Krähenzeit. Katrin Fölck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katrin Fölck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746787978
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Bonbon könnte ihre Halsschmerzen lindern… Dann hätte sie noch acht.

      

       3

      Sophie musste sich eingestehen, dass sie keinerlei Zeitgefühl hatte. Sie konnte weder sagen, ob es gerade Tag oder Nacht war, noch, wie viel Zeit bereits seit ihrem Verschwinden vergangen war. Sie wusste nur, dass die Zeit im Dunkeln gefühlt langsamer verging. Warum das so war, vermochte sie nicht zu sagen. Vielleicht, weil man nichts sah und nichts tun konnte, sich anderweitig abzulenken. Die Finsternis war die einzige Beständigkeit um sie herum, es machte daher für sie ohnehin nicht den kleinsten Unterschied. Trotzdem fragte sie sich, wie lange sie wohl geschlafen hatte. Wie lange sie hier schon zubrachte und ob Stanley bereits nach ihr suchte.

       Sie setzte sich auf. Ihr Magen grummelte und sie hatte Durst. Das war nicht das erste Mal.

       „Hallo?! Ist da wer?! Ich habe Hunger!“

      Keine Antwort.

       Dieses Schwein, dachte sie, kann mich doch hier nicht einfach so verrecken lassen…

       Sie schlug wütend und verzweifelt auf den harten Boden ein, bis es wehtat. Der Schmerz machte, dass sie sich wieder spürte. Sie lebte noch…

       Sophie begann, sich selber Mut zuzusprechen. Wenn du hier raus willst, reiß dich, verdammt noch mal, zusammen! Lass dich nicht so hängen! Überlege, was du tun kannst! Leichter gesagt, als getan, wenn man fror und sich in der Dunkelheit fürchtete und die negativen Gedanken drohten, sofort wieder die Oberhand zu gewinnen: Was, wenn sie hier nie wieder herauskam? Oh Gott, nein. Das durfte sie nicht einmal denken! Vincent, ihre Freunde, die Arbeitskollegen und ihre Eltern würden sie sicher bald vermissen und nachforschen, wo sie abgeblieben wäre. Aber, wie lange konnte man das hier überleben? … ohne Essen wohl eine ganze Weile, aber ohne Wasser?“

       Erneut begann sie zu rufen.

      War da etwas? Ein Geräusch? Sie hielt inne. Lauschte. Eine heiße Welle schwappte durch ihren Körper und flutete sie mit Adrenalin. Einen kurzen Moment lang überkam sie neue Hoffnung, gab ihr Zuversicht und Auftrieb. Als alles still blieb, wusste sie, dass sie etwas tun musste. So, wie die Sache stand, sollte sie unbedingt erst einmal herausfinden, wo sie sich befand... Allerdings machte ihr die Tatsache, sich in völliger Dunkelheit aufzuhalten und sich in ihr fortbewegen zu müssen, nicht nur panische Angst, sondern kostete sie zudem einiges an Überwindung. Sie wusste längst, dass die Erkundung der Umgebung nicht nur ein beschwerliches, sondern auch ein nicht minder gefährliches Unterfangen für sie bedeutete. Dennoch, ihr blieb nichts anderes übrig, wenn sie sich nicht in ihr Schicksal ergeben wollte. Und das konnte sie noch früh genug, falls es keinen Ausweg gab.

       Vorsichtig erhob sie sich. Ihr wurde schwindlig. Sie musste innehalten und atmete erst einmal mehrere Male tief ein und aus. Als es besser wurde, begann sie den Boden um sich herum mit ihren Füßen abzutasten. Dann schlurfte sie langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, vorwärts.

       Der Boden unter ihr war uneben und rutschig. Manchmal lagen Steine und Geröll im Weg. Mehr als einmal stürzte sie fast, konnte sich im letzten Moment gerade noch abfangen. Einige Male landete sie dabei auf ihren Knien, die sie sich dabei aufschlug. Doch auch von der Decke drohte Gefahr. Diese war ungleich hoch, so dass sie sich den Kopf anstieß. Danach erforschte sie die Umgegend noch bedachter, indem sie die Rechte nach vorn und die Linke nach oben gestreckt, vorwärts ging. Irgendwann wurde sie von einer Wand gestoppt, die sich vor ihr aufbaute. Diese bestand nicht aus Ziegeln, war jedoch auch nicht geputzt. Sie schien aus Stein zu bestehen, war glatt, jedoch auch uneben und rissig.

       Ein Keller war das nicht. Aber was dann? Ein unterirdischer Bunker? Eine Höhle?

      Während sie sich Zentimeter für Zentimeter vorarbeitete, festigte sich ihre Vermutung. Ja, sie musste sich in einer Höhle befinden. Ihre Mutmaßung setzte eine enorme Kraft in ihr frei. Sie wusste jetzt, dass es irgendwo einen Ausgang gab. Nun musste sie ihn nur noch finden.

