»Als verfügte sie über keinen Lebenswillen mehr«, flüsterte die Gryposfrau den anderen zu.
Thorgrim lugte aufgrund ihrer Worte in die Bibliothek hinein. Celena betrachtend, hoben und senkten sich die tiefroten, buschigen Augen. Er konnte das Leid, dass die Kriegerin empfand, nachempfinden. Vor nicht allzulanger Zeit hatte er genauso in den Ecken herumgehangen, nachdem sie aus Ithnamena zurückkehrten.
Sich knurrend umdrehend, ließ der Zwerg die zusammengeballte Faust auf die hölzerne Schreibplatte vor sich niederfahren.
Bedrohlich kippten die Kerzenhalter. Das Siegelwachs wollte dem Fußboden einen Besuch abstatten. Schreibfedern, deren Spitzen zeitlebens in Dunkelhaft dahin vegetierten, hüpften jubelnd heraus und ein mannshoher Stapel Kodizes drohte in sich zusammenzufallen.
Thorgrims kleine Knopfaugen blitzten aus dem haarbehangenen Gesicht hervor. »Wieso sitzen wir hier dümmlich auf unseren haarigen Hintern herum?«, dröhnte seine Stimme wutentbrannt auf.
Die anwesenden Frauen warfen dem Männchen konsternierte Blicke zu.
»Aye! Ich denke viel mehr an den Throneroberer dort drüben«, fügte er eilig hinzu.
Wie aus einem Trance erwachend, schaute der, als Throneroberer titulierte, von seiner Lektüre auf. »Verzeiht!«, murmelte Belothar, » … wie meinen?«
»Mitnichten, von euch rede ich, Schwertschmuser«, bellte der Zwerg. »Seid ihr euch sicher das ihr Eier besitzt oder warum verkriecht ihr euch brav in den Schoß der drolligen Bohnenstange neben euch?« Thorgrim deutete auf Deirdre, die sogleich an sich hinab sah.
»Bohnenstange?!«, äffte sie nach, während sie ihre Figur genauer in Augenschein nahm.
Obschon die Schimpftirade des Winzlings sie amüsierte, maß Sebyll die Magierin mit geringfügiger Begeisterung.
Belothar schien die Anzüglichkeiten des feuerrothaarigen kleinen Mannes überhört zu haben. Er schlug das symbolverzierte schwarzlederne Werk zu und tippte überlegend mit dem Zeigefinger auf den Einband.
»Ich suche nach Antworten«, erklärte er stattdessen. Mit runzelnder Stirn klappte er das Schriftwerk erneut auf. Eine bisher nicht bemerkte lose Seite stob ihm entgegen.
Thorgrims Augen rollten hin und her angesichts des sich abermals in den Folianten vertieften Königs. »Ich bin begeistert, er enthaart viel lieber seinen Hintern«, knurrte er.
Sebyll kicherte belustigt. »Zudem war mir nicht bewusst, dass er überdies lesen kann«, gluckste sie. Flugs kehrte sie Belothar den Rücken zu. Ungeachtet ihrer Heiterkeit jagte ihr der Anblick Celenas von Neuem einen Stich in die linke Brustgegend.
Auf den zotteligen Hund vor ihr stierend, kauerte die Kriegerin in sich versunken auf dem Stuhl. Ihre Schultern schlaff herabhängend, von jedweder Seele verlassen, ward ihr Blick voll schmerzlicher Einsamkeit. Sie so sehen zu müssen, zerriss Sebyll schier das Herz.
Niemand hatte voraussehen können, was sich dort draußen auf dem Tjostplatz zutragen würde. Von jetzt auf gleich löste sich alles, wofür Celena gekämpft hatte, in Nichtsgefallen auf.
Tränen hatte die trauernde Kriegerin bisher keine vergossen. Daran denkend sammelten sich in Sebylls Augen einige wässrige Tropfen. Die Gryposfrau biss sich auf die Lippe und senkte den Kopf. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie der jungen Tousard beistehen konnte.
Deren Hand streichelte unvermittelt das Haupt des Zotteltiers vor ihr, das sie aus waidwunden Kullern fragend anstarrte.
»Ergibt das für jemanden von euch einen Sinn?«, drang Belothars Stimme an Sebylls Ohr. Tief durchatmend richtete die Gryposfrau ihr Augenmerk wieder auf die Gruppe von Dauergrüblern in der Schreibstube.
»Nichts von all dem ergibt hier Sinn, Belothar«, ließ sie verlauten. Sie wurde des Pergaments gewahr, das der Thronerbe in der Hand hielt.
