„Ja, ja, schnell, schnell! Wind und Wetter sind unberechenbar“, wusste Birne und drängte zu sofortigem Loskrabbeln.
Entschlossen hielten sie sich an ihren zierlichen Händchen. Gemeinsam beeilten sie sich, unter ein hartes, borkiges Rindenstück am knorrigen Baumstamm zu schlüpfen.
„ZZTZZZ!“ SCHON ZUCKTE EIN GRELLER BLITZ aus den mächtig aufgeblähten Wolken. Wenige Sekunden später rollte krachend der Donner über das Obstbaumwäldchen hinweg. Birne und Mucks ängstigten sich. In ihrem dunklen, von der Tageshitze aufgewärmten Unterschlupf schmiegten sie sich eng aneinander.
„Platsch! Plitsch! Platsch!“, klatschten erste, schwere Regentropfen auf den grünen Blätterdschungel des stattlichen Apfelbaumes. Rasch verdichteten sich die unzähligen Regentropfen zu einem heftigen Wolkenbruch. Auch mehrere dicke, schneeweiße Hagelkörner hatten sich unter die prasselnde Regenflut gemischt. Dazu kam böiger Wind auf. Kraftvoll, kühl und wild blies er ins Geäst, dass die Blätter nur so raschelten.
Wie jedes Mal bei Gewitter, Sturm und Regen, wurde dem putzigen Blattlauspärchen angst und bange. Schlotternde Beinchen klammerten sich unter der dicken Baumrinde fest, um nicht von einem plötzlich fauchenden Windstoß erfasst und davongeweht zu werden.
Nun goss es wie aus Kübeln. Das grellgelbe Aufzucken sich schnell entladender Blitze aus tiefgrauer Unwetterbewölkung, tauchte die ländliche Umgebung in gespenstische, bläulich violette Lichtmomente. Donner krachten und grollten. Minutenlang. Der Sturmwind tobte und pfiff sein ungestümes Lied.
WAS FÜR EIN GLÜCK! So rasch wie der zornige Unwettersturm sich ausgebreitet hatte, so windseilig war die Gewitterfront weitergezogen. Bald darauf zeigte der Spätnachmittagshimmel wieder sein schönstes Blau in gereinigter, duftender Luft über dem kleinen Hain, dessen Obstbäume voller süßer, schon zur Ernte reifer Früchte hingen.
Die intensiven Sonnenstrahlen ließen die unzähligen Apfelbaumblätter unter der Nässe glänzen. Überall im Astwerk tropfte und raschelte es. Tausende Regentropfen hüpften von Blatt zu Blatt. Geschwind suchten sie sich ihren Weg in den feuchten, dampfenden Wiesengrund. Viele versickerten dort ins Erdreich, wo das milde Sonnenlicht sie nicht mehr erwischen und verdunsten lassen konnte.
Das Blattlauspärchen hatte das Unwetter heilfroh überstanden. Im wohlig warmen Rindenunterschlupf waren sie weder nass geworden noch hatte sie eines der lebensgefährlichen Hagelkörner getroffen oder ein Windstoß hinweg gepustet.
Nach einer Weile wollten sie sich wieder hinauswagen, um sich weiterhin ihrer tagtäglichen Lieblingsbeschäftigung, dem „Fressen“, zu widmen.
Doch was für ein seltsames Geräusch drang da plötzlich an ihre Öhrchen? Birne und Mucks lauschten gespannt nach draußen. Von großer Neugier getrieben, reckten sie ihre hellgrünen Köpfchen aus ihrem Schlupfwinkel hervor.
„Plopp! Plopp! Plopp!“ Genau vor ihren Äuglein hangelte sich ein ungewöhnlich dicker Regentropfen tollpatschig von Ast zu Blatt und von Blatt zu Ast. Beide guckten aufmerksam zu, wie der rundliche, blassblau glänzende Riesenregentropfen keuchend und wackelig auf den Beinen im Schatten eines dunkelgrünen Blattes Platz nahm. Mit zittrigem Körper hielt er sich daran fest. Angestrengt schnaufend, rückte er sich zurecht. Nach einer Weile erblickte er an der borkigen Rinde, ihm gegenüber, die possierlichen Blattläuse.
„Oh! Äh, guten Tag, ihr grünen Winzlinge. Ich bin aus heiterem Himmel, äh, aus den mächtigen, dunklen Gewitterwolken geplumpst und, äh, äh, – ich bin total erschöpft! Ach ja, äh, übrigens, – ich heiße ‚Hoo‘.
Birne und Mucks schauten zuerst etwas verwundert und argwöhnisch drein. Birne wisperte ihrem Liebsten ins Ohr: „Ein sprechender Regentropfen? Ähm, Mucksischatz, der kann mit uns reden! Das ist voll krass! Glaubst du, wir müssen Angst vor ihm haben?“
Ohne seinen Blick von dem ermatteten Riesentropfen abzuwenden, fabrizierte Mucks' Köpfchen ein sanftes, verneinendes Schütteln. „Sicher nicht, mein Birnchen, nein, nein. Sieht nicht gefährlich aus“, flüsterte er.
