Jen umklammerte ihr Handy etwas fester. „Äh, hallo. Mein Name ist Jennifer Niegel, also Jen meine ich.“ Super Anfang! Mist, als würde Cora mein Spitzname interessieren. „Ich habe Ihren Zettel im Kindergarten gelesen. Ich bin die Mama von Tim“, fügte sie schnell hinzu.
„Hallo, Jen“, antwortete Cora freundlich. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich so schnell jemand meldet. Ich habe den Zettel erst vor einer Stunde aufgehängt.“
„Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch ziemlich spontan angerufen. Ich hatte nicht wirklich Zeit, darüber nachzudenken, ob es eine gute Idee ist.“ Das Gespräch wird immer besser, dachte Jen ironisch. Doch zu ihrer Erleichterung lachte Cora. „Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch nicht wirklich Zeit, darüber nachzudenken, ob ich diesen Zettel überhaupt aufhängen will.“
„Das ist doch ein toller Anfang. Wir sind zwei Frauen, die anscheinend Hilfe brauchen, sich aber nicht sicher sind, ob sie das wollen.“
„Auf den Punkt gebracht. Hätte ich nicht besser ausdrücken können. Was halten Sie von einem späten Frühstück?“
„Klingt klasse. Jetzt gleich?“, fragte Jen vorsichtshalber noch mal nach.
„Jetzt gleich. Kennen Sie das Henriette? Ist nicht weit vom Kindergarten entfernt.“
Jen nickte. „Kenne ich. Wann?“
„Ich bin schon da.“
„Wow. Ich brauche zwei Minuten. Bis gleich.“
Jen legte auf, überlegte kurz, mit dem Auto die paar Meter zu fahren, entschied sich dann aber dagegen. Ein wenig frische Luft würde ihr guttun.
Kurze Zeit später betrat sie das gemütliche Café. Erst jetzt kam ihr der Gedanke, dass sie gar nicht wusste, wie Cora aussah. Leider war das Café nicht gerade leer.
Sei‘s drum! „Hallo!“, rief sie laut. „Mein Name ist Jen, und ich suche Cora.“
So ziemlich jeder in dem Café blickte hoch und starrte sie an.
„Hallo! Ich bin Cora und warte auf Jen!“, hörte sie von schräg links eine Frauenstimme in der gleichen Lautstärke antworten.
„Vielen Dank. Und jetzt bitte alle wieder weiter frühstücken!“
Die Gäste widmeten sich wieder ihrem Frühstücks-Ei und ihrem Orangensaft, während Jen auf Cora zuging und sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen ließ.
Cora lächelte sie amüsiert an.
„Bestimmt war das nicht die beste Art, mich vorzustellen, aber die schnellste“, sagte Jen und reichte ihr über den Tisch die Hand, die Cora ergriff.
„Ich fand es gut gelöst. Jetzt weiß ich alles, was ich über dich wissen muss“, kam Cora gleich zum Du. „Du bist spontan“, fügte sie an, „findest schnell Lösungen, handelst aus dem Gefühl heraus und verschwendest keinen Gedanken daran, was andere von dir halten.“
„Und? Habe ich mich jetzt selber disqualifiziert?“
„Willkommen in unserer neu gegründeten WG.“
Jen grinste. „Du bist ja noch spontaner.“
„Mein Bauchgefühl sagt mir, es passt. Außerdem bist du mir nicht ganz unbekannt“, gestand Cora. „Tim hat mir von seinem Papa erzählt. Es tut mir sehr leid“, fügte sie hinzu.
„Danke. Ich wusste nicht, dass du Tim kennst.“
„Oh. Tim erzählt mir viel, wenn ich Lara und Nils abhole. Anscheinend spielen Lara und Tim öfter zusammen. Jedenfalls weiß ich immer genau, wo seine Mama gerade ist. Thailand, Amerika, Südafrika.“
Jen verdrehte die Augen. „Oh je, das muss ziemlich arrogant klingen.“
„Nicht in meinen Ohren. Ich habe auch mal als Stewardess gearbeitet.“
Erstaunt blickte Jen sie an.
