Dolúrna. Mira Birkholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mira Birkholz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847671954
Скачать книгу
Verlockung groß war. So wie ihr Wunsch, seine Hand zu halten, die beim Gehen nah an ihrer vorbeischwang.

      Nachdem sie eine knappe Stunde gelaufen waren, trat plötzlich ein Sonnenstrahl durch die letzte Dunstschicht und ließ Hazel blinzeln, als sie zu Connor aufschaute. Sein Haar glänzte, als wäre er soeben dem Ozean entstiegen, und seine Augen leuchteten wie Aquamarine vom Meeresgrund. Vor der endlosen grauen See, auf der nun die Sonne glitzerte, während sie in gleichmäßigen Abständen den Strand küsste, wirkte Connor selbst wie ein gewaltiger Felsen. In seinem Windschatten verlor das Tosen der Wellen seine Macht, seine Bedrohlichkeit. Wie ein Schalldämpfer fing Connor den Lärm ab und bewahrte Hazel davor, im Gegenwind den Atem zu verlieren. Mit einer Hand hielt er die tanzenden Locken aus dem Gesicht, während er mit der Zungenspitze kurz seine Lippen befeuchtete. Er lächelte sie an, und Hazel wurde ganz mulmig zumute.

      „Ich möchte jetzt die Straße verlassen“, kündigte er an. „Hier wird nämlich der Strand schmaler, und der Felsengürtel geht in eine leichte Steilküste über. Traust du dir zu, Hazel, hier hinunter zu klettern?“

      Tapfer nickte sie.

      Mit vorsichtigen Schritten tasteten sie sich vorwärts über das schwarze Gestein, das jahrein, jahraus Wind und Wetter standhielt. Der Wind hatte es trocken geblasen, so dass die Sohlen ihrer Schuhe sicheren Halt fanden. Trotzdem wünschte Hazel nun, sie hätte statt der coolen Cowboystiefel ihre bequemeren Wanderschuhe angezogen. Connor brauchte sie nichts vormachen. Er hätte sie auch mit derben Boots nach Hause getragen.

      Connor bückte sich plötzlich und hob eine große braun-weiß gestrichelte Feder auf, die mit dem Kiel in einem Felsspalt steckengeblieben war. Sorgfältig untersuchte er die Musterung. Er drehte und wendete sie, betrachtete den Kiel und hielt sie gegen die Sonne.

      „Falco peregrinus?“ fragte Hazel schließlich und erntete ein liebevolles Lächeln, das sie für seine Besserwisserei entschädigte. Er schien es wirklich nicht böse gemeint zu haben. Es war lange her, dass sich jemand so um Hazel gesorgt hatte.

      „Ja, Falco peregrinus“, bestätigte er und sah sich um. „Siehst du dort drüben den Felsvorsprung?“

      Mit dem Finger zeigte Connor auf das Ende des Felsmassivs, auf dem sie zur Hälfte hinunter geklettert waren. Hazel nickte.

      „Dort möchte ich mal nachsehen.“

      „Das sieht aber gefährlich aus!“

      Schwarz und steil erhob sich eine Felsspitze vor dem weißen Himmel, an die sich eine plateauförmige Gesteinsplatte anschloss, die weit über den Abgrund hinausragte.

      „Das ist es auch. Wir müssen eben sehr vorsichtig sein.“

      Connor reichte Hazel die Hand. Trotz des Sturms, der wild an ihren Jacken zerrte und Connor das Aussehen eines blauen Großsegels verlieh, spürte Hazel das stille Kribbeln in der Handfläche, als er sie umfasste. Fast hätte sie ihn gefragt, ob er es auch fühlte, besann sich jedoch.

      „Wir können Fairtheoir Túláin ja mitteilen, dass wir in friedlicher Mission kommen!“, schlug Hazel eifrig vor. „Dann beschützt er uns vielleicht!“

      Connor starrte sie an.

      „Wir können ihm ein Opfer bringen, damit er uns wohlgesonnen ist“, weitete er ihren Vorschlag aus, bemerkte jedoch gleichzeitig das Entsetzen in ihren Augen.

      „Wir sollen etwas opfern? Deinen Falken vielleicht?“

      Connor blickte zum Himmel.

      „Nein“, lächelte er, „wir werden ihm etwas Anderes anvertrauen.“

      Ein vorübergehendes Opfer, kein endgültiges, beschloss er still. Denn niemals wollte er sich von diesem Schatz trennen.

      Aus der Hosentasche zog Connor einen kleinen runden Stein.

      „Was ist das?“, fragte Hazel und beugte sich über das glatte dunkelgrüne Mineral, das in Connors Handfläche lag und durchzogen war von wenigen leuchtendroten Sprenkeln.