Dann trauten sie sich im langsamen Krabbelgang aus ihrem Versteck hervor. Etwas eingeschüchtert, in piepsstimmigem Zweiklang und mit freundlicher Miene begrüßten sie den seiner Größe wegen auffälligen, doch gutmütig aussehenden Neuankömmling.
„Hi! Hallo, Hoo, wir grüßen dich. Herzlich Willkommen in unserem lauschigen, alten Apfelbaum!“
Mucks nahm seinen ganzen Mut zusammen. Beschützend stellte er sich vor sein Läuseweibchen. Forsch klang es aus seinem Mund: „Gestatten, ich bin Mucks, die Blattlaus! Und hier, hinter mir, das ist Birne, meine liebe Läusin.“
Birne lugte zaghaft hinter ihrem mutigen Läusemann hervor. Scheuen Blickes winkte sie Hoo kurz zu. Dann aber lächelte sie, fasste sich ein Herz und piepste ihm schneidig entgegen: „Du bist so mächtig groß, Hoo. Noch nie hatten wir die Ehre mit einem Regentropfen zu plaudern. Wir freuen uns sehr, dich kennen zu lernen. Ähm, das ist echt cool!“
Kaum hatten die beiden sich dem dicken Himmelstropfen vorgestellt, da bemerkten sie, wie sie sich in seinem zart bläulich glänzenden, elastischen Wasserkörper spiegelten. Einer Verquickung aus Schneid und Neugierde nachgebend, wagten sie sich ganz nahe an ihn heran. Sogleich fingen beide belustigt zu kichern an. Ihr Spiegelbild zeigte sich leicht verzerrt und war irgendwie ulkig anzusehen. So birnenförmig grün, wackelig und stark vergrößert hatten sie sich noch nie betrachten können.
Auch Hoo begann, mit dunkler Stimme herzhaft zu lachen. Dabei zitterte sein fülliger Wasserbauch wie frische, köstlich süße Götterspeise. Dann sprudelten die Worte geradeso aus ihm heraus.
„Äh, liebe Birne, lieber Mucks, wie ich sehe, seid ihr gar fröhliche Geschöpfe. Vor mir braucht ihr euch, äh, ganz und gar nicht zu fürchten. Ich entspringe einem äußerst friedfertigen, gemütvollen Naturell. Äh, wenn ihr durstig seid, könnt ihr euch gerne an mir laben und mein lupenreines Wolkenwasser probieren. Sozusagen als, äh, Begrüßungstrunk! Doch zuvor, äh, bitte ich euch – hm, vielleicht habt ihr auch für mich ein wenig zu trinken? Wisst ihr, ich, äh, habe eine äußerst abenteuerliche Landung hinter mir, fühle mich wie ausgelaugt und noch etwas schwindlig. Da ich mich hier, äh, wie ich sehe, in einem, äh, Apfelbaum befinde, wäre mir naturtrüber, frischer Apfelsaft, äh, schon am allerliebsten, mmmhh!“ Leckermäulig leckte sich Hoo mit seiner pastellblauen Zunge über die vollen Lippen.
„Oh, ja, natürlich, Hoo, ähm, mit dem größten Vergnügen!“, gickste Birne. Goldig nickte sie mit ihrem putzigen Köpfchen. „Da hast du aber Dusel. Hier ganz in der Nähe, nur ein Stückchen weiter unten im Geäst, befindet sich eine super Apfelsafttankstelle.“
„Eine Apfelsafttankstelle?“, rief Hoo verdutzt aus. „Ihr meint, äh, da kann man so richtig naturfrischen Saft tanken, äh, trinken?“
„Ja sicher! Da wirst du staunen“, sagte Mucks. „Komm! Komm mit, Hoo! Du brauchst uns nur zu folgen. Es ist gar nicht weit. Für dich sind's wohl nur ein paar läppische Tropfensprünge.“
So krabbelten sie hilfsbereit – Mucks voraus und Birne hinterher – am mächtigen Baumstamm hinunter, während sich Hoo in Sichtweite doch eher mühsam und vorsichtig von Blatt zu Blatt abwärts hangelte. Es dauerte nicht lange, da spürte er festes Apfelfruchtfleisch unter sich. Tatsächlich war Hoo unter einem langen Ast punktgenau auf die angenehm würzige und frisch duftende Oberfläche eines reifen, saftig roten Apfels getropft.
„Wir sind da, wir sind da!“, riefen die beiden Blattläuse ihm gastfreundlich zu. Eilig trippelten und hüpften sie über den ausladenden Ast – als wäre es ein Trimm-dich-Pfad – und sprangen zu ihm hinab. Zwei lange, strohfarbene Trinkhalme, ragten einladend aus der prächtig gewachsenen Frucht heraus.
Hoo, immer noch außer Puste, zeigte sich angenehm überrascht. „Das ist ja maximal. So eine wunderbare Einrichtung. Hab ich aber, äh, ein Glück!“
„Nun probiere erst mal, Hoo. Schnapp dir eins der beiden Trinkröhrchen und lass dir den frischen Saft schmecken“, forderten Birne und Mucks ihn