versprach, noch bei ihren Eltern zu bleiben. Ich bestellte Grüße und ließ sie in dem Glauben, dass die Sache bald vorüber sei und versprach mich öfter als bisher zu melden.

      Dann riss ich eine Büchse deutsch-lizensierten, amerikanischen Bieres auf, deklamierte den aufgedruckten Spruch „Hopfen und Malz, Gott erhalt’s!“ – wahrscheinlich mit einem, meinen deutschen Vorfahren unwürdigen Akzent – und leerte sie in zwei, drei Zügen.

      6. Kapitel

      Was konnte ich bis zum nächsten Mittwoch tun? Es war nie meine Art gewesen, zu warten, aber weitere Aktivitäten würden in dieser Sache nicht viel bringen. Eher im Gegenteil. Lisa musste erst einmal nach Paris und wieder zurück, dann würde man weitersehen. Das war jetzt etwas für die lange Leine. Übereifer konnte nur schaden. Außerdem brauchte ich Geld. Deshalb machte ich mich auf zu Mr. Rudford, meinem ehemaligen Boss.

      Die Firma, in der ich Jahrzehnte gearbeitet hatte, war eine große Werbeagentur in der Madison Avenue. Die Muttergesellschaft von einem internationalen Netz. Irgendwie hatten sie es geschafft, in dieser von Haien bevölkerten Branche hohes Ansehen zu erwerben. Eine Reputation ohne Fehl und Tadel. Wahrscheinlich durch harte Arbeit. Sie nannten es Kreativität. Mir kam es nie so vor, als wenn wir alle dort besonders schöpferisch gewesen wären. Im Gegenteil, ich fand, wir wären sehr solide gewesen. Tranken höchstens mittags ein paar Martinis auf Kosten der Medienvertreter, die uns zum Lunch einluden, und konnten dann danach keine klaren Gedanken mehr fassen. Aber sonst!

      Wer will, kann sich heute in der vielfach preisgekrönten TV-Serie „Mad Men“ ein Bild davon machen, wie es damals in der Agenturszene zuging. Es sind schon äußerst witzige und ironische Episoden um den Creative Director Don Draper und gekonnte Wortspiele allemal. Ja, so war es wahrscheinlich in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ich war zu jener längst vergangenen Zeit in der Madison Avenue dabei und mitten drin, kann mich aber nicht daran erinnern, jemals eine Frau so behandelt zu haben wie es die Filme zeigen. Es ist ohne Frage gut und aufwendig gemacht und es gab viele fantastisch aussehende, ehrgeizige Karrieregirls, aber ich habe mich an deren tatsächlichen oder vermeintlichen Problemen nicht beteiligt. Insofern habe ich davon wahrscheinlich auch nichts mitbekommen, sondern einfach über Konzepte nachgedacht und Headlines sowie Fließtexte geschrieben. Vermutlich habe ich rückblickend aus der Sicht mancher moderner Menschen etwas versäumt, doch genau genommen wüsste ich nicht wirklich was.

      Wenn man die Eingangshalle meiner, im Übrigen nicht fiktiven, sondern großartigen Agentur betrat, dachte man im ersten Moment man wäre in einer Kirche. Rundum Marmor und bunte Fresken an der gewölbten Decke. Wahrscheinlich nur irgendwelche Kopien aus Europa, aber sehr eindrucksvoll. Es wurde immer gemunkelt, sie wären billig an eine ehemalige Synagoge gekommen. Keine Ahnung. Überhaupt gab es haufenweise Gerüchte, wer die Gründer gewesen waren. Jedenfalls waren sie schon lange tot und jetzt gehörte die Firma einem Präsidenten und 99 Vize-Präsidenten, weil das Gebäude 25 Stockwerke hatte, mit vier Corner-Offices auf jeder Etage. Macht zusammen in der Addition? Genau! Wer als Partner ausschied, musste seine Anteile abgeben.

      Mir hatte sie nie Aktien angeboten und ich hatte auch nie danach gefragt. Wahrscheinlich war ich nicht im richtigen Golfclub oder in sonst einem der vielen Clubs bei denen man leicht die Übersicht verlieren konnte. Freimaurer und andere Geheimbünde, was weiß ich. Judith zog mich immer damit auf, dass ich nur deshalb kein Vize-Präsident wurde, weil kein Eckbüro frei war. Wie auch immer, wenn manchmal doch ein solches Büro leer stand, scheuten sie nicht die Ausrede, es gäbe schon einen neuen Besitzer, aber der habe sich noch nicht für seinen Fußboden entscheiden können. Denn es war eines der Privilegien auf diesem Level, sich seinen Bodenbelag für das Corner Office selbst auswählen zu dürfen. Fluktuation gab es auch und so musste der Boden manchmal mehrmals im Jahr herausgerissen und wieder neu verlegt werden. Fliesen, Teppich, Holz – in dem Bau wurde eigentlich immer gehämmert. Und alles nur wegen dieser Eckbüros, in denen selten jemand saß, weil die Vize-Präsidenten permanent auf Geschäftsreisen waren.

      Von der Halle, die wie eine Kathedrale aussah, gingen je zwölf Fahrstühle auf der linken und auf der rechten Längsseite ab. Die braunlivrierten Pförtner erkannten mich noch und ließen mich ungehindert passieren und in den Elevator steigen. Nur auf diejenigen, die etwas unsicher den Empfangsraum betraten, stürzten sie sich wie die Habichte.

      „Hello David!“ begrüßte mich Mr. Rudford, als ich meinen Kopf durch