Der Jungkönig schnaubte zornerfüllt auf.
Diese Alleingänge zu einer Gewohnheit werden zu lassen, missfiel ihm. Ihm war, als wollte der Schreiber ihres Schicksals keine bessere Idee ins Hirn einfahren.
»Nun, was ist, mein Freund? Können die Zeichen nicht entscheiden, sich richtig zusammenzufügen«, knurrte Thorgrim in die Stille hinein.
Die zurückgebliebenen standen um den Arbeitstisch Belothars herum und starrten auf das Schriftstück. Sie zuckten regelrecht zusammen, als die knarzende Stimme des Zwergs ertönte.
»Ich verstehe nicht, was mit diesen Zeilen gemeint ist«, antwortete Belothar kopfschüttelnd. »Ich weiß nur das wir ihr folgen sollten und …«
Er brach den Satz ab. Jeamys eisiger Blick, den er in diesem Moment einfing, gab ihm das Gefühl, mit bloßer Hand den höchsten Berg des Eisgebirges zu erklimmen. Er schüttelte sich. Ein nicht unbedingt erwärmender Gedanke.
»Eure Majestät. Wir werden nicht direkt agieren. Vor allem ihr nicht. Ich habe … sagen wir … ein Arrangement treffen können. Somit seid ihr aus dem Schneider, was die politischen Folgen betrifft«, sagte Jeamy mit fester Stimme.
Belothar starrte sie mit versteinernder Miene an, ohne ihr wirklich zuzuhören. Es war eine plötzliche Erkenntnis, die sich in seine Gehirnwindungen einbrannte.
»Das ist es! Ich Idiot!«, tadelte er sich.
Im Wechsel sahen sich die umstehenden Anwesenden fragend an. Ohne weitere Erklärung abzugeben, stapfte Belothar um ein im Weg stehendes, komplett überfülltes Regal, zu einer eisenbeschlagenen Truhe hin. Mit Wucht riss er den Deckel hoch, bückte sich und fing an zu wühlen.
Da schepperte ein eiserner Helm mit roter Verzierung zu Boden. Eine handgroße Stoffpuppe, die als sein Zwillingsbruder durchgehen würde, kullerte daneben. Nützliche oder unbrauchbare Dinge wurden ihren dunklen, angestammten Platz beraubt und fanden sich neben der metallenen Kopfbedeckung wieder.
»Was ein König alles sein eigen nennen kann?! Faszinierend«, merkte Torran abfällig an.
»Auch ein König hat seine Leidenschaft«, murmelte Augen verdrehend Belothar. Sebyll hingegen beugte sich neugierig über dessen Schulter.
»Was bei den Göttern sucht ihr genau?«, fragte sie, während sie den Inhalt der Truhe beäugte. Ohne Antwort grub Belothar tiefer.
Deirdre schüttelte über den an Tageslicht beförderten Plunder den Kopf.
»Vielleicht solltet ihr gleich in das monströse Holzteil hineinkriechen.«
»Das würde euch so passen«, knurrte Belothar und förderte mit triumphierenden Gehabe einen Bogen zu Tage. Die Waffe war unscheinbar. Ein bescheidener Recurvebogen, bestehend aus drei Teilen. Wissend nickend, wog der Jungkönig die Waffe wie einschätzend in der Hand. Alsdann packte er die beiden metallbeschlagenen Enden und zerbrach das handgefertigte Stück über seinem Knie entzwei.
Diese Idee bereute er augenblicklich. Jaulend hüpfte er mehrere Schritte durch das Arbeitszimmer, während Sebyll das Ergebnis der königlichen Gewalt begutachtete. »Eure Majestät ist mehr von Witz beseelt, als man meinen sollte«, bemerkte sie nebenbei.
»Na toll. Ich kann darüber nicht lachen«, schnauzte Belothar, indes er die Hand am schmerzenden Knie rieb.
»Aye. Wenn ihr euer Knie fertiggestreichelt habt, könnt ihr uns sicherlich erklären, was es mit dem Stöckchen auf sich hat«, röhrte Thorgrim in die aufkommende Stille hinein.
Belothar stockte in seinem Tun, sah missmutig den kleinen Zwerg an und umklammerte dabei sein gemartertes Körperteil. »Oh das …« Er blickte zu dem gewalttätig gebrochenen Bogen in Sebylls Händen. »Das ist Malaines Waffe. Zumindest dachten wir es bis heute.«
»Eine Fälschung?«
»Das Holz ist nicht das, was es sein sollte«, lachte Sebyll auf. »Hier!« Sie fuchtelte mit den zerbrochenen Teilen vor Thorgrims Augen herum.
