Kapitel V
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Der Austausch – Die "königliche Familie" – Sendungen aus dem Norden – Die Rebellen als Diebe – Belle Island – General Neal Dow
So sehr sich jeder Einzelne bemühte, die ewig erscheinende Zeit der langen Sommertage durch irgendwelche Beschäftigung zu verkürzen, so konnten wir doch weder die Langeweile noch den Gedanken an einen Austausch bannen. Letzterer lag fast allen Gesprächen mehr oder weniger zugrunde; wer seiner persönlichen Freiheit beraubt ist, richtet unwillkürlich all sein Denken und Fühlen auf die traurige Lage, in welcher er sich befindet und wenn es ihm auch gelingt, das Gefühl des Schmerzes und die nagende Sorge für Augenblicke zu bannen, so verfinstern doch die schwarzen Schatten des Kummers und der Sorge bald wieder die kurzen Lichtmomente. Mit dem Raub der persönlichen Freiheit nimmt man dem Menschen die rechte Freude und die Freudigkeit des Geistes und bürdet ihm dafür eine Last auf, welche ihn leicht gänzlich erdrücken oder wenigstens seine Fähigkeiten auf lange Zeit lähmen kann. Nichts ist daher natürlicher als dass alle seine Gedanken sich auf den Wunsch konzentrieren, von dieser drückenden Last befreit zu werden und die Souveränität des eigenen Selbst wiederzugewinnen.
Nachdem wir die Monate August und September vergeblich auf die Erfüllung unseres Wunsches gewartet hatten, erklärten wir uns die Verzögerung dadurch, dass unsere Regierung nicht vor Schluss des Herbstfeldzuges austauschen wolle, um nicht den Feind durch die Zurücksendung einer großen Anzahl von wohlgepflegten und deshalb zum Dienst tauglichen Gefangenen zu verstärken. Mit dem Eintritt des Winters hofften wir sicher, aus der Falle zu entkommen, in welche wir geraten waren. Ein Punkt war es indes, welcher uns schon damals sehr kränkte, nämlich die sogenannten "Spezial-Auswechslungen". Wenn es mit der Ehre unserer Regierung nicht vereinbar war, auf die Austausch-Vorschläge der Rebellen einzugehen, oder wenn unser Verbleib in der Gefangenschaft eine politische Notwendigkeit war, so fehlte es unsererseits nicht an Aufopferungsbereitschaft und an dem patriotischen Willen, für die Interessen unserer Regierung zu darben und zu leiden. Als wir in die Armee eintraten, wussten wir, dass wir kein Wohlleben zu erwarten hatten; wir waren darauf gefasst, für unsere Sache leiden zu müssen oder zu fallen, aber wir erwarteten Gerechtigkeit, wo immer es nötig war, sie zu üben. Jene Spezial-Auswechslungen aber waren Akte der Ungerechtigkeit. Wenn wir zum Nutzen unserer Sache die Leiden einer langen Haft ertragen sollten, so war es notwendig, dass keine Ausnahmen, keine Unterschiede hinsichtlich der Person gemacht wurden. Geschah dies dennoch, so war es das Kränkendste, was uns widerfahren konnte. Obschon ein schwacher Trost, so war es immerhin ein solcher, wenn wir ein Unglück gemeinsam mit anderen zu ertragen hatten; wenn aber einzelne bevorzugt und andere zurückgesetzt wurden, so erhöhte dies die Leiden der letzteren und rief jenen Tadel hervor, welchen jede ungerechte Handlung hervorruft. Ungerechtigkeiten, welche ein Individuum begeht, sind schon tadelnswert genug, aber wenn eine Regierung, welche ein ganzes Volk repräsentiert, ungerecht handelt, so ist dies noch anstößiger, denn man erwartet von einer Regierung reifliche Überlegung, während man einem Individuum eine Unbesonnenheit leichter nachsehen kann.
