Nachtschwarze Sonne. Narcia Kensing. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Narcia Kensing
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847699460
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Augen verengen sich und ich könnte mich selbst ohrfeigen, so neugierig zu sein. Ich habe den Bogen überspannt, ganz sicher. Mr. Hampton sieht mich skeptisch an, als sei er es nicht gewohnt, solche Fragen gestellt zu bekommen. Verhalte ich mich falsch?

      »Nach der allgemeinen Gesundheit. Der Rest geht nur die Laboranten etwas an.« Jetzt klingt er wieder unfreundlich und kalt. Vielleicht sollte ich besser den Mund halten. Ich mache mir eine geistige Notiz, dass Neugier nicht zu den erwünschten Eigenschaften eines V23ers gehört. Ich darf keine Fragen mehr stellen, wenn ich hier nicht auffallen möchte. Eines ist sicher: Falls das Serum tatsächlich eine Veränderung der Persönlichkeit mit sich bringt, merke ich davon bisher nichts. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass dies der Grund ist, weshalb der Captain mich besucht hat. Plötzlich wird mir klar, was genau er bezweckt. Er möchte ergründen, inwiefern ich mich den V23ern entsprechend verhalte, auch ohne Mal. Okay, ich werde ihn nicht enttäuschen. Sollen sie doch glauben, ich sei eine von ihnen. Wenn sie mir irgendwann vertrauen, werde ich abhauen.

      Mr. Hampton erhebt sich und wendet sich ab, ohne sich zu verabschieden. Ich nehme an, auch das ist hier nicht Brauch, deshalb lasse ich mir meine Verwunderung darüber nicht anmerken.

      Kapitel drei

       Cade

      Siennas wütender Aufschrei direkt neben mir lässt mich zusammenfahren. Ich hatte es mir gerade einigermaßen bequem gemacht, obwohl der Begriff im Zusammenhang mit unserer Lebenssituation wie Hohn klingt. Ich presse meinen Rücken an die nackte Metallwand, Schulter an Schulter mit Sienna. Die Knie habe ich bis unter mein Kinn gezogen. Es ist feucht und stickig, Licht gibt es auch kaum. Lediglich durch einen Schlitz im Gestein über uns fällt ein schmaler blasser Lichtbalken. Fluch und Segen zugleich. Denn wo Licht eindringt, findet auch Wasser seinen Weg.

      Sienna fuchtelt wie von einer Tarantel gestochen mit den Armen durch die Luft. Aufgrund der Enge muss ich aufpassen, dass sie nicht gegen meinen Kopf schlägt. »Es ist schon wieder passiert!«, poltert sie.

      »Was?«, fahre ich sie harsch an. Sie geht mir auf die Nerven. Was gäbe ich darum, allein zu sein! Ich habe lediglich keine Möglichkeit, meinen Wunsch in die Tat umzusetzen. Früher hätte ich Sienna vermutlich längst den Kopf abgerissen - im wörtlichen Sinne versteht sich - oder ihr deutlicher zu verstehen gegeben, wer der Anführer ist. Anführer. Ein lächerliches Wort, wenn man bedenkt, dass außer Sienna, Layton und mir kein Acrai der Sippe mehr übrig ist. Inzwischen bin ich so frustriert und kraftlos, dass ich ihre ständigen Wutausbrüche über mich ergehen lasse.

      »Mir ist Wasser auf den Kopf getropft!« Sie deutet auf eine Stelle direkt vor meinen Füßen. »Eine Pfütze! Das Dreckszeug sammelt sich hier überall, läuft die Wände hinunter und wird uns aus der Höhle treiben.«

      Natürlich habe ich die Pfütze längst bemerkt, ich starre die ganze Zeit über nichts anderes an. Viel zu sehen gibt es in dem winzigen Loch, in dem wir hocken, ohnehin nicht. Es erfüllt mich mit Unbehagen, aber ich führe mich nicht auf wie eine Furie, nur, weil mir ein Tropfen auf den Kopf gefallen ist. Vielleicht sollte ich ihr sagen, dass mir gerade ein ganzes Rinnsal in den Kragen und den Rücken hinunter gelaufen ist. Mache ich deshalb so ein Theater?

      »Und was schlägst du vor? Wohin sollen wir stattdessen gehen?«, knurre ich sie an.

      »Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Wir können hier nicht bleiben, das Wasser wird uns töten.«

      Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Wie oft habe ich diesen Satz in den vergangenen zwei Tagen schon gehört? Niemand hat seitdem einen verwertbaren Vorschlag gemacht. Mir fällt selbst nichts ein. Zumindest nichts, das nicht erheblich unbequem werden würde. Und wenn Sienna schon wegen einem einzigen Tropfen Wasser so einen Aufstand macht, sehe ich ohnehin schwarz.

      »Wann kommt Layton endlich zurück? Ich habe Hunger.«

      Von allen Acrai der Sippe mussten ausgerechnet die beiden Turteltauben Sienna und Layton überleben. Trotz der Enge unserer Höhle finden sie anscheinend keinen Grund, auf ihre Fummelei zu verzichten. Mir wird schlecht, wenn ich nur darüber nachdenke, dass es in der kommenden Nacht wieder genauso unangenehm für mich werden könnte, wenn ich ihre schmatzenden Geräusche ertragen muss.

