Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753135977
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was dein Verteidiger für dich geltend machte. Oh, wie oft und wieder und wieder habe ich dessen Worte gerade gelesen, bis ich sie auswendig kannte und selbst im Traum hersagte, aber es war kein Beweis. In der Aufregung nach einer solchen Tat konntest du so wenig an die Uhr gedacht haben wie an den Stock, den du bei der Leiche liegen ließest."

       „Ich! Vater?" sagte Karl mit einem unbeschreiblich wehen Ton.

       „Der Mörder", flüsterte der Vater scheu.

       „So sag uns jetzt, Karl", bat da die Mutter mit tränender Stimme, „so wahr und ehrlich, als ob du unter dem furchtbarsten Eide vor deinem einstigen Richter stündest, wie es war. Nimm uns die Angst und den Schmerz von der Seele, und der Vater wird dann auch deinen Worten glauben."

       Karl atmete hoch auf, aber seine Kräfte ermatteten, er sah sich nach einem Stuhl um, auf den er mehr sank als dass er dort Ruhe suchte, und sagte endlich nach kurzer Pause:

       „Ich habe alles schon vor Gericht ebenso treu und wahr geschildert, Mutter, aber ihr sollt es noch einmal hören, steht es doch auch noch so scharf und lebendig vor mir, als ob erst gestern all' das Furchtbare geschehen wäre, und doch sind sieben lange Jahre darüber hingegangen. Du erinnerst dich Vater, aus dem Verhör, dass ich mit dem Juden in einer ziemlich schlechten Dorfschenke übernachtete, dort in Schlesien gibt es noch weite, öde Strecken, und der Verkehr ist, besonders bei schlechtem Wetter, kein großer auf den Straßen. Dass der Unglückliche viel Geld bei sich hatte, konnte ich natürlich nicht wissen, und was hätte ich mich auch darum gekümmert? Wir zehrten den Abend zusammen, es war ein komischer Kauz, der den Kopf voller Schnurren hatte, und da ich auch aus meinem Handwerksleben erzählte, blieben wir bei ein paar Gläsern Bier bis spät in die Nacht hinein munter.

       Am nächsten Morgen wollte ich früh aufbrechen, ich war auf dem Heimweg", setzte er mit bewegter Stimme hinzu, „und hoffte, euch bald, recht bald wieder begrüßen zu können, deshalb eilte ich so. Mir lag nur daran, schnell die nächste Eisenbahn zu erreichen.

       Der Jude, der sich Moses nannte, erklärte aber, wenn er auch nicht gerade in so großer Eile selber sei, wolle er mich doch noch ein Stück bis zum nächsten Dorf begleiten, wo er wieder Geschäfte habe, und durch den Wald, der vor uns lag, ginge es sich besser in Gesellschaft. Er musste dort in der Gegend bekannt sein. Nach zwei Stunden scharfen Marschierens erreichten wir das Dorf, gingen aber ziemlich hindurch bis zum letzten großen Hause, wo Moses vor der Hand bleiben wollte. Unterwegs hatte er mir aber noch richtig seine Uhr aufgeschwatzt. Ich hatte außerdem keine, und der Preis, den er dafür forderte, war billig genug. Bei Kasse war ich außerdem, denn ich hatte fleißig gearbeitet und knapp gelebt, und wir wurden endlich handelseinig. Ich konnte nicht ahnen, wie gefährlich der Kauf für mich werden sollte.

       Ich wanderte jetzt allein weiter. Es ging sich nicht besonders auf dem schlechten Weg, und ich überlegte mir schon, wie ich in dem nächsten größeren Dorfe Mittag machen und eine Stunde ausruhen wollte. Ich musste hier wieder durch eine Strecke Wald, der teils aus Birken, Kiefern und Erlen bestand, nur vereinzelt standen ein paar Eichen dazwischen. Leute hatte ich bis jetzt sehr wenige auf der Straße getroffen – ein paar Juden mit einem Karren und zwei kleinen, mageren Pferden war mir begegnet, und ein Reiter hatte mich überholt, war aber scharf vorbeigeritten. Ich musste auch zu viel auf den Weg achten, um einzelnen Schlammlöchern auszuweichen, als dass ich richtig auf ihn geachtet hätte. Jetzt begegnete mir ein anderer Fußgänger, der aber plötzlich wie aus dem Wald herauskam, was mir jedoch auch nicht auffiel, denn ich war schon selbst ein paar Mal über den Graben und in die Büsche hineingesprungen, um dort vielleicht etwas trocknere oder doch härtere Bahn zu finden. Er mochte in meinem Alter sein, vielleicht ein oder zwei Jahre älter, und ging fast wie ein Städter gekleidet. Der Weg schien ihm aber gar nicht zu passen, kurz vorher, ehe ich an ihn herankam, war er in einem Schlammloch stecken geblieben, und als ich ihm Guten Tag bot, rief er:

       „Ach, Kamerad, ihr könntet mir einen großen Gefallen tun! Ihr habt da einen prächtigen Stock, verkauft mir den, ich komme in dem verdammten Weg ohne Stock fast gar nicht von der Stelle!“

