Wenkeldon hatte während des gesamten Vortrages Frau Zenker und ihre Mimik beobachtet und versuchte nun zu ergründen, ob sie menschenverachtend abgebrüht war oder nicht. Er konnte es nicht genau sagen, denn in dem Höhendorf war sie neben ihrem Kollegen Herrn Doktor Aberlein als gute und aufopfernde Ärztin bekannt. Sie schien seine Gedanken zu lesen und meinte fast tonlos: „Herr Wenkeldon Rath, geben Sie sich keine sonderliche Mühe, nach meinen Beweggründen zu fragen. Sie haben ja meine Akte gelesen. Ich habe schon immer mit Drogen gehandelt und so mir mein aufwändiges Leben finanziert. Ich habe mich mit Finanzaktionen, auf die ich hier nicht eingehen möchte, kräftig in die Nesseln gesetzt. Die Praxis hier betreibe ich mit dem unfähigen Aberlein, der schwer dem Alkohol verfallen ist, als Tarnung.“ Wenkeldon sah plötzlich alle seine vorher überlegten nächtlichen Puzzles, wie, was, mit wem und von wem wohl zusammen passen würde, durcheinander gewirbelt. Schließlich sagte er: „Ich danke Ihnen für die Ehrlichkeit und nun noch zum Gärtner Horatio Müllersohn. Sie können sich sicherlich meine Frage denken.“ Sie nickte und sagte: „Sie meinen, warum er das, wie Sie sagten, feine, aber kleine Loch in die Stirn gefräst bekam? Im Leben ist es immer wieder so, erst sind alle begeistert, dann folgt die Begehrlichkeit, die sich zur Gier ausweitet und dann die brutale Erpressung. Er hatte eine neue Frau gefunden, er wollte ihr imponieren, verhob sich finanziell mit der neuen Flamme und wollte den Säufer Aberlein der Ärztekammer melden. Ich hätte ihn nie mit in das Boot ziehen dürfen. Aberlein ist ein schwacher Mensch und verlor sofort die Nerven. Er wollte nach einem Patientenbesuch mit Horatio noch einmal in Ruhe reden und muss sofort die Nerven verloren haben, als Horatio mit seiner Erpressung das Doppelte forderte. Wie mir Zebelnig Aberlein unter Tränen erzählte, stand Horatio in der Mitte des Gewächshauses, hier wo wir nun stehen und schoss ihm in die Stirn. Das ist alles.“ Wenkeldon sah sie überrascht an. „Das wusste ich nicht, ich dachte....“
Plötzlich fuhren sie herum, als eine schrille, hysterische Stimme sie erreichte: „Was dachtest du, du alter Schnüffler, in dem Schafsfell eines betulichen Gelehrten? Und du, Frau Kollegin, die mich als unberechenbaren Alkoholiker beschimpft und selber Drogen nimmt?“ Sie sah ihn blass an und stammelte: „Nein, ich nahm früher Drogen, aber nie die Kieselpflanze von Merikator. Heute nehme ich nichts mehr, ich verdiene nur gut damit.“ Er stand da, der Doktor Aberlein, mit einer Flasche Schnaps in der Hand und nahm einen großen Schluck. In der anderen Hand hatte er ebenfalls eine handliche, kleine italienische Damenpistole. Jetzt brüllte er mit einer fast übergeschnappten Stimme: „Na und, wie soll es nun weitergehen? Ich erschieße euch beide und drücke dir, Gelehrtenopa, die Waffe in die Hand. Dann sieht es wie ein Drama aus und die lahmen Beamten werden die Akte wieder schnell schließen.“ Er lachte und fühlte sich sicher. Frau Zenker wagte einen kleinen Schritt auf ihn zu und berührte die Tomatenpflanzen. Eine dicke, rote Tomate kullerte auf den Boden und das brachte Wenkeldon auf eine Idee. Er bückte sich nach der Tomate und für sein Alter sehr beachtlich schnellte er unter dem Pflanztisch zu Doktor Aberlein und riss ihn von den Füßen. Dieser schrie auf und der nächste Pflanztisch in der Reihe stürzte krachend um. Im Hechtsprung, sozusagen untertage, fiel ihm ein, dass er die Reaktion der Frau Zenker nicht beachtete. Würde sie ihrem Kollegen helfen und der Aberlein würde ihm in dem Tohuwabohu von Pfanzenerde, Drogenpflanzen und den mehr oder minder reifen Tomatenpflanzen den Garaus einleiten? Wenkeldon brüllte unter dem Tisch hervor: „Schnell, Frau Zenker, retten Sie Ihre Seele und helfen Sie mir, dieses Scheusal zu überwältigen.“
Sie schien tatsächlich einen winzigen Wimpernschlag lang zu überlegen und es musste ihr seine Aussage zu seinem Kollegen eingefallen sein, den er per Mail informiert hatte, was allerdings nur zum Teil stimmte. Er hatte tatsächlich einem alten Studienkollegen als Lebensversicherung einige vage Andeutungen gemailt und ihn gebeten, falls ihm etwas zustoßen würde, sollte er den leitenden Oberstaatsanwalt, einen jungen Mann, informieren. In keinem Fall die Polizei. Sie lief wieselschnell über die Tische, sprang den letzen Meter über das Holzgestell und zog den sichtlich verblüfften Kollegen Aberlein an der Schulter hoch. Die Waffe war ihm längst aus der Hand geglitten und lag irgendwo in dem braunem Torfmull. Frau Zenker hatte ihre Waffe aber noch in der Hand und zeigte sie ihrem Kollegen mit funkelnden Augen. Wenkeldon zog sein Handy aus der Tasche und wählte den jungen Oberstaatsanwalt an. Er hatte sich vorsorglich mit rot auf der ersten Seite seiner Unterlagen die Telefonnummer notiert und auch in seinem Handy gespeichert. Wenkeldon meldete sich und gab einen kurzen Bericht ab. Er lauschte in sein Handy, nickte schließlich und klappte das Handy zu. Während des ganzen Gespräches hatte er den Herrn Aberlein und auch ein wenig die Frau Zenker nicht aus den Augen gelassen. Sie hielt ihren ehemaligen Praxiskollegen nun mit eisernem Griff fest und sagte zaghaft zu Wenkeldon: „Was meinen Sie, was wird mir der Ankläger aufbrummen?“ Wenkeldon schlug mit der Hand die Blumenerde von seiner Hose, denn Blumenerde hatte er noch nie auf seiner Kleidung leiden können. „Der Ankläger, also der junge Oberstaatsanwalt, fordert zum Abschluss Ihres Prozesses nur das Strafmaß. Die Strafe selber setzt die Kammer aus den Berufsrichtern fest und, da ich aussagen werden, Sie hätten mir letztlich das Leben gerettet, werden Sie wohl glimpflich davon kommen. Aber ich bin kein Richter und ich kann Ihnen nur raten, reinen Tisch zu machen und alles schonungslos offenzulegen. Ihre Approbation als Ärztin werden Sie aber wohl abgeben müssen.“ Serberito Zenker sah Wenkeldon an, als wäre sie froh, dass der bisherige Weg endlich zu Ende war.
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