Das erste Teilchen ist kriegsentscheidend, es muss sorgsam ausgewählt werden. Nach so vielen Jahren Erfahrung weiß ich, dass man dazu kein Teilchen vom Himmel nehmen darf, es muss ein extravagantes Teilchen mit einer extravaganten Farbe sein. Lila kommt auf dem Insel-Mainau-Bild fast nicht vor – das eignet sich hervorragend zum Einstieg. Es ist wie bei einem Schachspiel. Man muss sich genau überlegen, wie man eröffnet.
In meiner Sammlung befindet sich neben der Insel Mainau auch noch ein äußerst seltenes 5000-Teile-Puzzle mit einer Jagdszene, die auf einem englischen Landsitz spielt – 23 Jagdhunde mit 12 berittenen Fuchsjägern sind darauf zu sehen. Dann habe ich noch ein Puzzle vom Indischen Ozean mit 17 verschiedenen Blautönen, ein Puzzle mit den schottischen Highlands und ein 5000-Teile-Puzzle von der Wüste Gobi – dieses Puzzle habe ich schon in einer kleineren Version bezwungen. Außerdem besitze ich noch ein Puzzle von einer Sonneneruption und ein nahezu unlegbares: ein Puzzle von einem schwarzen Loch. Daran wage ich mich erst nach der Seuche, wenn ich mehr Zeit und Muße habe. Denn hier muss ich meine ganze Meisterschaft im Puzzeln unter Beweis stellen und all mein Können ausspielen.
Fürs erste ist es mit dem intensiven Puzzeln jedoch vorbei. Das belastet mich, denn wenn ich nur noch am Wochenende puzzle, gerate ich natürlich aus der Übung. Eine lange Zeit war ich beim Puzzeln vollkommen austrainiert, jetzt wird mich die Seuche um Jahre zurückwerfen. Nach der Krise muss ich erst wieder zu meiner alten Form finden. Es wird mir dann schwerfallen, in einen meditativen Fluss zu kommen, mich ganz fallenzulassen und Raum und Zeit zu vergessen. Aber damit muss ich leben. Ich werde mir dann viel Zeit lassen, wieder ins Puzzeln hineinzukommen, ich darf mich nicht allzu sehr unter Druck setzen. Momentan ist die Lage etwas kompliziert – ich muss mich am Abend über die Seuche informieren und die neuen Maßnahmen der Regierung möglichst schnell verinnerlichen, damit ich sie beim Fenstersitzen am Tage stets vor Augen habe und für die korrekte Einhaltung bei meinen Passanten Sorge tragen kann. Da bleibt für das Puzzeln am Abend keine Zeit. Diesen Preis muss ich in der Krise zahlen. Habe ich früher den Feierabend mit meinem Hobby zugebracht, so verbringe ich jetzt die Abendstunden damit, die Corona-News im Fernsehen zu verfolgen, damit ich über die neuesten Beschlüsse der Regierung auf dem Laufenden bin. Das Puzzeln kann jetzt nur noch am Wochenende stattfinden. Der Ausgleich am Feierabend fehlt mir sehr. Ich merke wie ich im Verlauf der Seuche immer reizbarer und unausgeglichener werde. Wenn ich am Morgen den Arbeitstag beginne und etwa zwei Stunden später sich die ersten Fenstersitzer im Wohnblock gegenüber an den Fenstern zeigen, dann liegen oft schon die Nerven blank. Seit der Seuche betreibe ich daher am Wochenende das Puzzeln besonders ausgiebig. Nach fünf Tagen ohne Puzzeln machen sich am Ende der Woche deutliche Entzugserscheinungen bemerkbar und deshalb gönne ich mir gleich am Samstagmorgen ein neues, noch unberührtes 10000-Teile-Puzzle. Es kann sogar sein, dass ich aufgrund des Entzugs zwei oder drei 10000-Teile-Puzzles am Samstag und Sonntag fertigstelle.
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