Als Madeleine an Neptuns ehemaliger Box vorbei kam, kullerte ihr erneut eine Träne über die Wange. Sie versorgte Löwenherz im Schulstall, während sich ihre Freundinnen um ihre Pferde, in deren Stalltrakt, kümmerten. Bis jetzt hatte es sie nie gestört, dass sie hier so alleine und abgeschnitten von ihrer Clique war. Da war sie allerdings meistens Neptun geritten, der für sie eh zu ihren besten Freunden gezählt hatte. Außerdem besuchten Iris und Nina erst seit diesem Schuljahr das Internat. Davor hatten Lisa und Madeleine grundsätzlich ihre Pferde alleine versorgt. Um so schnell es ging von Neptuns ehemaliger Box weg, und zu ihren Freundinnen zu kommen, beeilte sie sich heute besonders und lief schon nach zehn Minuten hinüber zu den Offenställen.
Nina, die gerade Donnys Hufe auskratzte, staunte nicht schlecht, als Madeleine in die Stallgasse trat. „Du warst aber ganz schön flott“, stellte sie fest und setzte den Huf des Haflingers am Boden ab.
„Ich fand es doof, so alleine im Schulstall“, erklärte sie und fuhr mit der Hand über Donnys weiche Nüstern. Hilde, die neben ihm stand, dachte wohl, sie hätte ihm etwas Leckeres zugesteckt, denn sie stupste Madeleine sofort fordernd mit der Nase an. Kichernd drehte sich diese zu der Stute um und streichelte sie ebenfalls. Schon begann Cornet zu scharren und das Mädchen teilte die Streicheleinheiten auch mit ihr.
„Nimm doch das nächste Mal dein Pferd zum Putzen mit hier her“, schlug Iris vor.
„Dann muss sie die Putzsachen und den Sattel von ganz vorne bis hier hinter tragen. Das ist genauso doof“, mischte sich Lisa mit ein. Madeleine seufzte. Ihre Freundin hatte recht. Das war ja der Grund dafür, dass sie immer alleine ihr Schulpferd vorbereitete und versorgte.
„Ist doch ganz logisch!“, rief Nina. „Du brauchst einfach auch ein eigenes Pferd!“
Ein eigenes Pferd
Als die vier Mädchen beim Abendessen saßen, gab es kein anderes Thema mehr. Madeleine brauchte ein eigenes Pferd. Am besten sofort. Nur Madeleine selbst war noch immer skeptisch. Einerseits gefiel ihr der Gedanke, aber wie sollte sie ihre Eltern dazu überreden? Und wo sollte sie ein Geeignetes finden? Und was für Eines überhaupt? Und konnte ihr so ein eigenes Pferd Neptun wirklich ersetzen?
Die Nachricht über den Verkauf des Norwegers hatte sich wie ein Lauffeuer im gesamten Internat verbreitet. Da Madeleines Klassenkameraden wussten, wie sehr sie an dem Schulpferd hing, war es nicht verwunderlich, dass sie nach und nach alle zu der kleinen Gruppe stießen. Jeder wollten wissen, wie es ihr ging und was sie nun vor hatte.
„Also wenn du ein eigenes Pferd haben willst und es deine Eltern erlauben, dann solltest du mal mit Frau Graf sprechen“, schlug Samantha vor. „Sie kann dir bestimmt bei der Pferdesuche helfen.“ Madeleine nickte zustimmend. Die Reitlehrerin konnte ihre reiterlichen Fähigkeiten vermutlich am ehesten einschätzen. Vielleicht wusste sie sogar von einem passenden Pferd.
„Und was unternehmen wir wegen Helene?“, wollte Manuela nun wissen. Fragend sahen die Mädchen nun zu ihr und sie sprach weiter: „Es wird Zeit, dass sie endlich mal die Quittung für ihr Verhalten bekommt, findet ihr nicht auch? Nur weil ihr Papa Kohle ohne Ende hat, kann sie sich doch nicht alles erlauben!“ Zustimmendes Gemurmel machte sich breit.
„Ich glaube nicht, dass ihr Vater eines ihrer Pferde einfach so verkauft. Außerdem würde es Helene vermutlich überhaupt nicht stören. Kauft ihr Papa eben ein Neues. Die hängt doch nicht wirklich an dem Tier. Der geht es nur darum, dass sie mit dem Pferd was erreichen kann“, meinte nun Samantha.
„Dann machen wir das auf andere Weise. Man muss ihr deswegen ja nicht eines ihrer Tiere wegnehmen. Aber einen ordentlichen Denkzettel hat sie auf jeden Fall verdient!“, rief Nina und alle Anwesenden stimmten ihr zu. Helene hatte lang genug getan, was sie wollte. Sie berieten noch eine ganze Weile und beschlossen schließlich, dass jede einzelne von ihnen über die Rache an der Klassenkameradin nachdenken sollte und sie sich in ein paar Tagen nochmal zusammen setzen würden.