»Was haltet ihr da zwischen euren Fingern?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Wenn ich das wüsste«, erwiderte der Gefragte.
Mit zwei Schritten zu Belothar hin, entriss sie ihm forsch das Blatt. Sie las was darauf stand und fluchte avalisische Obszönitäten heraus.
»Oh, das … schätze ich, hat der Knabe auf dem Thron durchaus hinter sich«, grinste Thorgrim, der die Worte verstanden hatte. »Bei euch beiden!«, fügte er zwinkernd hinzu.
Sowohl Deirdre als auch Sebyll hüstelten einvernehmlich über die Andeutung, währenddessen Belothars Gesichtsfarbe wechselte. »Thorgrim! Ihr seid … «
»Ach, ihr meint, ich irre mich und ihr zogt nicht beiden Weibsbildern die Beine auseinander?«
»Es langt!«, donnerte Belothar aufgebracht.
* * *
Weich fühlte sich das zottelige Haar des Hundes in Celenas Hand an. Die treuen braunen Augen fixierten sie, als erwartete das Tier eine Antwort. Es gab keine. Sie hatte nichts. Einzig ein Loch in ihrem Herzen, dass niemand zu füllen vermochte.
Nur der Fluch der Einsamkeit blieb ihr, denn er war fort. Dort draußen gab es nichts, wohin sie sich wenden konnte. Nichts war ihr geblieben, wofür es sich zu leben lohnte.
Neben dem mittelgroßen Hund erschien ihr verschwommen ein Gesicht, welches sich in ihr Blickfeld drängte. »Verfügt ihr über etwas, wofür es sich zu leben lohnt?«, fragte knarrend die dazugehörige Stimme.
Eine Hand schob sich unter ihre Augen und präsentierte ein darauf liegendes Kleinod. Mit zittrigen Fingern nahm es Celena von der Handfläche. Sie betrachtete, studierte es, verstand nicht sogleich, was es darstellen sollte.
»Sagt mir, was ihr vorhabt«, erkundigte sich ihr Gegenüber leise.
Verständnislos sah sie sich die Kugel an. Klein und braun, wie es war, löste es etwas in ihr aus. Du weißt nicht, was dich erwartet, hatte Lutek damals gesagt. Celenas Lippen bebten. Salzhaltiges Nass erfüllte ihre Augen und rann an ihrer Wange herab. Zögerlich öffnete sie ihren Mund.
Koste davon und es könnte zu spät sein, waren einst seine Worte.
Furcht ergriff ihr Herz. Sie schloss die Lider und legte die runde Süßigkeit auf ihre Zunge. Süßbitterer Geschmack breitete sich auf ihrem Gaumen aus. Hoffnung ist das, was wir haben. Dein Vertrauen, dein Glaube soll belohnt werden«, hatte er damals verlauten lassen.
Celena blinzelte. Um sie herum schien alles auf sie einzustürzen. Plötzlich leuchteten ihre Augen auf.
»Terzios?« Die Frage war überflüssig, denn das Antlitz des alten ergrauten Hüters zeigte sich weiterhin standhaft vor ihrem Blickfeld. Ebenso hörte sie mittlerweile klar und deutlich die hitzige Diskussion aus dem Nebenraum.
Der graubärtige Mann nickte bestätigend. »Was nun?«
Celena räusperte sich verlegen. Was hatte sie sich gedacht, sich mir nichts dir nichts der Fügung zu ergeben? Einmal schon hatte sie aufgegeben und sich ihrem Schicksal gefügt. Damals in jener schicksalsträchtigen Nacht, da Nacud sie mitnahm und ihr nichts mehr geblieben war. Auf wundersamerweise war er zu ihrem Retter geworden. Er bewahrte ihr Leben, nachdem sie glaubte, alles verloren zu haben. Als Gegenleistung verdammte er sie, indem er sie zwang, das verfluchte Blut zu trinken.
Bei diesen Gedanken schnürte ihr ein dicker Kloß nahezu die Luft ab. Man hatte jederzeit die Wahl, erinnerte sie sich an Wilnas Worte und Tacio fragte sie dereinst: Würde sie kämpfen, wenn es andere forderten oder gar sterben, befahl man ihr es? Celena schüttelte leicht den Kopf.
»Nein!«, murmelte sie vor sich hin.
»Möchtet ihr ihn zurückholen? Ist es das, was ihr wollt?« In Terzios müde Augen brannte ein undefiniertes Feuer. »Nun?«, fragte er zum wiederholten Mal.
Des ergrauten Mannes Hand packte sie am Arm, da sie versuchte, sich von