„Deswegen kann ich mir deine Probleme als Alleinerziehende sehr gut vorstellen. Ich bin froh, wenn wir uns gegenseitig helfen können.“
„Dann muss ich dir nicht erklären, dass ich öfter für drei oder vier Tage am Stück weg bin. In der Zeit könnte meine Mutter selbstverständlich helfen. Obwohl ich meist am Wochenende fliege“, fügte sie hinzu.
Cora winkte ab. „Das wird sich alles einpendeln. Ich bin an den Wochenenden ja zu Hause.“
Jen seufzte auf. „Das wäre klasse. Meine Mutter lässt sich von Tim um den kleinen Finger wickeln. Ihm fehlt eindeutig etwas Disziplin. Versteh mich nicht falsch“, sagte sie schnell, als sie merkte, wie das klang. „Tim ist kein Rowdy oder so. Er ist …“
„… ein ganz normaler Junge, der rausgefunden hat, dass seine Oma eben seine Oma ist und nicht seine Mama. Keine Regeln. Ich kenne das.“
Seit langer Zeit fühlte sich Jen das erste Mal nicht mehr so verzweifelt, so taub. Dankbar lächelte sie Cora an.
„Lass uns in Ruhe frühstücken, und dann zeige ich dir das Haus.“
„Bin ich die Erste, die dich angerufen hat?“
Cora nickte. „Aber ich denke, eine dritte Mama sollten wir noch suchen. Den Platz habe ich allemal. Fällt dir jemand ein?“
„Leider nein. Ich habe nicht viel Kontakt zu den Müttern.“ Jen merkte selber, wie abfällig das geklungen hatte.
Cora schmunzelte. „Du meinst diese Übermütter, die einfach alles auf die Reihe kriegen, die Erziehung, ihren Haushalt, ihren Job und dabei auch noch aussehen, als wären sie gerade frisch vom Frisör gekommen?“
„Genau die.“
„Dazu gehöre ich auch nicht. Und unsere dritte Mitbewohnerin wird mit Sicherheit auch nicht zu dieser Riege zählen.“
„Ich finde das Haus bezaubernd. Die beiden Zimmer für Tim und mich sind hervorragend. Tim wird sich sicher wohl fühlen. Und die Miete ist mehr als angemessen.“
„Dann sind wir uns ja einig. Ich freue mich.“
„Und ich erst.“ Spontan umarmte Jen Cora, bevor sie hinzufügte: „Ich habe das Gefühl, dass sich mein Leben ab jetzt einfacher gestaltet.“
„Zumindest entspannter.“
„Das reicht mir für den Anfang.“
Zwei Wochen später zogen Jen und Tim ein. Wie nicht anders zu erwarten, war Tim Feuer und Flamme. „Jetzt bekomme ich einen kleinen Bruder und eine kleine Schwester.“
Lara protestierte, da sie nicht klein sei. Nils freute sich. Und Jen und Cora verbrachten ihren ersten gemeinsamen Abend vor dem Kamin, mit einem Glas Wein in der Hand, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatten.
„Hat sich niemand mehr gemeldet?“
Cora schüttelte den Kopf. „Wir werden wohl erstmal zu zweit klarkommen müssen.“
„Das klappt schon. Wie gesagt, meine Mutter hilft gerne. Ich muss übermorgen für drei Tage nach New York.“
„Alles klar. Ich gebe dir morgen die Einkaufsliste“, scherzte Cora.
Jen grinste. „Das habe ich nicht gemeint, obwohl ich dir gerne etwas mitbringe. Aber ich bin für drei Tage weg. Und das mitten in der Woche. Du musst sicherlich arbeiten.“
„Muss ich nicht.“
„Hast du Urlaub?“
„Sozusagen. Ich wurde gefeuert.“
Jen starrte sie erstaunt an.
„Die offizielle Stellungnahme lautet, dass mein Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde. Willst du die inoffizielle hören?“
„Klar!“
„Ich