      4

      Stanley Cooper hatte bereits unzählige Male versucht, seine Freundin zu erreichen. Schließlich hatte er es aufgegeben und ihr eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Er hatte sich mit einem ehemaligen Studienkollegen für den Feierabend verabredet, der überraschend für einen Tag in der Stadt weilte. Aus diesem Grund würde er später nach Hause kommen.

      Dass er jedoch gar nicht heimkäme, wusste er in diesem Moment noch nicht.

       Die beiden Männer hatten sich viel zu erzählen und einiges getrunken. Da Stanley seinen Führerschein nicht riskieren wollte, nahm er das Angebot seines Kumpels an und übernachtete bei diesem im Hotel. Er fuhr am Freitagmorgen gleich vom Hotel aus in die Bank, in der er arbeitete. Von dort aus versuchte Stanley abermals, seine Freundin zu erreichen. Doch auch dieses Mal hatte er kein Glück. Den ganzen Tag lang wartete er auf ein Zeichen von ihr. Doch auch bis zum Abend hatte Sophie auf keinen seiner Anrufe reagiert. Auf keinen einzigen.

       Wahrscheinlich schmollte sie mit ihm. Deshalb dachte er darüber nach, ihr Blumen oder ihre Lieblingspralinen mitzubringen, um sie wieder versöhnlich zu stimmen. Andererseits hatte er sich nichts vorzuwerfen. Er hatte weder etwas Falsches getan, noch etwas zu beichten. Er war einfach nur mit einem alten Kumpel zusammen gewesen. Möglicherweise würde Sophie wohl gerade erst aus dem Grund, dass er ihr etwas mitbrachte, auf dumme Ideen kommen. Also ließ er es. Er könnte sie ja immer noch ins Kino einladen… Nur nicht gerade an diesem Abend. Er hatte Kopfschmerzen und brauchte wirklich etwas Ruhe.

       „Sophie?“ rief er nach ihr, als er die Wohnung betrat. Er ließ Wohnungs- und Autoschlüssel auf die Kommode im Flur fallen. Alles blieb ruhig.

       Stanley öffnete die Badezimmertür und schaute kurz hinein. Leer. Dann ging er ins Schlafzimmer. Keine Spur von seiner Freundin. Er fand nicht das Geringste, was seine Freundin ihm hinterlassen hatte. Keinen Zettel, keine Nachricht.

       Daraufhin ging er in die Küche, ließ sich ein Glas Wasser ein und nahm eine Tablette gegen seine Kopfschmerzen. Dann ließ er sich auf die Couch fallen. Er musste eingeschlafen sein, denn als er gegen zweiundzwanzig Uhr aufwachte, war Sophie immer noch nicht zu Hause. Jetzt begann er, sich wirklich Sorgen zu machen. Der Anrufbeantworter fiel ihm auf, der blinkte. Wieso hatte er nicht schon beim Nachhausekommen daran gedacht? Er stürzte zu dem Gerät hin und hörte sich die hinterlassenen Nachrichten an. Vielleicht war ja eine von Sophie für ihn dabei?

       „Sophie? Linda hier, denkst du an das Meeting um Eins?! …nur, weil du noch nicht hier bist. Es ist 12.“, war die erste eingegangene Sprachnachricht ihrer Arbeitskollegin. Die nächste kam ebenfalls aus dem Büro, dieses Mal von Eddie: „Sophie. Ich wollte dich nur noch einmal erinnern. Das Meeting ist in zehn Minuten. Linda dreht schon vollkommen durch, weil du noch nicht aufgetaucht bist…“

      Die folgenden Nachrichten stammten von ihm selbst. Zum Schluss folgte noch eine von Linda, in der sie laut, hysterisch und lange erklärte, was sie von Sophie hielt.

       Stanley ließ sich auf den Fußboden sinken. Was war hier los? Wo war Sophie?

      5

      Als Erstes wählte Stanley Eddies Nummer. Es klingelte lange, ehe dieser endlich ranging. Seine Stimme klang verschlafen.

       „Ja?“

      „Coop hier. Sorry, Ed, wenn ich dich aus dem Bett geholt habe… Ich mache mir Sorgen um Sophie. Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich habe gerade den Anrufbeantworter abgehört…, demnach ist sie heute gar nicht im Büro gewesen?“

       „Nein, sie hat sich nicht sehen lassen. Angerufen hat sie auch nicht. Frag bloß nicht, Linda ist total ausgetickt!“

       „Ich versteh` das alles nicht. Das ist ganz und gar nicht Sophie`s Natur… grundlos und ohne eine Nachricht zu hinterlassen zu verschwinden…“ Stanley raufte sich die Haare.

       „Ich weiß auch nicht, Stan.“, antwortete Ed ratlos. „Das ist wirklich seltsam. Hast du schon bei ihren Eltern angerufen?“