Der Erste, welcher die zweifelhafte Ehre hatte, in dieser Weise bevorzugt zu werden, war Brigadier-General Graham, der bei Gettysburg leicht verwundet und in einer Ambulanz nach Richmond transportiert worden war. Er war einige Wochen im Libby-Hospital, erhielt, wie wir hörten, alle möglichen Vergünstigungen und wurde dann ausgetauscht, ohne nur das Geringste von den Leiden eines Gefangenen erfahren zu haben. Bald folgten ihm andere durch diesen Kanal der Spezial-Auswechslung, bis es an der Tagesordnung war, einen Bevorzugten aus unserer Mitte scheiden zu sehen. Abgesehen davon, dass diese Methode ungerecht war, so wirkte sie in verschiedener Beziehung geradezu demoralisierend. Es gab nicht wenige unter uns, welche vor den Rebellenoffizieren katzbuckelten, um ihre Spezial-Auswechslung zu erwirken, während andere bei ihren einflussreichen Verwandten und Freunden im Norden alle Hebel in Bewegung setzten, um unsere Regierung zu ihrer Spezial-Auswechslung zu veranlassen. Indem ein solches System eingeführt wurde, vergaßen viele allen Anstand und ihre eigene Würde; es war oft ekelerregend, die Offiziere vor den Rebellen scharwenzeln und sich dadurch selbst erniedrigen zu sehen. Und es blieb nicht allein bei dieser demütigenden Unterwürfigkeit; es standen manche in Verdacht, den Rebellen schmutzige Dienste zu leisten, um jener Bevorzugung teilhaftig und auf die Liste der Empfohlenen gesetzt zu werden. Wenn unser Austausch-Büro irgendjemanden zu befreien wünschte, so wurde einfach Notiz davon gegeben und mit dem nächsten oder übernächsten Boote ging der Betreffende nach Norden ab. Hatten die Konföderierten den Wunsch, einen der Ihrigen loszueisen oder einem der Unsrigen, der sich um jene verdient gemacht hatte, die Freiheit zu geben, so bedurfte es auch nur einer Depesche. Es schien in dieser Beziehung die beste Harmonie zwischen den Austausch-Beauftragten Meredith und Ould zu herrschen, obschon sich dieselben gelegentlich grobe Briefe schrieben, welche in den Rebellenzeitungen abgedruckt wurden. General Meredith zeichnete sich besonders durch eine gewisse Klobigkeit des Ausdrucks aus, während der Rebellen-Beauftragte Ould sich bemühte, diplomatischer zu verfahren. Die Korrespondenz zwischen beiden wurde immer gereizter, bis endlich die Unterhandlungen gänzlich abgebrochen wurden; aber die Spezial-Auswechslung der Günstlinge dauerte trotzdem fort und wurde auch unter General Butler, welcher später der entsprechende Beauftragte war, nicht nur nicht unterbrochen, sondern in vergrößertem Maßstabe fortgesetzt. [Anm. d. Hrsg.: Die Aussetzung des Gefangenenaustauschs lag darin begründet, dass die Konföderation sich weigerte, die seit der Emanzipationsproklamation vermehrt rekrutierten schwarzen Unionssoldaten als Kriegsgefangene anzuerkennen, weswegen Präsident Lincoln den Austausch einstellen ließ, bis der Süden sich bereiterklären würde, sämtliche gefangenen Soldaten, ungeachtet ihrer Hautfarbe, gleich zu behandeln.] Auch gab man später Geld oder Uhren, um sich die Rebellen geneigt zu machen und selbst die Religion spielte eine Rolle in diesem unsauberen Handel. Der katholische Bischof von Richmond kam mehrere Male ins "Libby", um zu predigen und das Abendmahl auszuteilen. Natürlich scharten sich diejenigen, die seines Glaubens waren und, wie es hieß, auch andere, die sich sonst um den Katholizismus nicht bekümmert hatten, um den hochwürdigen Herrn und merkwürdigerweise wurden kurze Zeit darauf alle Katholiken oder solche, die sich dafür ausgaben, mit wenigen Ausnahmen ausgetauscht. Dies veranlasste einen Offizier, ein beißendes Plakat anzuschlagen, auf welchem verschiedene Klassen je nach ihrem religiösen Glauben verzeichnet waren; die siebente Kategorie, welche zuletzt auf Austausch zu hoffen hatte, umfasste die Juden, die Ungläubigen und die Mormonen.
Unter denen, welche sich bei den Rebellen angenehm zu machen suchten, war eine kleine Clique am hervorragendsten, welche wegen ihrer Vornehmtuerei und ihres täglichen Umganges mit den Rebellen-Beamten den Namen "Royal Family", also "königliche Familie" erhielt. An der Spitze derselben stand der "kulinarische Direktor", Lieutenant-Colonel Sanderson, welcher sich gleich in der ersten Zeit einen schlechten Ruf dadurch erwarb, dass er auf Veranlassung der Libby-Beamten ein Schriftstück unterzeichnete, in welchem ausdrücklich erklärt wurde, dass die Rebellen uns mit der anerkennenswertesten Humanität behandelten. Wir hatten von dieser Humanität nichts bemerkt, aber der Küchendirektor Sanderson hatte private Zwecke im Auge und kümmerte sich sehr wenig, ob er die Wahrheit verletzte oder nicht. Sanderson war früher Besitzer eines Hotels in New York gewesen, in welchem vor dem Kriege reichlich Südstaatler zu verkehren pflegten und aus mehreren seiner Äußerungen ging hervor, dass seine Sympathien mehr oder minder mit den Rebellen waren. Eines Tages war auch im "Examiner" eine kleine Lobrede auf ihn enthalten, was gewiss kein schmeichelhaftes Zeugnis für ihn war und uns in dem Verdacht bestärkte, den wir immer gegen