Der junge Hauptmann hatte sich wieder zu einem der Unteroffiziere gewandt und diesem die nötigen Befehle gegeben, da sie hier auch nicht zu lange verweilen durften, als er sich plötzlich an dem einen Arme leise und schüchtern berührt fühlte. Wie er den Kopf dahin wandte, erkannte er ein kleines, bildhübsches Negermädchen in einem schneeweißen Kleid, das scheu zu ihm aufsah und doch auch wieder dabei den Blick in Angst zur Seite warf, ob „Missus“, ihre Herrin, sie wohl beobachte, und ob sie nachher böse darüber sein würde. Aber es war ja doch nichts Unrechtes, das sie hier wollte.
„Nun, Kleine? – Was gibt’s?“, sagte der Offizier freundlich. „Was hast Du, Kind?“
„Ach, Sir“, flüsterte Liddy, indem sie verschämt und furchtsam an ihrem Rockband zupfte, „ist es denn wahr, was Bob da drin erzählt?“
„Und was erzählt Bob?“
„Dass wir alle frei wären und hingehen könnten, wohin wir wollen?“
„Das ist allerdings wahr – aber willst D u nicht bei Deinen Eltern bleiben?“
„Ach wie gerne, Sir“, klagte Liddy, „wenn ich nur wüsste, wo sie wären.“
„Sind sie nicht hier?“
„Ach nein, Massa – weit, weit oben im Land, irgendwo an einem großen Fluss habe ich sie zum letzten Mal gesehen, und dann wurden wir – die Schwester und ich – hierher gebracht und verkauft.“
Der junge Hauptmann biss die Lippen zusammen. „Und wo war das?“, frug er endlich.
„Auf einem Dampfboot…“
„Nein, in welchem Staat…“
„Ja, das weiß ich nicht, Massa, ich kannte das Land nicht; ach, wenn Sie uns nur dort hinaufschicken könnten. Mutter jammert gewiss nach uns.“
„Armes Kind“, sagte der Soldat weich, „und solche Schurkerei aufrecht zu erhalten, dafür schlägt sich noch ein ganzes Volk. Die Pest über die Schufte.“
„Und wollen Sie uns dahin bringen, Massa?“, drängte die Kleine.
„Ja, mein liebes Herz“, sagte Helldorn, „wie k a n n ich, wenn ich selbst wollte. Ich darf hier die Truppe nicht verlassen. Wo wohnen denn Deine Eltern jetzt? Bei welchem Herrn sind sie? Gib mir den Namen und ich will mich danach erkundigen lassen.“
„Den Namen?“, sagte die Kleine ängstlich. „Ja – ich heiße Liddy, meine Schwester Polly – mein Vater hieß Sip und meine Mutter Sarah – weiter habe ich nie einen Namen gehört, und der Herr, bei dem wir waren, hieß Mr. Boyd in Kentucky; wie sie uns aber erzählten, hatte er eines Nachts sein Geld verspielt und musste einen Teil von uns verkaufen, und da nahm uns denn der böse Mann mit fort und brachte uns auf ein Boot, das den Fluss hinunterging. Was aus Mutter und Vater geworden ist, und wo sie jetzt sind, weiß keine von uns Kindern.“
„Ihr seid zwei?“
„Ja, da drüben die Schwester und ich – oh, wenn wir nur erfahren könnten, wo unsere Mutter jetzt lebt. Was hilft uns die Freiheit, wenn wir die Eltern nie wiedersehen sollten?“
Hauptmann Helldorn nickte schweigend mit dem Kopf; aber wenn ihm auch das Leid des Kindes zu Herzen ging, was k o n n t e er dabei tun und wie ihm helfen? Es war eben nicht möglich, denn Familiennamen hatte man, wahrscheinlich absichtlich, bei den Negern nie geduldet, um es nicht so auffällig zu machen, wenn gerade solche Familien auseinandergerissen wurden. Der Mann hieß Scipio, Nero, Bob oder sonst wie, die Frau bekam ebenfalls ihren Namen: Nelly, Sarah, nach der Laune der Frau, und behielt den auch nach ihrer Verheiratung mit einem der anderen Neger von der Plantage bei; denn Heiraten unter Sklaven von verschiedenen Plantagen wurden nie geduldet, weil die Ehegatten mit Hin- und Hergehen zu viel Zeit versäumt haben würden. Waren aber die Eltern der Kinder, wie es hier der Fall zu sein schien, von dem Dampfboot ab an irgendeinem anderen Landungsplatz verkauft worden – wer hätte den dann wiederfinden wollen und wer konnte sagen, ob die Betreffenden nicht schon Hunderte von Meilen in das Land hineingeschleppt waren?
