Luteks Augen füllten sich unter dem Kampf gegen die trennende Mauer mit Tränen. Er ließ den Bogen fallen, während die aufsteigende Glut der nahenden Verbindung in Celenas Fingerspitzen zu prickeln begann.
Ein Schritt nach vorn. Jene Wand aus geballtem Hass und Furcht zog und zerrte. Nur ein Stück näher. Blanke Angst vor der Verderbtheit des Kommenden. Eine Illusion. Furcht war der Gegner, ertränkte sie in Tausend höllische Visionen. Der einzige Gegner.
Ein Schritt gelang und Celena stürzte zu Boden. Unter gepeinigten Schmerz ihres Körpers kam sie wieder auf die Beine. Die vom Himmel entsandte Klinge glitt ihr aus der Hand. Zwei Schritte noch. Heftig atmend zwang Celena ihre Füße dazu, sich zu bewegen.
Lutek strauchelte unter der Last des höllischen Soges. Schier in die Knie gezwungen, erwehrte er sich mit aller Macht dem reißenden Strudel.
Wie durch die Wogen eines Tornados, der sie hinwegzufegen drohte, streckte Celena ihre Hand dem Gefährten entgegen.
Zu lodernden Flammen, welche sich in ihren Muskeln entfachten, sie jedoch nicht zu versengen drohte, steigerte sich das Prickeln. Es zog von ihren Fingern bis hinauf zu den Schultern.
Luteks Fingerspitzen waren kaum eine Schwertbreite weit entfernt. So Nahe. Nur noch ein kleines Stück.
»Nein!«, gellte Malaine.
Die Mauer aus Hass und Angst zerfiel endgültig, da sie die Hand des Gefährten fasste. Als würde Celena in Flammen stehen, breitete sich das Feuer in ihr und an ihr zur Gänze aus. Wissend packte sie Lutek, der die sanfte Gewalt sogleich erwiderte und sie an sich zog. Der sengende Kuss blendete alles um sie herum. Erkenntnis … Vollkommenheit. Verschmolzen, in bläuliches Feuer getaucht, fegte es alles Verdorbene und vom irren Streben Beseelte hinfort.
Es war vorüber. Sie lösten die liebkosende Verbindung. Schwer atmend rieb Celena ihre Nase gegen die des Geliebten. Es war beruhigend.
Langsam in die Wirklichkeit zurückkehrend, sah sie sich um. Ihre Augen suchten nach Malaine. Der Blick blieb auf dem zersplitterten Regal haften. Der Körper der Osgosaianerin, von dem schweren Bücherregal zerschmettert, lag verkohlt darunter begraben.
* * *
Durch düstere Korridore jagten die zwei durch die verzweigten Gänge des Anwesens. Den Weg zurück durch den Höllenpfuhl wollte Celena unter keinen Umständen nehmen. Es kam ihr daher zupass, dass Lutek sie durch eine Seitentür führte. Die Wege kreuzten sich. Links oder rechts. Keiner schien vielversprechend und so wagten sie ihr Glück mit dem rechten Gang. Keine Fackel erhellte ihren Weg. Kein Leuchten der Sterne oder des Mondes vermochte durch die Fenster und Scharten zu drängen. Nicht einmal der Innenhof, der sich vor ihnen auftat, war vom kalten Licht der Himmelsgestirne berührt. Und doch erstrahlte ein gespenstig scheinender Schimmer zu jedem ihrer Schritte. Einem Leichentuch gleich bedeckte es die niedrigen Mauern, die Büsche und den Brunnen im weitläufigen, von einem Rundgang eingefassten Innenhof.
Celena seufzte. »Und nun?«
»Dort entlang.« Lutek deutete an dem Brunnen vorbei auf die gegenüberliegende Seite.
Die Hand des Gefährten umfassend, lief Celena entschlossen, den Brunnen umrundend, los. Aus den Augenwinkel heraus erkannte sie auf dem hochgesetzten pyramidenförmigen Wasserspeier eine Statue, die majestätisch gen Himmel ragte. Eine Frau, wie es schien, die mit einem Schwert auf dem Rücken in der vom geisterhaften Schein durchdrungenen Nacht wirkte, als wäre alles aus einem Stück Fels gemeißelt.
Für einen kurzen Moment verursachte dieses Standbild das berühmte flaue Gefühl im Magen. Ein Gefühl dahin gehend, beobachtet zu werden.
Sie hatten den Innenhof nicht gänzlich durchquert, da trat ihnen der Rest der selbst ernannten Gotteskrieger in den Weg. Abrupt stoppte Celena. Metallisch klirrend zog sie ihre Himmelsschneide, während sie Lutek händewedelnd hinter sich dirigierte.
Weitere Lakaien des Schöpferhauses folgten dem Ersteren. Einer von ihnen deutete auf die beiden Eindringlinge. »Ergreift sie!«, befahl er blechern durch seinen helmbedeckten Kopf. Saphiumverseuchte Augen leuchteten durch dessen Visier. Eilig kamen die anderen dem Befehl nach und stellten sich im Halbkreis um Celena und Lutek. Der Nächststehende griff an. Gleichzeitig hörte Celena hinter sich ein Geräusch, als würde die Sehne eines Bogens zurückgezogen.
