Der junge Fremde sah sich um – eine Droschke fuhr eben an dem dicht vorbeilaufenden Fahrweg hin, und er winkte dem Kutscher, zu halten.
„Ich habe einen Ermordeten hier und ein junges Mädchen, die ich nach Hause fahren will.“
„Eh, Sir?“, sagte der Mann. „Möchten aber wohl erst die Polizei dazu rufen – verlangen immer, das erste Wort darin zu sprechen.“
„Die Polizei wird sich wohl wenig um den Mann bekümmern“, sagte der Fremde, „es ist ein Neger.“
„Ein Nigger?“, rief der Droschkenkutscher und warf die Nase verächtlich in die Höhe. „Fahre weder tote noch lebendige Nigger, Sir“, und seinem Pferd die Peitsche gebend, trieb er es die Straße hinauf.
Der junge Fremde sah ihm mit einem verbissenen Fluch nach – aber was war zu tun? – Er hätte können fünf oder sechs Droschken anrufen und würde von allen die nämliche Antwort erhalten haben! N i g g e r! Der erbärmlichste, durch den Stoff bis tief unter das Vieh gesunkene Irländer würde sich zu gut gehalten haben, einen Neger auf seinem Karren nach Hause zu fahren, und seine einzige Hoffnung blieb jetzt, ein paar farbige Leute zu finden, die den Ermordeten von der Straße schafften.
Es hatte sich indessen eine große Menschenmenge um die Leiche versammelt, die man aber aus dem Gleis fortschaffen musste, da schon wieder ein Waggon derselben Bahn angerollt kam und die Verbindung nicht unterbrochen werden durfte. Die Leute standen scheu darum her und flüsterten miteinander, was das zu bedeuten habe, dass eine w e i ß e Lady um einen N i g g e r jammere. Es war nicht möglich, die bisherige Sklavin, wie sie da so gebeugt über den Ermordeten lag, als eine solche zu erkennen.
Indessen war aber doch die Polizei aufmerksam geworden, da eine Hauptstation gar nicht so weit davon entfernt lag. Ein paar Constabler kamen heran, wandten sich an den eben zurückgekehrten Fremden, der sich gerade Mühe gab, dem jungen Mädchen zuzureden, sich zu erheben und nicht noch mehr Aufsehen zu erregen.
„Wer hat den Neger erschlagen?“
„Ein Amerikaner, den ich nicht kenne; er entkam in die Street car, die dieser hier vorangegangen ist. Es waren drei Herren im Coupe und eine alte Dame.“
„Waren Sie Zeuge?“
„Ja – ich befand mich mit darin und sprang ab, um dem unglücklichen jungen Mädchen hier zu helfen, die in Begleitung des Toten da kam und einsteigen wollte.“
„Gehört sie zu ihm?“
„Allem Anschein nach ja, Sie sehen ihre Trauer.“
„Sie kennen sie nicht?“
„Nein.“
„Sie werden mit auf die Polizei müssen, um Ihre Aussage zu Protokoll zu geben.“
„Wenn Sie es verlangen, mit Vergnügen; aber was wird indessen aus der jungen Dame?“
„Wir werden sie bitten, mitzugehen.“
Der Polizeidiener schien in derartigen Dingen bewandert. Er hatte rasch ein paar Neger erspäht, die er wahrscheinlich kannte, und diesen den Auftrag gegeben, den Körper des Ermordeten auf die nächste Polizeistation zu schaffen; dann rief er eine Droschke herbei, und wenn es auch einige Mühe kostete, das junge Mädchen zu bewegen, sich von dem Toten zu trennen, so brachten das einige freundliche Worte des jungen Fremden, der sie darauf aufmerksam machte, wieviel Menschen sich schon sammelten, endlich dahin. Die Polizei verlangte es ohnedies, wie er ihr sagte, und der durfte sie sich ja doch nicht widersetzen.
Der zweite Polizeidiener hatte indessen schon eine andere Droschke genommen, um so rasch als möglich den bezeichneten Straßenwaggon zu verfolgen und den eigentlichen Mörder aufzufinden. Freilich war indessen schon viel Zeit vergangen und der Verbrecher hatte Zeit genug gehabt, an irgendwelcher Straße abzusteigen und in dem Gewirr der dort liegenden Landhäuser und Gärten zu verschwinden.
Auf der Polizei angekommen, wo bald darauf die beiden Träger mit dem Körper von ,Onkel Pitt’ eintrafen, musste Hebe, wie das junge, unglückliche Kind hieß – sie hatte ja keinen anderen Namen – ihre Aussage zu Protokoll geben – und dabei ihre Lebensgeschichte.