»Es wurde eingefärbt. In der Tat eine gelungene Täuschung. Mir schwant etwas.« Ihr Gesicht verhärtete sich abrupt. »Beim Schöpfer, Lutek hatte es geahnt!«
Belothar bejahte die Feststellungen der Gryposfrau mit einem tiefen Aufseufzen, das eher dem malträtierten Knie galt. »So ist es, eine Fälschung. Ebenso wie Malaine bei unserer ersten Begegnung. Wie wir wissen war es ihre Zwillingsschwester. Genau das ist des Rätsels Lösung in dem einem Satz: Aus Feuer geschmiedet ein Bogen entsteht, verborgen zwischen List und Verrat.«
* * *
Einzig die Gedanken Celenas trieben das Ross zu größter Geschwindigkeit. Mit brachialer Gewalt sprintete das Tier durch die vom kalten Westwind geknickten Äste, die im Weg hingen. Sie brauchten nur kurze Zeit für die hinter ihnen liegende Strecke bis endlich, zwischen den Bäumen hindurch die Kriegerin ihr Ziel erblickte. In der Dunkelheit erhob sich der hohe Turm des Schöpferhauses als Silhouette in den Nachthimmel.
Das Pferd bäumte sich auf. Es spürte die aufkommende Furcht, die wie eine stählerne Klaue sich in seines Reiters Gedanken bis hin zum Herzen grub. Celena knirschte mit den Zähnen.
Ihre Hand ergriff augenblicklich den Anhänger, der an ihrem Hals baumelte. Sie schüttelte ihr Haupt. Dies war nicht der Moment zu verzagen, nicht jetzt. Bevor sie ihre Gedanken neu ordnen konnte, ertönte vor ihr eine schneidende Stimme, die sie zum Halt aufforderte.
Erst eine, dann drei weitere Gestalten sprangen hinter den Bäumen hervor. Überrascht zog Celena rabiat an den Zügeln Feuerwinds. Unwillig darüber versteifte das Reittier sofort alle vier Gliedmaßen und trat gleich darauf unruhig auf der Stelle.
»Wer … Was soll das? Wer seid ihr?«, gab Celena unwirsch von sich.
»Dasselbe wollte ich fragen«, erwiderte eine weibliche Stimme.
»Wir erwarteten …«
Die dazugehörige Gestalt schritt näher. »Ihr? Wie ist das möglich?«
Im Dunkel der Nacht war das Gesicht der Sprecherin schwer auszumachen, zumal sie aufgrund der Kälte eine fellbesetzte helle Kapuze ins Antlitz gezogen hatte. Celena erkannte sie dennoch.
»Isande?!«
»Ich verstehe nicht!«, hub die Freibeuterin an. »Ich war der Meinung …«
»Was versteht ihr nicht?«
»Das ihr in Gefahr seid!«
Celena begriff nicht. Ihr Gesichtsausdruck vermochte in diesem Moment, dem des begriffsstutzigen Königs in nichts nachstehen. Hätte sie gewusst, was die Wegelagerin meinte, hätte sie womöglich eine findige Antwort auf der Zunge gehabt. So jedoch sah sie stirnrunzelnd hinab.
»Wie ihr seht, bin ich nicht in Gefahr.«
Isande zog, ohne weiter darauf einzugehen, ihren wuchtig aussehenden, fremdartig gekrümmten Dolch und reichte diesen Celena hinauf. In die blank polierte Klinge blickend, gab sie das Spiegelbild der Reiterin preis. Für einen Augenblick sahen ihr kristallene Augen entgegen. Einen Blinzelschlag später leuchtete das satte Blau ihrer eigenen Seelenfenster entgegen. Jenes Blau, welches, so erzählte ihre Mutter, bei ihrer Geburt kein Blau, sondern ein sanftes Braun gewesen sei. Seit dem verwandelte sich der Ozean ihrer Augen ab und an in eben jenen Erdton. Diese anderen Augen im Spiegelbild – das waren nicht die ihren. Verstehend nickte Celena.
»Ich muss ihr also in dieser Gestalt begegnen, Morena«, wisperte sie.
»Ein wirklich interessantes Kunststück«, erstaunte sich Isande. »Ihr seid es, Tousard.«
»Nun … das … das war mir nicht bewusst«, grinste Celena verhalten.
»Was mich brennend interessiert, was ist der Grund eures Hierseins.«
»Eure alte Hüterfreundin hat wahrlich ausgefallene Methoden, jemanden um einen Gefallen zu bitten«, erklärte Isande ihr Erscheinen. »Während ihr … ach lassen wir das. Wir …« Sie deutete auf die drei Begleiter. Der eine ein wahrhaftiger Riese von einem Mensch namens Tharm. Der andere ein bartloser Zwerg mit dem ungewöhnlichen Namen Wollef und Breyton, eine