Der Flug des abgeschossenen Pfeils flog an ihrem Kopf vorbei. Sie spürte regelrecht den Luftzug an ihrer Wange. Der vorwitzige Angreifer vor ihr fiel sogleich, was die restlichen zum sofortigen Ausfall anstachelte. Scheppernd traf Stahl auf Stahl. Einer dieser Gotteskrieger, seine Waffe unter der Wucht der Himmelsschneide zerschmettert, wurde seines Lebens beraubt. Ein anderer wich dem Hieb der schnell hin und herglitzernden Klinge geschickt aus, doch setzte Celena sofort nach und stieß den Himmelsstahl in seine Brust. Die nächsten drängten nach. Zu mächtig war die Übermacht.
»Luk, bleib hinter mir!«, schrie sie.
Schläge hämmerten auf sie ein. So sehr sich Celena, die schwertkreisend die Luft zerschnitt, mühte, es schien nahezu unmöglich. Die Wucht eines Streitkolbens traf sie unerwartet. Japsend, nach Luft schnappend ging sie in die Knie. Ein Knall, wie von einem Peitschenhieb ertönte in dem Moment, als sie aufsah. In der metallenen Kopfbedeckung des Streitkolbenschwingers qualmte es aus einer münzgroßen Öffnung. Darüber verwirrt hielten die Genossen des Schergen inne.
Ein für Celena wohlbekanntes Krautentzündendes Knistern ertönte, welchem ein weiterer Donnerschlag folgte. Ein zweiter dieser Saphiumsüchtigen stürzte leblos zu Boden. Plötzliche Stille kehrte ein.
Celenas Augen suchten nach dem Besitzer des tödlichen Handrohrs. Ihr Blick blieb am Brunnen haften. Die Statue, welcher die Mitte des Wasserspenders markierte, war verschwunden. Das zuvor bewegungslose Standbild trat als schwarzgekleidete, von einer ledernen Kapuze verhüllte Gestalt, hinter dem Brunnen hervor. Herausfordernd musterten sie ein Paar grüne Augen. Die Züge des Antlitzes nahmen Konturen an, als das Individuum nähertretend den Kopf anhob.
Das Gesicht war weiblich und sie schien jung. Zu jung, sinnierte Celena. Ihre grünlichen Augen mit einem Hauch von Sepiafarbe wurden von lang geschwungenen Brauen unterstrichen. Sie kamen Celena bekannt vor. Allerdings wollte ihr nicht in den Sinn, woher oder bei wem sie diese Augen schon gesehen hatte.
In dunklem leichten Leder gerüstet, trug sie auf ihrem Rücken ein Schwert. Zudem hielt sie in der linken Hand eine andere Waffe. In der kaum beleuchteten Nacht mochte es sich um einen langen Stab handeln.
Celena kniff die Augen zusammen. Jene Rüstung ähnelte denen von Tacio und Malaine. Vollkommen in Schwarz und auf dem Brustharnisch das Sonnensymbol der hiesigen Schöpferhäuser gehörten sie einem geheimen Orden an, der sich "Die rechte Hand der Verkünder des Wortes" nannte. Ihre Mitglieder die sogenannten "Verkünder".
»Lasst euch versichern, dass nicht alle in den Schöpferhäusern den alten Weg treu ergeben sind«, sprach die junge Frau, als ob sie die Gedanken Celenas in diesem Moment lesen konnte.
»Und ich werde das Gefühl nicht los, das mit ihr irgendetwas nicht stimmt«, flüsterte Lutek daraufhin seiner Gefährtin ins Ohr.
Celena nickte leicht bestätigend. Das weibliche Geschöpf vor ihr warerst dem Mädchenalter entwachsen. Unter anderem umgab sie eine beunruhigende Aura der Vertrautheit, obgleich Celena sich sicher war, dieses junge Ding nie zuvor gesehen zu haben.
Mittlerweile hatten sich die gepanzerten Gegner von ihrem ersten Schrecken erholt. Sie hatten ein weiteres Ziel und schwangen ihre Waffe ebenso gegen die Unbekannte, die nicht zögerte.
Ihr langer Stab entpuppte sich als ein eisernes Rohr, das sie mit einem Ende gegen ihre Schulter stemmte. Bedacht visierte sie den ersten Anstürmenden an. Erneut echote ein Knall über den Innenhof. Der Stürmer stockte in seinem Lauf und fiel um. All ihre Kraft einsetzend schlug Celena auf den folgenden ein, der gleich darauf sich ein Kopf kürzer am Boden befand. Die Unbekannte drehte blitzschnell ihren Stab um und hämmerte das abgeflachten Stützende gegen den Helm eines anderen. Mit dem unmelodischen Geräusch eines gebrochenen Genicks knickte dieser dem Untergrund entgegen.