      „Das ist ein Heliotrop“, erklärte er Hazel. „Ein Edelstein. Er schützt die Natur und unsere Umwelt vor Gier und Aggression. Laut alter griechischer Überlieferung symbolisiert sein Grün das Leben auf der Erde, das Wachsen, das Werden, während die roten Punkte für das Blut der Erde stehen.“

      Fasziniert starrte Hazel auf den geheimnisvoll gemusterten Stein.

      „Die Menschen glaubten“, sprach Connor weiter, „dass der Stein sie in Harmonie mit den Göttern der Erde und des Wassers brachte, denn er soll Irdisches mit Überirdischem verbinden und vor negativen Energien schützen.“

      Hazel runzelte die Stirn.

      „Der Heliotrop ist ein Stein der Sonne und weist uns mit seinem Licht den Weg durch die Dunkelheit. Er hilft, Verständnis und den inneren Frieden zu finden und diesen hinaus in die Welt zu tragen.“

      Gebannt lauschte Hazel den ungewöhnlichen Erläuterungen dieses erstaunlichen Mannes. Und mit großen Augen bestaunte Hazel den glänzenden Stein.

      „Darf ich ihn mal in die Hand nehmen?“

      Vorsichtig legte Connor den Heliotrop in die Mulde ihrer Hand, die ihn vor dem reißenden Sturm schützte. Sanft strich sie mit dem Zeigefinger darüber, und als sie ihn behutsam umdrehte, stutzte sie plötzlich. Um sicher zu gehen, dass sie sich nicht täuschte, hielt sie den Stein nah vor ihre Augen.

      „Da ist ja ein Buchstabe auf dem Stein!“

      Erstaunt blickte sie Connor an. Tatsächlich war in dem Dunkelgrün des Minerals ein D aus leuchtendrotem Eisenoxid eingeschlossen, das sich seltsam plastisch vom glatten Gestein abhob.

      Connor nahm ihr den Stein aus der Hand und hielt ihn fest umschlossen.

      „Sieht ganz so aus“, bestätigte er kurz und erhob sich aus der Hocke.

      „Wir werden den Stein in den Eingang der Höhle legen“, entschied Connor und kletterte zielstrebig auf das Felsplateau zu.

      „Woher weißt du, dass dort wirklich die Höhle liegt?“, rief Hazel ihm nach, doch er antwortete nicht. Hatte der Wind ihre Worte verschlungen oder wollte Connor sein Geheimnis nicht preisgeben? Hazel war verwirrt. Seine Worte über den Edelstein klangen mystisch und hallten in ihrem Kopf nach. Vom Blut der Erde hatte er gesprochen, von Erd- und Wassergöttern, von Überirdischem. All dies flößte ihr mehr Angst als Frieden ein. Wer war dieser Mann, der so ungewöhnlich sprach und an Mythen glaubte? Der von keltischem Glauben erzählte, von Sonnenverehrung, und sich von Falken den Weg weisen ließ! Wenn sie das Ben erzählte, würde er sie schallend auslachen. Oder etwa nicht? Denn auch er hatte ehrfürchtig von der Höhle des alten Fairtheoir Túláin berichtet. War an der Geschichte wirklich etwas Wahres? Nun erst wurde Hazel das ganze Ausmaß dieser Expedition bewusst, und doch hatte sie immer noch keine Vorstellung davon, was Connor in der Höhle zu finden hoffte.

      7 Spionage

      Sonntag, 12. September 2010 – Portmullen, Kirche

      Kaum waren die letzten Klänge der Orgel verstummt, erhob sich Mrs. MacFarlane aus der Bank, hakte ihre Nachbarin Mrs. Kingsley unter und eilte mit ihr zum Ausgang der Kirche. Hastig fingerte sie in ihrer Jackentasche nach dem Kleingeld, das sie heute Morgen aus der Zuckerdose geangelt hatte. Die Kollekte ging an Caritas International. Na, überlegte Mrs. MacFarlane ärgerlich, als ob es im eigenen Land keine Not gebe! Warum musste ihr mühsam erspartes Geld ausgerechnet im Ausland verteilt werden. An irgendwelche fremden Menschen. Man könnte es doch genauso gut der örtlichen Schule spenden. Flüchtig bekreuzigte sie sich und sah sich nach dem Pfarrer um. Wo blieb er nur?

      Das Geld der Schule zu geben, wäre jedoch auch ein Risiko, bedachte Mrs. MacFarlane bitter, seit dieser Mr. Wood aus Frankreich aufgetaucht war. Wer wusste schon, ob er damit nicht Drogen beschaffen würde oder irgendwelche Waffen. So wie der aussah mit seinem