Nach der anfänglichen Begeisterung der deutschen Diakonenschaft für die nationalsozialistische Bewegung, die insbesondere auf dem Hamburger Diakonentag anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Rauhen Hauses 1933 ihren Höhepunkt fand und noch große Hoffnungen - auch für das volksmissionarische Anliegen der Diakone – in die „neue Zeit“ setzte, wollte man später gegenüber dem Machtanspruch der Nazis im Rahmen der „Entkonfessionalisierung“ durch allerlei Anpassungstricks versuchen, der Umklammerung und später der Verstaatlichung des Rauhen Hauses zu entgehen.
Wegen seiner Funktion bei der NSV saß er nach dem Zusammenbruch 1945 zwei Jahre bis 1947 bei der britischen Besatzungsmacht im Internierungslager. Im anschließenden Entnazifizierungsverfahren 1947 erhielt er Berufsverbot. Zu dieser Zeit wurde der erste Abschnitt des Goldenen Bodens wieder aufgebaut. Damit August Füßinger dem Rauhen Haus trotz des Verbotes wieder zur Verfügung stehen konnte, hatte ihn der ausführende Bauunternehmer Hammers bis zur Aufhebung des Berufsverbotes angestellt. Bruder Gottfried Scheer, der später mit dem Herausgeber dieses Buches zusammen in Dortmund als Geschäftsführer bei der Inneren Mission arbeitete, stand Fü lange Jahre ablehnend gegenüber und verurteilte besonders sein Verhalten während der NS-Zeit, bis er eines Tages ein Gespräch mit ihm unter vier Augen hatte und von Fü Details erfuhr, die ihn in seiner Meinung gegenüber Füßinger völlig umschwenken ließen. Fortan redete er nur noch in Hochachtung über diesen Mann.
Füßinger arbeitet unentwegt vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein. Er fährt grundsätzlich erst immer spät abends zum Katten- oder Brüderhof, den Zweiganstalten im Norden Hamburgs, weil dann kaum noch Verkehr herrscht und in der Anstalt keine großen Probleme mehr zu befürchten sind. Neben ihm sitzt dann meistens seine Frau, die ihn knufft, wenn das Auto wegen seiner Übermüdung ins Schlingern kommt. Auf den hinteren Sitzen fahren ein oder zwei Ausbildungsbrüder mit, die den VW-Bus auf den Höfen zu ent- und beladen haben.
Es ist erstaunlich, was da alles hin- und her transportiert wird: Milchpulver und Käse aus amerikanischen Spenden zu den Höfen und Fleisch ect. von den Höfen ins Rauhe Haus zurück. Gegen Mitternacht kommt man dann auf dem Kattendorfer Hof oder dem Brüderhof bei Harksheide, mitten im Moor, an. Anschließend folgt in der Nacht die Rückfahrt.
Fü redet nicht mehr, als er für unbedingt nötig hält und verabscheut unnötiges Geschwätz. Er bemüht sich, den Diakonenschülern eine „präzise Ausdrucksweise“ beizubringen und ihnen „leere Phrasen“ abzugewöhnen. Fü ist in der Brüderschaft sehr umstritten. Wegen seiner spröden und konservativen Art und oft wunderlichen Ansichten und Entschlüsse mögen ihn viele seiner Mitmenschen nicht. Sein Gerechtigkeitssinn und sein diakonischer Opfergeist bringen ihm aber auch viel Freundschaft und Anerkennung ein. Etliche ältere Brüder verehren ihn. Akademikern gegenüber ist er sehr skeptisch. Sie müssen ihm ihre Lebenstüchtigkeit in der Praxis erst unter Beweis stellen, bevor er ihre Leistung gelten lässt. – Fü hält viel von Physiognomie und Graphologie. Er schwört bei der Einschätzung ihm bisher unbekannter Menschen auf Lichtbild und Schriftprobe. Eltern, die ihre Söhne dem Rauhen Haus zur Erziehung anvertrauen wollen und sich um einen Platz bewerben, müssen ihm von diesen auch immer Bild und Schriftprobe vorlegen. – Fü ist durch und durch