      »Woher soll ich wissen, wann er wiederkommt?« Jetzt werde ich doch laut, und meine dröhnende Stimme kann ziemlich überzeugend sein. Siennas Augen sprühen mich zwar zornig an, aber sie sinkt einen Zoll weit tiefer an der Wand hinab und sagt nichts mehr. Endlich! Der einzige, der meine Laune noch weiter in den Keller treiben könnte, ist Layton, den ich von je her nicht ausstehen konnte, weil er ein Wichtigtuer ist. Er würde alles versuchen, um mir meine Position streitig zu machen. Aber er ist eine Handbreit kleiner als ich, seine Kraft reicht nicht an meine heran. In einer Welt, in der solche Werte noch zählen, hat er keine Chance, sich gegen mich durchzusetzen. Unsere Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Ich glaube, er ist mindestens so begeistert wie ich, dass wir uns zu dritt einen winzigen Hohlraum teilen müssen. Seine nächtlichen Knutschereien mit Sienna sind wohl nur dazu gedacht, mich zur Weißglut zu bringen. Sienna scheint das indes nicht zu bemerken, sie wirft sich dem Kahlkopf an den Hals, wann immer sie die Möglichkeit dazu hat. Layton weiß inzwischen, was zwischen Holly und mir gelaufen ist. Wie hätte ich es auch verbergen können? Beim nächtlichen Angriff der V23er hat sich alles offenbart. Offiziell hatte ich Holly schon Tage zuvor getötet, und die Tatsache, dass ich versucht habe, sie zu schützen, hat mich verraten. Umso mehr genießt Layton es, Sienna in meiner Gegenwart zu vernaschen. Er weiß, was ich für Holly empfinde und dass ich sie vermisse, obwohl ich nie darüber spreche.

      Heute morgen hat er unser notdürftiges Lager verlassen, um in der Umgebung nach Nahrung zu suchen. Ich denke nicht, dass er erfolgreich war. Zu Fuß ist es viel zu weit bis ins nächste Menschendorf. Unser Auto ist zerstört, verschüttet unter Tonnen von Gestein. Die V23er haben gute Arbeit geleistet und das gesamte Quartier dem Erdboden gleich gemacht. Fast das gesamte Quartier - bis auf diesen winzigen Hohlraum, der uns notdürftig vor unserem derzeit größten Feind schützt - dem Regen.

      Während ich noch mich selbst und die ganze Welt verfluche, taucht Laytons kahl geschorener Kopf in der Felsspalte auf, wenig später zwängt er seinen schlanken Körper hinterher. Wir haben den Eingang notdürftig mit bloßen Händen erweitert, damit wir unsere Höhle überhaupt betreten konnten, doch trauten wir uns nicht, mehr Gestein als unbedingt nötig zu beseitigen aus Angst, der Bau könne uns über dem Kopf zusammenbrechen. Ich habe bei weitem die größten Schwierigkeiten, mich durch die Spalte zu quetschen, weil ich größer und breiter bin als Layton. Deshalb habe ich auch dankend darauf verzichtet, ihn auf die Jagd zu begleiten. Ich verlasse die Höhle nur, wenn es unbedingt nötig ist. Manchmal denke ich darüber nach, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, sich woanders eine neue Existenz aufzubauen. Es gibt genug verlassene Häuserruinen in der Gegend, alle binnen ein oder zwei Tagen zu Fuß zu erreichen. Leider sind die Regenpausen seit dem Überfall extrem kurz gewesen. Ich bezweifle, dass Layton weit gegangen ist. Seine Gesichtshaut ist gerötet und schuppt, er ist eindeutig nass geworden.

      »Hast du etwas zu essen mitgebracht?« Sienna stürzt sich sofort auf ihn, fällt ihm um den Hals und küsst ihn auf den Mund. In solchen Momenten zuckt meine Faust, ich kann gar nichts dagegen tun. Wann bin ich bloß so ein hasserfüllter und verbitterter Kerl geworden? Oder sollte ich besser fragen: Wann habe ich angefangen, es zu bemerken?

      Layton reibt sich über das Gesicht und lässt sich mir gegenüber an der Wand nieder, darauf achtend, die Pfütze zwischen uns nicht zu berühren.

      »Nein, ich habe nichts mitgebracht. Es gibt nämlich absolut nichts in der Umgebung. Außerdem ist das Wetter immer noch schlecht.« So wie seine Laune, wenn man nach seinem Tonfall geht.

      Sienna stößt ein missmutiges Winseln aus. »Ich habe Hunger! Wie sollen wir das Überleben? Zwei Tage ohne Nahrung! Selbst, wenn du einen Menschen gefunden hättest: Wir sind zu dritt! Diese verdammte Maschine ist für immer verloren, wir können einen Menschen nur einmal benutzen.« Sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht. »Wir müssen sterben.«

      Es ist doch unglaublich, dass