Der Offizier konnte dem Kinde auch keine Hoffnung geben; seine Leute erforderten ebenfalls wieder seine Aufmerksamkeit, und Liddy zog sich scheu, aber jetzt mit recht traurigem Herzen zu der Schwester zurück. Die anderen freigewordenen Neger jubelten und jauchzten – was half ihr und der Schwester die Freiheit. S i e standen allein und verlassen in der Welt, und eine Sorge, die sie früher nie gekannt hatten – die Sorge um die Zukunft, das Gefühl gänzlicher Verlassenheit, zitterte durch ihre jungen Herzen.
Die Reiter brachen auf, um sich wieder dem Haupttrupp anzuschließen; aber jetzt kam auch Leben in die Neger, denn wie nur ein Verdacht in ihnen aufstieg, dass ihr alter Massa, nach Abzug der Truppen, doch am Ende wieder Gewalt gebrauchen könne, um sich ihre Arbeit zu sichern und sein bisheriges Eigentum nicht zu verlieren, da gingen sie gemeinschaftlich daran, ihre Sachen zu packen und sich den nördlichen Truppen anzuschließen. Ihr Gepäck war ja auch wahrlich nicht groß und bald zusammengeschnürt, denn eigentliches Eigentum besaßen sie nicht einmal, wo selbst die Jacke, die sie auf dem Leib trugen, dem Rechte der südlichen Staaten nach von dem Herrn beansprucht werden konnte und, ebenso wie ihr Körper, sein gesetzliches Eigentum war. Wie aber ihr Körper frei wurde, beanspruchten sie auch das, was er zu seiner Bekleidung brauchte – wohin aber selten oder nie Schuhzeug gehörte – und Mr. Taylgrove sah plötzlich, wie alle seine besten und kräftigsten Arbeiter, wenigstens das ganze junge Volk, aufbrach und die Plantage verließ. Aber er war wie gebrochen, und als Hall, sein Aufseher, seinen Unmut nicht unterdrücken konnte und ihn frug, ob er das dulden wolle, winkte er ihm nur mit der Hand, stieg langsam von seinem Pferde, führte es selber – was er noch nie getan – in seinen Stall, ging dann in das Haus und in sein Zimmer und schloss sich dort ein.
VIERTES KAPITEL
General Sherman.
Wildes Leben herrschte in Belleville selber, als der durch wenigstens zwanzig Sklaven vermehrte Zug dort eintraf und Hauptmann Helldorn jetzt vor dem Courthause anhielt.
Die Schwarzen, die sein Leutnant mitführte, hatten sich schon teils auf die benachbarten Plantagen, teils in dem kleinen Ort selber verteilt, und wie ein Lauffeuer zuckte der elektrische Ruf: "Frei, frei!“ durch den weiten Plan.
Wie die Neger auf Mr. Taylgroves Plantage wohl mit äußerster Strenge, aber nie mit durchdachter Grausamkeit zu ihren Arbeiten angehalten worden, so dass sie bis dahin wohl F u r c h t vor ihrem Herrn gehabt und nie Liebe zu ihm gefühlt, aber gerade auch keinen Hass, der in diesem Moment zum Ausbruch hätte kommen können, so war das hier im Ort, und mit der traurigen Szene, die sich heute Morgen erst vor ihnen abgespielt, etwas Anderes; und kaum war der erste Freudentaumel verraucht, der die ganze schwarze Bevölkerung erfasste, als ein einzelner Ruf der überdies wild aufgeregten Masse ein bestimmtes Ziel gab und sie dem, wie ein losgebrochener Katarakt, entgegentrieb.
„Die Bluthunde!“, schrie eine Frau. „Unseren frommen Prediger haben sie mit denen gehetzt und er liegt jetzt in Ketten. Macht den Mann frei und schlagt die Hunde tot!“
„Und den weißen Schuft auch!“, gellte ein alter, weißwolliger Mann dazwischen, und wie eine Lawine drängte der Schwarm dem Gefängnis zu, das auch im Nu erbrochen wurde, während man mit Jubelrufen den Gefangenen befreite. Als sie ihn aber in seiner engen, schmutzigen Zelle, zusammengeschnürt und mit Ketten fast bedeckt, auf dem nackten Boden hingestreckt fanden und wussten, dass er nicht aus der Gotteswelt gesündigt, als nur den Versuch gemacht hatte, ihnen in ihren Leiden Trost zu bringen, ja dass jedes Wort wahr gewesen, das er zu ihnen gesprochen, da brach der Grimm in ihren Herzen in helle Glut und Lohe aus.
Man hatte auch jetzt erfahren, wer der Verräter gewesen, der ihn den Weißen angegeben – einer der Negertreiber auf Urguards Plantage, Benjamin mit Namen oder Ben genannt, ebenfalls ein Mulatte, der mehr seine schwarzen Brüder und erbarmungsloser gepeitscht, als zwanzig Weiße es wohl je getan.