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Inzwischen war es in unserer Zelle dunkel geworden. Ich hatte erzählt, das Abendessen war gekommen, das Licht wurde ausgemacht und Nachtruhe angemahnt.
„So etwas hätte ich auch gern mal erlebt,“ flüsterte Ännchen zu mir herüber. Ich bin eigentlich nie in Urlaub gewesen. Edi hat unser Geld immer versoffen.“
Am nächsten Vormittag wurde ich beim Hofgang aufgerufen.
„Sie sollen reinkommen, Ihr Anwalt ist da,“ sagte die Wärterin.
‚Dieser unsägliche Kluge’, dachte ich.
Aber es war Mark, der etwas verlegen im Besucherraum stand.
„Du?“, fragte ich überrascht, „hat Jochen nicht mit Dir gesprochen?“
„Du hast mir eine Vollmacht gegeben. Noch bin ich Dein Anwalt. Ich bin also für Dich verantwortlich. Ohne dass Du mir den Fall offiziell entziehst, muss ich weiter für Dich tätig sein.“
„Das ist mir aber sehr peinlich. Ich will Dich wirklich nicht verärgern. Jochen hatte gemeint, Ihr wäret Euch einig, dass Kluge einen Totschlag für mich aushandelt.“
Ich war völlig ratlos.
„Komm, setz Dich mal. Das mit der Kungelei solltest Du nicht so laut sagen. Ich hätte Kluge nicht für so unvorsichtig gehalten, dass er völlig ungeniert über seine Rotary-Kontakte spricht. Es könnte ihn die Lizenz kosten. An der Sache ist was faul. Man will Dich zumindest für einige Jahre hinter Gitter sehen.“
„Aber warum denn,“ rief ich völlig außer mir. „Jochen liebt mich. Er wird die fünf Jahre auf mich warten.“
Ich brach in Tränen aus. Leise und eindringlich redete Mark auf mich ein:
„Ich muss Dir sehr weh tun. Du weißt, Jochen ist mein Freund. Aber ich liebe Dich auch, und ich sehe, dass er Dich die ganze Zeit hintergeht. Er hat eine andere Freundin, ein junges Mädchen aus begüterter Familie. Ihr Geld würde ihm sehr gelegen kommen, um seine Schulden abzubauen. Ich sehe, dass der Tod seiner Frau allein für ihn Vorteile hat.“
Er machte eine Pause, und ich sah ihn entgeistert an.
„Mark,“ sagte ich langsam, „Du bist eifersüchtig, und Du verleumdest einen guten Freund.“ „Ich bin eifersüchtig, rasend eifersüchtig. Aber ich verleumde keinen guten Freund.“
Ich schüttelte resigniert den Kopf. Was sollte ich nur denken, wem glauben? Ein quälendes Misstrauen zerrte an mir, und ich hatte das Gefühl als ob jeden Moment riesige Felsbrocken auf mich herabstürzen müssten.
„Glaub mir doch“!
Er sah mich eindringlich, beinahe beschwörend an.
„Sie werden Dich noch einmal verhören. Dabei sollst Du gestehen. Wenn Du gestehst, hast Du bei einem späteren Widerruf schlechte Karten. Und widerrufen wirst Du, wenn Du merkst, dass aus dem versprochenen Deal nichts wird.“
„Ich muss meine Gedanken erst einmal sortieren“, stammelte ich hilflos.
„Tu das“, Mark drückte meine beiden Hände so fest, dass sie schmerzten. „Sage nichts ohne meine Anwesenheit, versprich mir das!“
Ich erreichte meine Zelle wie unter Hypnose. Meine Bewegungen erfolgten mechanisch, mein Körper gehörte mir nicht mehr. Ich stand neben mir und sah mir zu. Jemand nahm meinen Arm und schüttelte ihn heftig. Erstaunt sah ich in Ännchens besorgtes Gesicht.
„Rosi, Rosi,“ rief sie, „was ist denn passiert? Komm, setz Dich doch. Komm, erzähl mir doch von Mallorca.“
Langsam kehrte ich in meinen Körper zurück und merkte, wie er zitterte.