Nach dem Essen gingen die vier Mädchen noch einmal zum Stall, um ihren Pferden eine gute Nacht zu wünschen. Für gewöhnlich war Madeleine dafür in den Schulstall gegangen. Da dort jedoch nun kein Pony mehr auf sie wartete, blieb sie bei ihren Freundinnen und streichelte hier einige Pferdenasen, bis die anderen sich von ihren Lieblingen loseisen konnten.
„Wollen wir noch Fernsehen gehen?“, fragte Lisa in die Runde, als sie über den Hof zurück in das Wohngebäude gingen. Madeleine schüttelte den Kopf.
„Ich werde jetzt dann mal daheim anrufen und meinen Eltern alles erzählen. Mittlerweile sind sie bestimmt schon wieder Zuhause“, erklärte sie.
„Sollen wir mitkommen?“, fragte Nina, doch ihre Freundin verneinte. Sie wollte alleine mit ihren Eltern sprechen.
Es dauerte ziemlich lange, bis Madeleine zu den anderen im Gemeinschaftsraum stieß. Sie hatte wieder verquollene Augen, aber dafür ein Lächeln auf dem Gesicht. „Sie haben ja gesagt!“, jubelte sie, als sie vor ihre Freundinnen trat. „Mama hat versprochen, dass ich ein eigenes Pferd bekomme!“
Nacheinander fielen sie ihr um den Hals und beglückwünschten sie. Doch lange hielt diese Freude nicht an, denn noch während sie von dem Telefonat erzählte, ertönte ein lauter Gong, der die Schülerinnen auf die beginnende Zimmerruhe hinwies.
Nina schaltete den Fernsehapparat ab und sie machten sich auf den Weg zu den Schlafzimmern. Natürlich erzählte Madeleine derweil munter weiter. Erst, als sie an ihren Zimmern ankamen, verstummte sie und die Mädchen trennten sich.
„Ist das genial!“, rief Nina und begann endlich damit, ihre Reisetasche auszuräumen und ihre Klamotten im Schrank zu verstauen.
„Hoffentlich kommt ihr Pferd dann auch in den Offenstall 2“, überlegte Iris laut und machte es Nina nach. Da gab ihr Handy einen Piepston von sich. Sie warf kurz einen Blick darauf und wurde wieder aufgeregt.
„Madeleine hat geschrieben, wir sollen schnell duschen gehen, sie ruft uns in 20 Minuten an, dann erzählt sie weiter!“, erklärte sie und verschwand direkt im Bad. Nina nutzte die Zeit ihre Sachen fertig einzuräumen. Als sie gerade die leere Tasche unter ihr Bett schob, tapste Iris aus dem Bad und Nina huschte hinein.
Pünktlich klingelte das Handy von Iris und sie stellte es direkt auf Lautsprecher. Nun berichtete Madeleine detailliert, wie sie bei der Schilderung von Neptuns Verkauf in Tränen ausgebrochen war und sie anschließend um ein eigenes Pferd gebeten hatte. Noch bevor ihre Eltern hatten antworten können, hatte sie begonnen zu flehen. Sie hatte von ihren Freundinnen erzählt, die alle ein eigenes Pferd besaßen und wie ausgeschlossen sie sich jetzt fühlte. Nach über einer Viertelstunde, in der sie pausenlos gesprochen hatte, hatte ihre Mutter sie plötzlich unterbrochen und sich einverstanden erklärt. Auch ihr Vater war längst überzeugt gewesen.
„Sie wollen beim nächsten Heimfahrwochenende mit Frau Graf sprechen. Und dann geht es an die Pferdesuche“, sagte Madeleine aufgeregt.
„Hast du dir schon überlegt, welche Rasse dein Pferd haben soll?“, wollte Nina jetzt wissen.
„Anfangs hatte ich an einen Norweger gedacht. Einen Neptun 2.0 sozusagen. Aber Lisa meinte, ich sollte mich lieber nicht zu sehr auf eine Rasse einschießen.“
„Als ich Cornet bekommen habe, war ich eigentlich auf der Suche nach einem Reitponywallach“, erklärte Lisa, die zusammen mit Madeleine im Zimmer am Telefon saß.
Plötzlich ging die Zimmertüre von Iris und Nina auf. „Habt ihr Mal auf die Uhr gesehen?“, fragte Frau Buchholz, die ins Zimmer getreten war. Sie bemerkte natürlich das Telefon in Iris Händen.
„Jetzt wird aber schnell aufgelegt und dann wird geschlafen. Nicht, dass ihr mir morgen im Unterricht einschlaft!“, bestimmte sie und ging wieder. Seufzend verabschiedeten sich die Mädchen voneinander und legten auf.
Während Iris bereits innerhalb weniger Minuten eingeschlafen war,