Sicherheitsfanatiker. Als ich ihn später einmal von Soest aus mit dem Auto mitnehme, ermahnt er mich immer wieder, ja nicht so schnell zu fahren, er habe ständig Angst vor einem Unfall. Er selber „schleicht“ als Autofahrer immer und hält den Verkehr hinter sich auf. – Ich kenne ihn nur mit Nickelbrille und in schwarzem Anzug mit schwarzer Krawatte. Füßinger spricht immer etwas näselnd. Einige seiner Zitate mögen ihn mit seinen eigenen Worten charakterisieren: „Samariter sein wollen mit Rat und Tat: das ist unser Lebenselexier.“ – „Wahrheit ist die beste Taktik.“ – „Leere Töpfe klappern am meisten.“ – „Es menschelt überall.“ – „Der erste Griff ist der nach einem verbotenen Apfel, der zweite ist der Griff in die Kirchenkasse.“ - „Die Weisheit hat nichts mit Großmächtigkeit zu tun.“ – „Die Demokratie endet an den Mauern des Rauhen Hauses.“ – „Zwischen einem Bruder und einer Haustochter steht am besten immer ein breiter Tisch.“ – „Wer gut verheiratet ist, der hat ein natürlich gutes Ansehen.“ – „Die Ehe ist die Verknüpfung des Herzhaften mit dem Maßvollen.“ – „Die Vernunftehe richtiger Prägung ist eine Neigungsehe mit sozialer Durchführbarkeit.“ – „Komplikationen in der Ehe kann man nicht zurechtreden, sondern nur zurechtschweigen.“ – „Man soll der Frau immer das letzte Wort, dem Mann aber die letzte Entscheidung lassen.“ – „Der Schrei nach dem Kinde wird bei der Frau nicht verstummen.“ – „Nach dem zweiten Kind hört die Gemütlichkeit auf.“ – Über die Frauen behauptet er: „Sie sagen nicht, was sie denken, und denken nicht, was sie sagen.“ – „Eine gute Frau ist immer schön, auch wenn sie einen Buckel hat.“ – „Die Frau soll im allgemeinen 7 bis 9 Jahre älter als die halben Lebensjahre des Mannes sein.“ –„Im weiblichen Wesen ist eine atmosphärische Kraft vorhanden.“ – „Eine untüchtige Frau ist eine dauernde Missernte.“ – Ein Soll-Zitat: „ Für unsere Brüder haben wir immer Arbeit, und wenn sie einen Haufen Dreck von hier nach dort und von dort wieder nach hier karren müssen.“ – Brüder, die sich nicht mit der kirchlichen Verwaltungsprüfung anfreunden wollten, gab er zu bedenken: „Denken Sie auch mal an das Alter, wenn Sie in der Jugendarbeit und als Treppenterrier nicht mehr taugen.“ – Fü machte sich auch gerne das Bismarckzitat zueigen: „Gelogen wird am meisten vor der Wahl, im Kriege und nach der Jagd.“ - Über sich selber sagte er: „Ich habe ein besonderes Verhältnis zu Metall. Auch wenn ich Millionär wäre, würde ich nur in Metallbetten schlafen.“ – „Ich war in meinem Leben nur bei zwei Arbeitgebern tätig: beim Hamburger Lloyd und beim Rauhen Haus.“ – „Ich pflege alle Erfahrungen nur einmal zu machen, wenn ich sie überhaupt an mich herankommen lasse.“ – „Fremde, etwa Mitreisende im Zug, schätzen mich entweder als Pastor oder als Kriminalbeamten ein.“ – „Niemand war in der 130jährigen Geschichte des Rauhen Hauses dort so lange mit Verantwortung tätig wie ich.“ – Von seinen Nachfolgern im Rauhen Haus erwartet er, „...dass sie den jetzigen Status dem Jahre 2000 kräftig entgegenführen.“
Am 1. April 1966 traten August Füßinger und seine Frau nach fast 40jähriger aufopfernder Tätigkeit für das Rauhe Haus in den Ruhestand. Ein Zitat im Juni 1966: „Jetzt bemühe ich mich, ein tüchtiger Rentner zu sein.“ (Einige Daten über August Füßinger stammen aus der Studie „Brüderschaft und 3. Reich“ – 1981/88, zum Teil auch von seinem Sohn Gerhard).
Nach Füßinger ist Bruder Gerhard Niemer (siehe Band 11 „Genossen der Barmherzigkeit“ – bei amazon.de