Seit seinen Begegnungen mit ihr fühlte sich Alex irgendwie leer und durcheinander. Miss Winford hatte doch tatsächlich seinen Seelenfrieden durcheinandergebracht und er wusste nun nicht, wie er ihn wiederherstellen konnte. Ständig musste er an ihre rotblonden Löckchen denken, die ihr kleines, zartes Gesicht mit den großen blauen Augen umrahmten.
An diesem Abend, als er nun auf dem Weg zum Ball im Stadthaus von Lucy Winfords Eltern war, hatte er sich geschworen, dass Lucy es diesmal nicht schaffen würde, ihn wortlos irgendwo hinzuschleppen und einfach zu verführen. Er wollte stark bleiben und es zumindest versuchen, ihr ein paar Worte der Erklärung zu entlocken, bevor sie sich erneut auf ihn stürzen konnte. Oder vielleicht würde er dieses Mal selbst das Ruder während ihres Tête-à-Têtes übernehmen. Denn allmählich fühlte Alex sich aufgrund der Dominanz von Miss Winford ein wenig seiner Männlichkeit beraubt.
Der Vorsatz war gut, die Umsetzung gescheitert. Lucy hatte mit ihm wieder den Walzer getanzt und ihn danach durch die Menschenmenge schnurstracks die Treppe hinauf in ihr Zimmer gezogen. Alex fühlte sich erneut so überrumpelt, dass er kein Wort herausbrachte, ehe Miss Winford sich im wahrsten Sinne des Wortes auf ihn stürzte und wild küsste. Es fehlte allerdings wieder diese gewisse Leidenschaft. Es hatte mehr etwas Stürmisches, Verzweifeltes an sich. Da Alex diese Verzweiflung aber spürte, wollte er sich Lucy nicht verweigern und spielte wieder dieses unvernünftige und feurige Spiel mit. Doch diesmal beschloss Alex, den Ton des Spiels anzugeben, und hob Lucy unerwartet an den Hüften hoch und trug sie zum Bett.
2. Kapitel
Damit hatte Lucy nun wirklich nicht gerechnet. Ihr Auserwählter und bislang absolut höriger Liebhaber ergriff die Initiative und wurde aktiv. Ungeahnte Wogen der Lust durchströmten Lucy, und für kurze Zeit hörte sie auf zu denken.
Als Alexander, Duke of Kintbury, sie plötzlich hochhob, verlor Lucy den Boden unter den Füssen und ihr wurde schwindelig, während sie ihn weiterhin wild küsste. Zum ersten Mal nahm sie seine Lippen auf den Ihren so richtig wahr. Sie fühlten sich weich, warm und voll an. Plötzlich verlangsamten sie beide den Kuss und er wurde sinnlich und leidenschaftlich. Lucy war kurz davor, komplett die Kontrolle zu verlieren und sich diesem Mann willenlos hinzugeben. Rasch rief sie sich zu innerer Ordnung und versuchte, wieder selbst das Ruder zu übernehmen. Keine Gefühle - hatte sie sich vorgenommen. Sie würden nur zu Verletzung und Enttäuschung und erneutem bitteren Schmerz führen. Solange sie aber die Oberhand behielt, konnte ihr das nicht passieren. Nicht noch einmal. Denn noch ein weiteres Mal würde sie es gewiss nicht überleben.
Als Alex Lucy so abrupt hochhob, bemerkte er plötzlich eine Veränderung in seiner Gespielin. Es war, als hätte er sie wachgerüttelt. Außerdem verlangsamte sich das Tempo ihrer bislang stürmischen und unkoordinierten Küsse, die ihn trotzdem sehr erregt hatten. Er hatte das Gefühl, dass sie plötzlich begann, ihn zu spüren, ihn wahrzunehmen.
Auch Alex wurde dadurch von einem völlig unerwarteten Gefühl der Wärme durchströmt. Es fühlte sich an wie Leidenschaft und echte Zuneigung. Doch dieser Zustand wehrte nur kurz. Lucy kam offenbar wieder zur Besinnung und wurde erneut wild und unkontrolliert. Sie schien sich wieder in sich und eine Art Schutzhülle zurückzuziehen. Nichtsdestotrotz legte Alex sie behutsam auf das Bett und ließ sich von ihr nehmen und verführen.
Als sie beide fertig waren, was jedes Mal und erstaunlicherweise immer gemeinsam und zum selben Zeitpunkt passierte, schickte Miss Winford ihn ziemlich hastig und gefühlskalt aus dem Zimmer. Diesmal musste sie allerdings mit ihm sprechen, um dies bewerkstelligen zu können, da er sich ja in ihrem Zimmer befand. Diesmal konnte sie nicht einfach davonlaufen, so wie die anderen Male zuvor.
„Vielen Dank, du gehst jetzt besser“, sagte sie lediglich zu ihm.