       Der Stock war ein richtiger, aber sehr hübsch gewundener Knotenstock, den ich mir im letzten Städtchen selbst erst gekauft und dafür einen Taler und zehn Groschen bezahlt hatte. Er war nur eigentlich etwas zu schwer zum Marschieren, mit einer dicken, eisernen Zwinge unten dran. Ich meinte auch, ich würde den Stock wohl selbst nötig haben, um fortzukommen, er aber bot mir einen so hohen Preis – etwa die Hälfte von dem, was ich dem alten Juden für die Uhr gegeben – dass ich mich endlich überreden ließ. Ich dachte mir: Im nächsten Dorf kannst du immer einen Stock kriegen, und wenn du einen aus der Hecke ziehen musst. Damit schieden wir, ich ging meinen Weg voraus und er zurück, und da die Straße dort viele Biegungen machte, verloren wir einander bald aus den Augen.

       Gegen Mittag erreichte ich endlich ein kleines Nest. Wie es heißt, habe ich vergessen, es waren nur ein paar einzeln stehende Häuser mit einem Wirthaus dazwischen, aß dort etwas und ruhte mich dann wohl eine volle Stunde aus.“

       „Auch das hat dein Verteidiger zu deinen Gunsten vorgebracht“, sagte der Vater.

       „Ich weiß es,“ erwiderte der Sohn leise. „Aber der Staatsanwalt behauptete, dass jemand, der eine solche Tat vollbrachte, wohl die Kräfte verlassen konnten, so dass er gezwungen wäre, auszuruhen. Nach Tisch nun ging ich weiter, aber der Weg wurde so schlecht, dass ich nur langsam vorrücken konnte, bis mir ein paar Holzschläger, die ich an der Straße traf, den Rat gaben, ich sollte den nächsten Fußweg, den ich träfe, rechts durchs Holz nehmen, wenn ich an eine kleine, hölzerne Brücke mit einem Pfahl daran käme. Von da hätte ich besseren Weg und käme früher zum nächsten Ort, als wenn ich die breite Straße hielte. Den Weg fand ich denn auch und folgte ihm, aber er lief aus, ich muss ihn in dem nassen Grund vielleicht auch verfehlt haben, kurz, ich kam in einen anderen Pfad, hielt aber immer die Richtung, die ich als richtig empfand, bis ich aus dem Holz herauskam, ein anderes Dorf vor mir sah und darauf zueilte.“

       „Ich weiß“, sagte der Vater. „Du hattest angegeben, dass du dich verirrt hättest...“

       „Und das hatte ich auch, Vater“, sagte Karl. „Ich war ein tüchtiges Stück aus meinem Weg gekommen, wusste aber auch, dass ich dort bei den Häusern wieder eine Straße finden würde, und arbeitete mich darauf zu. Als ich das Dorf aber nur betrat – und es war schon fast dunkel geworden – kam mir ein berittener Gendarm entgegen und hielt mich an, ich musste ihm folgen, und – das weitere wisst ihr“, setzte er scheu hinzu. „Ich wurde eines Raubmordes angeklagt, ein volles Jahr in Untersuchung gehalten, und was ich dabei ausgestanden habe, könnte ich euch nicht mit Worten sagen. Dann kam das Gericht, ich wurde trotz allem, was ich zu meiner Verteidigung vorbringen konnte, verurteilt, und jetzt bin ich, nachdem ich meine Strafe abgesessen, in die Welt wieder ausgestoßen – elend, gebrandmarkt, ein Zuchthäusler....“

       Er schwieg und barg das Antlitz in den Händen, und kein Ton im Zimmer wurde laut, selbst die Kinder wagten kaum zu atmen. D a s sollte der Bruder und Onkel sein, von dem ihnen die Margaret schon erzählt, der bleiche Mann mit den eingefallenen Wangen und hohlen Augen? ...

       „Und wer, glaubst du, hat den Mord verübt?“ sagte der Vater endlich. „Wenn du – wenn du wirklich unschuldig so Furchtbares erduldet hast.“

       Der Sohn schaute wild empor. „Jener Mann“, rief er mit heiserer Stimme, „der mir den Stock abgekauft! Es ist nicht anders möglich, denn mein Stock, mit Blut bespritzt, lag neben dem zerschmetterten Schädel des armen Juden, und kein anderer kann den Schlag geführt haben als der Fremde."

       „Und man hat ihn nie aufgefunden?“

       „Nein“, sagte Karl tonlos. „Sie glaubten mir ja die ganze Sache nicht und haben vielleicht kaum nach ihm gesucht. Wo er aber hergekommen, wohin er gegangen ist – wie kann ich es wissen! Manchmal war es mir freilich, als ob es derselbe sein müsste, der vorher zu Pferde an mir vorbeigesprengt, aber ich hatte ihn nicht deutlich genug gesehen, um das beschwören zu können.“

       „Und wie sah er aus?“

       „Ich weiß es nicht“, hauchte der Unglückliche. „Ich wurde schon damals vom Gericht aufgefordert, eine genaue