Es war ein einfaches, aber ergreifendes Bild jener Zustände, die der Fluch der Sklaverei geschaffen und an denen Tausende und tausend unglückliche Wesen zugrunde gingen oder, geistig wie körperlich zu Boden gehalten, in Knechtschaft ihr Leben verbrachten.
Hebe wusste gar nicht, wo sie geboren war, und erinnerte sich nur noch dunkel einer Frau, die sie gepflegt, und die wahrscheinlich ihre Mutter gewesen – dann war diese auf einmal nicht mehr zu ihr gekommen, und eine alte Negerin übernahm ihre Pflege. Auch diese starb, aber sie selber war indes so herangewachsen, dass sie leichte Hausdienste übernehmen konnte. Das war im Hause eines reichen Pflanzers am See Pontchartrain, dem sie auch gehörte – dem Herrn Owen Karr. Als sie aber heranwuchs – und das arme Kind stand dabei wie mit Blut übergossen – wurde ihr der Aufenthalt in dem Haus zur Qual, bis plötzlich die Nachricht kam, das a l l e Sklaven frei wären und von ihren Herren nicht zurückgehalten werden dürften. Da floh sie das Haus, und ein alter, freier Neger, den sie kannte, eben jener Unglückliche, ,Onkel Pitt’, nahm sie in sein Haus auf. Er wohnte noch eine kurze Strecke hier hinauf in einer Seitenstraße. Heute nun war sie mit ihm in der Stadt gewesen, um sich, dem neuen Gesetz nach, unter einem bestimmten Namen eintragen zu lassen, unterwegs aber von der Hitze matt und halb ohnmächtig geworden, sie hatten die Pferdeeisenbahn benutzen wollen und da – sei das Entsetzliche geschehen und der alte, gute Mann, der sie wie ein Kind aufgenommen, bei dem allein sie ihre Zuflucht gesucht und Schutz gefunden – ermordet worden.
„Kannten Sie den Menschen, der das verübt?“
„Nein – er hatte nur nicht dulden wollen, dass ein Neger den Straßenwaggon bestiege.“
„Würden Sie ihn wiedererkennen?“
Sie wüsste es nicht, er hätte ihr den Rücken zugedreht gehabt.
„D i e s e r Herr sei es nicht gewesen?“
„Oh nein, wahrlich nicht; dieser Herr hatte ihr nur geholfen, den Wagen zu verlassen, nachdem der Schuss schon gefallen, während ein anderer sie hatte zurückhalten wollen.“
„Hatte der Tote Familie?“
„Ja – seine Frau lebte noch, und selbst deren alte Mutter hatte er bei sich.“ Die alte Frau war auch frei gewesen, denn wie sie zu alt wurde, um noch etwas zu arbeiten, hatte sich ,Onkel Pitt’ erboten, sie zu sich zu nehmen und für sie zu sorgen, wenn ihr ihr vormaliger Herr einen Freibrief schreiben wollte, was dieser denn auch gern getan. Er brauchte von nun an ja nicht mehr für sie zu sorgen, und das war alles, was er ihr für die treuen Dienste eines Lebensalters gab.
Die Gerichte in den südlichen Staaten hatten damals einen schweren Stand, denn der Umschlag von Sklaverei zur Freiheit in der farbigen Rasse war zu schnell gekommen, um diese mit ihren Rechten sowohl als ihren Pflichten vertraut zu machen. Aber auch die bisherigen Herren konnten oder wollten noch nicht begreifen, dass sie Privilegien, die sie von ihren Vätern ererbt, entsagen und sich in die neuen Gesetze finden müssten. Es war, mit einem Wort, noch alles zu neu – noch nichts geregelt, und schwer, da immer zur rechten Zeit und in der rechten Weise einzugreifen. Außerdem aber hatten selbst viele der nördlichen Beamten noch immer Sympathien mit dem Süden, da man sie von Jugend auf, selbst in den nordischen Staaten, gelehrt, dass die Neger oder N i g g e r, wie man sie allgemein verächtlich nannte, eine vollkommen untergeordnete Menschenrasse, ja sogar näher dem Tier als den Menschen wären. Nicht allein die südlichen Pflanzer, die ihr Eigennutz dazu trieb, nein auch selbst einige dickköpfige deutsche „Gelehrte“ sprachen ihnen sogar menschliches Gefühl ab, und die südlichen Geistlichen bewiesen dabei aus der Bibel, aus der sich, wie bekannt, a l l e s beweisen lässt, dass Gott selber die Sklaverei eingesetzt und gebilligt habe.
In diesem Fall war also, der Meinung der Herren nach, nichts zu tun, noch dazu, da der Schuldige später nicht einmal aufgefunden werden konnte. Die drei jungen Leute hatten, um unangenehmen