Und da Alex wirklich nicht wusste, was er darauf antworten sollte, verließ er umgehend das Zimmer. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal kurz um. Miss Winford – Lucy - schenkte ihm daraufhin aber einen derart kalten, entnervten und zugleich verzweifelten Blick, so als wäre er nicht ganz bei Sinnen immer noch hier zu sein, dass Alex einfach nur so schnell wie möglich ging.
Erst auf dem Gang überprüfte er den Sitz seiner Kleidung und musste sich bemühen, langsam wieder klar denken zu können. Wie schaffte es diese recht kleine und zarte Frau, einen starken kräftigen Kerl wie ihn derart zu überrumpeln? Und das bereits zum dritten Mal! War er, Alex, wirklich so schwach?
3. Kapitel
Zurück in der Gegenwart
Lucy saß auf ihrem Bett und war ziemlich erschrocken über sich selbst. Sie war auch wütend auf sich selbst. Hastig sprang sie auf und begann, ihre Hochsteckfrisur vor dem Spiegel ihres Frisiertisches zu reparieren.
Was war hier nur passiert? Sie wollte sich ursprünglich darin üben, eine kalte Verführerin zu werden. Und nun war sie erneut im Begriff, ihr Herz zu verschenken. Gegen ihren Willen. Der Duke – Alexander - wäre heute fast zu ihrem Herzen durchgedrungen. Wie konnte das nur geschehen? Sie kannte ihn doch überhaupt nicht. Sie hatten kaum jemals ein Wort miteinander gesprochen. Und doch fühlte sie sich ihm bereits mehr verbunden, als ihr lieb war.
Sie sehnte sich nach ihm - nach seinen Berührungen. Und offenbar fühlte auch er sich in höchstem Maße zu ihr hingezogen. Was mochte er nun von ihr denken? Sie hatte ihn gar nicht zu Wort kommen lassen, weil sie solche Angst davor gehabt hatte, dass er irgendetwas sagen könnte, das sie verletzen würde. Sie wollte nun diesen Traum, diese kleine, heile Seifenblase, in der sie sich mit ihm in Lust vereinigen konnte, bewahren. Es durfte bloß nicht wieder zerplatzen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich auf ein derart unbesonnenes und törichtes Abenteuer einzulassen? Den Versuch, eine eiskalte und herzlose Verführerin zu werden.
In ihrer zweiten Saison - mit neunzehn Jahren - hatte sich Lucy mit einem jungen Adeligen, Lord Florian Livingstone, einem Viscount, verlobt und war damals ziemlich verliebt gewesen. Er war einige Jahre älter als sie, hatte dunkelbraunes Haar, braune Augen und ein schmales, längliches Gesicht. Florian war stets dunkel gekleidet gewesen, hatte aalglatt und schnittig ausgesehen. Auch seine Haare waren immer glatt an seinen Kopf frisiert gewesen. Im Nachhinein betrachtet wusste Lucy nun gar nicht mehr, wieso sie eigentlich so angetan von ihm gewesen war. Vielleicht hatte es damals an ihrem jugendlichen Leichtsinn gelegen.
Sie hatte ihm sogar - auf sein Drängen hin - frühzeitig ihre Jungfräulichkeit geschenkt, natürlich absolut im Geheimen. Sie hatte ihn Dinge mit sich anstellen lassen, die sie sich zuvor niemals erträumt hätte. Er hatte sie sozusagen in die Welt der körperlichen Lust und Begierde eingeweiht. Hatte ihr Dinge gezeigt, von denen sie nichts geahnt hatte.
Bis sie eines Tages plötzlich herausgefunden hatte, dass ihr Zukünftiger nicht nur mit ihr das Bett geteilt hatte. Er hatte mindestens noch zwei weitere Geliebte gehabt, wie Lucy voller Entsetzen und rein zufällig herausgefunden hatte. Für Lucy war damals eine Welt zusammengebrochen. Sie hatte die Verlobung unter dem Vorwand gelöst, dass sie sich noch nicht bereit für eine Ehe fühlte und es sich anders überlegt hätte. Daraufhin hatte sie sich gänzlich zurückgezogen.
Sie wollte nun nie wieder einem Mann ihr Herz schenken und riskieren, derart verletzt zu werden. Sie hatte sich von allen Gentlemen abgewandt, bis ihr Vater vor Kurzem verkündet hatte, sie müsse bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag verheiratet sein, sonst würde ihre jüngere Schwester Daisy das gesamte Erbe bekommen. Eigentlich war es Lucy egal, aber vollkommen mittellos, wollte sie dann doch nicht dastehen.
Sie hatte also beschlossen, ihr Herz und ihre Gefühle abzuhärten und selbst zu einer kalten Verführerin und gefühllosen Liebhaberin zu werden, um vor den möglichen Verletzungen eines künftigen Ehemanns gefeit zu sein und robuster zu werden.
4. Kapitel
Zwei Wochen früher
Für ihr Vorhaben hatte sich Lucy zu Beginn der Saison eigentlich Jason Warriner ausgesucht, einen blonden Schönling. Er trug immer sandfarbene Breeches und Jacketts in royalen Farbtönen