Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft. Bernhard Domschcke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Domschcke
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitzeugen des Sezessionskrieges
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783738086881
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Wir verhängten die Öffnungen, so gut es ging, mit Decken und alten Lumpen und hüllten uns nächtens, meistens ohne uns auszukleiden, in die Decken, welche uns die Rebellen gegeben hatten. Dennoch froren sehr viele, denn nur wenige hatten Decken aus dem Norden erhalten. Zu Ende des Jahres 1863 und in den ersten Monaten des Folgejahres war die Kälte in Richmond größer als wir erwartet hatten und an einigen Tagen nicht geringer als in Wisconsin oder Minnesota. Was unsere Heizungsapparate anbelangte, so befand sich in jedem Saale nur ein Ofen, welcher natürlich nicht hinreichende Wärme verbreiten konnte, selbst wenn wir Holz genug erhalten hätten. In diesem Punkte war Dick Turner überaus gemein; wir hatten Öfen, aber sehr oft kein Holz; man gab uns Rationen, aber wir konnten sie wegen Mangels an Holz nicht kochen. Am Weihnachtstage, unter anderem, an welchem es ziemlich kalt war, erhielten wir kein Stück Holz und das Fleisch, welches man uns lieferte, mussten wir bis zum nächsten Tage liegen lassen. Dies war Dick Turners Christbescherung. Anfangs wussten wir uns einigermaßen zu helfen, wenn das Holz mangelte, indem wir alte Bretter, Verschläge und sonstiges Holzwerk, das nicht niet- und nagelfest war, abrissen und verbrannten, aber nach und nach wurde auch diese Reserve erschöpft. In den Sälen hatten wir es uns so komfortabel wie möglich eingerichtet; aus den Brettern der aus dem Norden geschickten Kisten wurden Tische, Bänke und Stühle verfertigt und da wir auch Lichter bestellt hatten, so konnten wir die langen Abendstunden durch Lektüre und dergleichen kürzen. Einige, die gute Stimmen hatten, gaben Lieder zum Besten, aber sehr viele, die keine Stimme besaßen, sangen auch. Das Repertoire war freilich kein großes, aber dies bedeutete nichts; man lauschte einem und demselben Liede hundert Male. Ein Quartett-Club, dessen erster Tenor beim Singen ein sirupsüßes Gesicht machte und dessen zweiter Bass, ein Schulmeister aus Pennsylvania, mit großer Gravität dirigierte, sang meistens geistliche Lieder und Hymnen. Hatten diese Quartettsänger ihre heilige Begeisterung ausgehaucht, so begann ein anderer, einen Negergesang oder ein irisches Lied zu singen, dessen Refrain die ganze Gesellschaft wiederholte und zwar in der Regel in ohrenbetäubender Weise. Ich glaube, dass Satan in der Hölle keine schöneren Konzerte hat als sie unsere Stimmband-Akrobaten im "Libby" veranstalteten. Wäre ein talentierter Komponist zugegen gewesen, so hätte er diese Klangwirkungen studieren und später anwenden können, um die Wolfsschlucht-Musik und die Dissonanzen im Fliegenden Holländer vollständig in den Schatten zu stellen. Auch ein Orchester hatte sich gebildet, dessen Hauptinstrumente ein Banjo, eine Gitarre, eine Flöte, eine Violine und eine Handtrommel waren, wozu später ein Kunstfertiger noch einen Triangel aus alten Eisenstäben fertigte, der zwar die ungefähre Form, aber nicht den Ton eines Triangels besaß. Solche kleinen Übelstände konnten indessen nicht genieren und es wurde wacker darauf los gegeigt, gepfiffen und geschlagen, sodass Lanner und Bellini, welche die Lieblingskomponisten dieser Kapelle waren, gewiss im Olymp ihre Freude daran hatten. Ferner organisierte sich eine Gesellschaft von sogenannten "Minstrels", die in kurzen Zwischenräumen mehrere Vorstellungen gab, welche die amerikanischen Offiziere besonders amüsierten. Die Darsteller, natürlich mit schwarzgefärbten Gesichtern und Händen, gaben außer einigen Instrumental- und Gesangsstückchen kleine Possen, sogenannte Farcen, zum Besten, welche den komischen Stücken der professionellen "Minstrels" nachgebildet waren und manche schlechte Witze und derbe Anspielungen enthielten, die für ein Publikum von Damen kaum zulässig gewesen wären. Die Amerikaner liebten indes diese Farcen und Burlesken und vergnügten sich herzlich an den possenhaften Situationen und derben Späßen, sowie an den den Negern abgeschauten, aber etwas übertriebenen Grimmassen und Tänzen. Die "Minstrels" fanden den größten Beifall bei den Insassen des "Libby" und wenn sie schließlich ihre Vorstellungen einstellten, so lag der Hauptgrund in der Schwierigkeit, neue Stücke zu erfinden und Variation in das eintönig gewordene Repertoire zu bringen. Auch wurde der Muse des Tanzes gehuldigt, oft drei- oder viermal in einer Woche, gewöhnlich abends. Nicht selten ereignete es sich, dass unmittelbar nach Beendigung einer religiösen Andachtsstunde die Tanzunterhaltung begann oder dass in einem Saale getanzt, während in einem anderen gebetet wurde. Das "Libby" war eine kleine Welt für sich; in dieser Ecke saßen drei oder vier bei einem Whist-Spiel, in jener studierte einer in einem geistlichen Buche; hier saß eine Gruppe, das gemeinsame Schicksal oder die Austauschfrage mit Eifer und Ernst diskutierend, dort amüsierten sich andere an lustigen Anekdoten, deren der Amerikaner unzählige kennt; in diesem Saale wurde ein sogenannter "Raubzug" veranstaltet, das heißt eine Anzahl von jüngeren Offizieren, welche zu ausgelassenen Streichen immer aufgelegt waren, bildeten, in Einzelreihe hintereinander mit verschlungenen Händen stehend, eine Schlange und stürmten dann auf ein gegebenes Signal hin in vollem Galopp durch den Saal, nicht allein in den freigelassenen Gängen, an deren Seiten unsere Lager- und Sitzplätze sich befanden, sondern auch über Stühle, Tische und Kisten hinweg, alles vor sich niederwerfend und lärmend und tobend wie die wilde Jagd; in einem anderen Saale wurde über gute Sitten und christliches Betragen gepredigt; tiefer Ernst weilte neben leichtem Scherz, tolle Lustigkeit neben trüber Melancholie.