Kapitel IV
Die drei feurigen Musiker von der Tanzkapelle im „La Sangria“ waren unserer Meinung nach zu schade für diese Kneipe, in der sie auftraten, und wir glaubten, dass sie recht bald entdeckt und berühmt werden müssten. Sie boten alles, was man zum Erfolg braucht: souveräne Beherrschung ihrer Instrumente, guten Rhythmus, schöne Stimmen und Sex Appeal. Das Lieblingslied der Gäste war:
„Everyday is sunday in Mallorhorhorca“.
Jeder sang begeistert mit. Schließlich kam, worauf alle schon die ganze Zeit gewartet hatten. Die Jungens sangen
„Titdidulidulit Didulidulit quäck, quäck, quäck“, und dann folgte der Elvis-Presley-Heuler „It´s now and never. Come hold me tight.“
Die Frauen wiegten ihr Köpfe mit geschlossenen Augen sangria-selig lächelnd hin und her. Und beim anschließenden Applaus war in manchen hingebungsvollen Blicken ein unübersehbares Angebot an die hübschen Boys enthalten.
Kurti und ich konnten nur mühsam einen Lachanfall unterdrücken.
„Ist das nicht umwerfend“? fragte er mich augenzwinkernd.
„Ja,“ kicherte ich, „Guck mal, die da, die macht sich gleich vor Begeisterung was in die Hose“.
Ich machte eine unauffällige Bewegung in Richtung auf unsere Tischnachbarin, die vor Wonne zu schmelzen schien.
Nicht unwesentlich zur guten Stimmung trug die Karaffe mit Sangria bei, die unaufgefordert jedem gebracht wurde. Sie war reichlich bemessen und erforderte keine Nachbestellung. Man konnte sich völlig der Urlaubsstimmung, so wie sie sich der kleine Fritz immer vorgestellt hatte, überlassen. Eine Stimmung am Rande von Kitsch und Sentimentalität.
Auf dem Nachhauseweg fassten wir uns um die Taille und schubsten uns gegenseitig von einer Straßenseite auf die andere. Dabei sangen wir
„Titdidu-lidulitt quäck, quäck ,quäck.“
„Guck mal“, sagte Kurti, „an der Imbissbude steht immer noch eine Schlange“.
„Sagenhaft“, staunte ich. „Es ist weit nach Mitternacht. Komm, wir versuchen mal einen spanischen Hamburger. Müssen besonders gut sein.“
Wir stellten uns an. Den ganzen Tag über warteten die Leute geduldig, um eine Frikadelle mit Brötchen zu ergattern. Wir waren neugierig geworden, aber wir wollten nicht eine halbe Stunde wegen eines Klopses herumstehen müssen. Jetzt waren nicht mehr so viele Hungrige da, und wir genehmigten uns einen Mitternachtsimbiss. Der kleine spanische Mann mit dunklen Locken und schelmischen schwarzen Augen wirkte ziemlich geschafft. In seinem Blick war eine Mischung aus Stolz, Unterwürfigkeit und Hektik. Er lief eifrig hin und her, wurschtelte hier, wurschtelte da und warf uns gespielt verzweifelte Blicke zu, weil der Bratvorgang so lange dauerte. Wir amüsierten uns. Der Arbeitsablauf war nicht von irgendwelchen REFA-Normen angekränkelt, aber nie wieder habe ich gesehen, wie jemand mit solcher Hingabe seine Buletten brutzelte. Inzwischen lief uns schon durch den Bratenduft das Wasser im Mund zusammen, und als wir unseren Hamburger endlich hatten, bissen wir mit der Gier von Verhungernden hinein.
Wir setzten uns auf die Hotelterrasse, horchten auf das Meeresplätschern und genossen unsere Zusatzration.
„Komisch,“ sagte Kurti, „vor einigen Jahren haben die Deutschen ihren Nachbarn noch die Köpfe eingeschlagen und sich in der ganzen Welt unbeliebt gemacht, und jetzt fahren wir für einen Hamburger nach Mallorca und werden freundlich behandelt.“
„Na, ja“, meinte ich, „für Geld tut mancher manches“.
„Man hätte Hitler und seine Truppe in so eine Sangria-Kneipe stecken und sie „titdidulidulitt quäck, quäck, quäck“ singen lassen sollen“, schlug Kurti vor.
„Leider muss man davon ausgehen, dass die das als Marsch gesungen hätten“, antwortete ich, „und die Sangria hätten sie nicht angefasst. Weißt Du, ich habe mal einen einsamen alten Mann in ein italienisches Schlemmerlokal eingeladen.