      Die erwähnten Vorstellungen fanden in der zu ebener Erde gelegenen, geräumigen Küche statt, welche auch zum Auf- und Abgehen benutzt wurde. Wenn es kalt war und wir kein Holz erhalten hatten, wurde eine viergliederige Reihe gebildet und ein gesunder "Sturmlauf" veranstaltet, welchen oft der alte General Neal Dow anführte. In der Küche war es vom Morgen bis zum späten Abend sehr lebhaft; in aller Frühe begann das Kochen und mit Ausnahme weniger Stunden waren immer Leute vor den Öfen zu finden, welche damit beschäftigt waren, ihre oft sehr einfachen Gerichte zuzubereiten. Das frühere Arrangement, wonach die sogenannten "Messen" zusammen der Reihenfolge gemäß kochten, war aufgegeben worden, weil uns die Rebellen die anfangs gelieferten Rationen nicht mehr zukommen ließen und es kochte jetzt jeder nach seinem eigenen Belieben oder mehrere fanden sich zu einer "Privatmesse" zusammen. Früh morgens wurde meistens nur Kaffee gekocht; viele hatten aus dem Norden guten Kaffee erhalten, andere kochten ein aus Roggen bereitetes Surrogat, welches damals im Süden gang und gäbe und für zwei bis drei Dollars pro Pfund zu haben war, während diejenigen, die weder eine Kiste erhalten, noch Geld hatten, auf gebranntes Maismehl angewiesen waren. Die Rationen wurden mit jedem Tage erbärmlicher und namentlich wurde uns hier und da Fleisch geliefert, welches man keinem Hunde vorsetzen würde. Im Januar 1864 erhielten wir Fleisch, welches viele für Mauleselfleisch hielten (was es vielleicht auch war) obschon andere es für das Aas verendeter Tiere erklärten. Diese Vermutung mag richtig gewesen sein, denn zu derselben Zeit lasen wir in den Zeitungen, dass eine Herde Vieh auf der Eisenbahn von Danville nach Richmond in den Wagen vor Hunger und Kälte umgekommen sei. Es war durchaus nicht unwahrscheinlich, dass man das Fleisch dieser Tiere den Gefangenen gab. Zuweilen wurde uns auch eingesalzenes Fleisch geliefert, welches aber ebenso wenig zu gebrauchen war; es war hart, zäh und über alle Maßen salzig, sodass es, gekocht oder gebraten, nicht genießbar war. Den ärmsten unserer Genossen blieb nichts übrig, als die kleine Ration von Reis oder Bohnen in Wasser, ohne irgendwelchen Schmalz, zu kochen. Diese elende Suppe, nebst einem Laib Maisbrot, war ihre einzige Nahrung, wenn nicht einer der Bessergestellten ihnen zuweilen mit einer Kleinigkeit aushalf. Einzelne und namentlich die "königliche Familie" lebten im Überfluss; am Weihnachtsabend hatten sie eine vorzügliche Mahlzeit, welche gleichsam zum Hohne für die anderen, auf einer Tafel in der Küche aufgestellt war. Sie hatten ziemlich alles, was auf dem Markte von Richmond zu haben war und schmatzten vergnügt, während andere mit hungrigem Magen sich auf ihr hartes Lager begaben.

      An den Öfen war, wie bereits angemerkt, immer ein geschäftiges Leben und es fehlte auch nicht an komischen Szenen: Dem Einen gelang es nicht, das in der Regel nasse Holz zum Brennen zu bringen; er schnitzte kleine Stücke, setzte sie in Brand und blies dann aus Leibeskräften, um das im Ofen aufgesetzte Holz zu entfachen, aber trotz aller Bemühungen entwickelte sich nichts als Rauch aus dem glimmenden, nassen Kiefernholze. Ein zweiter war ungeschickt genug, seinen eigenen oder den Kessel eines anderen umzustoßen, wovon die Folge ein trauriges Gesicht oder eine laute Verwünschung war. Einem dritten passierte das Malheur, dass, als er, das Geschirr mit dem zubereiteten Mahle in der Hand, die in das obere Stockwerk führende Treppe hinaufstieg, er auf derselben ausglitt und den Kessel verlor, welcher mit lautem Gepolter die Treppe hinabstürzte; die Mahlzeit war zunichte gemacht und diejenigen, welche das Unglück sahen, waren unbarmherzig genug, zu lachen. Es ist schlimm, wenn ein Hungriger seine Mahlzeit verliert, namentlich dann, wenn er nichts hat, um dieselbe zu ersetzen. Der Hungrige steht dann wie vernichtet vor der auf dem Fußboden liegenden Speise und blickt mit rührender Wehmut auf das unwiederbringlich Verlorene. Dem Hungrigen geht dies sehr nahe, sein Nachbar