„Gibt es viele Kinder wie mich?“
„Es gibt insgesamt nicht sehr viele Kinder bei den Elfen. Von Halbelfen weiß ich nur wenig, da die meisten Menschen bereits vor über einhundert Jahren weggezogen sind. Da gab es dann nicht mehr viele Möglichkeiten, Halbelfen entstehen zu lassen. Allerdings gibt es einige, die du wohl nicht mehr erkennen würdest, da sie schon deutlich älter sind und von klein auf bei meinem Volk gelebt haben. Mit der Umwandlung ähneln sie uns deutlich mehr als den Menschen. Warum das so ist, wissen wir nicht, aber es ist immer so. Bis zur Verwandlung sind die Halbelfen menschlich, danach sehen sie wie Elfen aus. Du bist mit Abstand die jüngste Halbelfe in Kalima. Ich denke, danach kommt Entor, ein männlicher Halbelf, der inzwischen 180 Jahre ist. Er ist bei seinem Elfenvater aufgewachsen, seine menschliche Mutter starb sehr früh an einer Verletzung. Melin ist ebenfalls eine Halbelfe, aber mit 300 Jahren schon relativ alt. Mehr sind es nicht.“
„Meinst du, Mama und Ataa‘ werden noch mehr Kinder bekommen?“ Man konnte die Sehnsucht aus ihren Worten hören. Eluan wusste, wie sehr sich das Mädchen eine Familie wünschte.
„Ich gehe davon aus!“, antwortete er daher lächelnd. Er war sogar absolut sicher, aber das verriet er ihr zu diesem Zeitpunkt nicht. Nur kurze Zeit später hatten sie erfahren, dass Alemie schwanger war. Und inzwischen war Alemie die Elfe mit den meisten Kindern. Vor allem in so einem kurzen Abstand hintereinander. Das war untypisch für Elfen, die sonst meist nur ein Kind hatten, dem sie ihre volle Aufmerksamkeit widmeten. Andererseits war Gaagi ein Mensch, er hatte nicht unbegrenzt Zeit, wie es die Elfen hatten.
Yas riss sich aus ihren Gedanken, als eine Bewegung am östlichen Rand ihres Blickfeldes auftrat. Schnell sah sie genauer hin. Selbst für ihre nun deutlich besseren Augen war es nicht leicht, zu erkennen, was dort war. Ihr Vater und die anderen Diné würden es noch nicht einmal sehen, war sie sich bewusst. Sie deutete Jayla an, ebenfalls in diese Richtung zu sehen.
„Keine Spinne.“, war die ältere Elfe sicher. Allerdings konnte auch sie nicht sagen, was es sonst war. Sie waren beide sicher, dass es sich sehr schnell bewegte. Gemeinsam beobachteten sie, und auf diese Art bekamen sie auch die Aufmerksamkeit ihrer Begleiter.
„Was sehen eure Augen?“, erkundigte sich Gaagi.
„Ich bin noch nicht sicher, aber es ist keine Spinne.“, erwiderte Jayla, die noch immer hochkonzentriert nach Osten blickte. Die Bewegung kam schnell näher, und bald erahnten auch die Menschen etwas, ein winziger dunkler Punkt. Die Elfe schirmte die Augen ab, da die Sonne gerade direkt hinter dieser Bewegung stand, doch plötzlich lächelte sie entspannt.
Einen Moment später jauchzte Yas. „Yáhzí!“, rief sie und rannte Richtung Osten. Der Name entspannte nun auch Gaagi, und sie blickten ruhig dahin, wo die Bewegung nun auch für die Menschen deutlicher wurde. Bald konnten sie sogar erkennen, dass Yáhzí nicht alleine kam, sondern von mehreren Wölfen verfolgt wurde. Dieser Anblick ließ Gaagi einen Moment schaudern, denn er wusste, Yáhzí war keine typische Vertreterin ihrer Art, viel friedlicher, als es magische Wölfe normalerweise waren. Doch er vertraute auf die schwarze Wölfin, sie würde nicht zulassen, dass Yas etwas passierte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Yas auf sie traf und die schwarze Wölfin umarmte. Offenbar führte Yáhzí das kleine Rudel, bestehend aus drei weiteren Wölfen, zwei graue und ein brauner, an. Yas hatte ihr die Hand auf den Kopf gelegt, was gar nicht so leicht war, denn Yáhzí war nicht mehr so klein. Sie ging Yas bis fast zur Schulter, und selbst Gaagi musste sich nun nicht mehr zu ihr hinunterbeugen, um sie zu streicheln.
„Sie sind gekommen, weil die Spinnen auch bei ihnen waren. Sie haben sie verfolgt.“, berichtete Yas.
Gaagi hob eine Augenbraue an. Konnte Yas, genau wie ihre Mutter, über Körperkontakt mit den Tieren kommunizieren? Es schien so. Jayla konnte das nicht, da sie eine Baumelfe war. Wobei, Yas passte in kein Schema. Sie war weder eine reine Blumen - oder Baum-, noch eine richtige Tierelfe. Tiere zogen sie mehr an, aber auch mit Pflanzen konnte sie gut umgehen. Auch wenn sie keine Blumen aus dem Nichts wachsen lassen konnte, doch ihr Zimmer blühte regelrecht. Bei jedem Spaziergang suchte sie sich Blumen, die ihr gefielen, holte sie mitsamt der Wurzeln aus der Erde und nahm sie mit, um sie in ihrem Zimmer weiterwachsen zu lassen. Gerade kleinere Tiere wie Schlangen, Eidechsen, Vögel und Schmetterlinge tauchten immer wieder in ihrem Zimmer auf.
„Dann lasst uns sehen, wohin sie nun unterwegs sind.“, schlug Cameron vor. Für ihn war es schon fast normal, dass um Yas herum seltsame Dinge passierten, da er schon öfter im Dorf der Diné zu Besuch war.
Sie nickten und folgten den Spuren, nun gemeinsam mit den vier Wölfen. Die Spuren umrundeten den See und verschwanden schließlich, in der Nähe der ehemaligen Trollhöhlen, im Wald.
„Folgen wir ihnen?“, wollte Manaba von seinem Häuptling wissen.
Gaagi überlegte, doch letztlich schüttelte er den Kopf. „Dafür sind wir zu wenige.“, verneinte er.
Die Wölfe hingegen schienen weitergehen zu wollen. Unerschrocken drangen sie in den Wald ein, vorsichtig, aber dennoch forsch. Ein wenig sehnsüchtig blickte Yas ihnen hinterher, am liebsten würde sie mit ihnen laufen. Doch sie wusste, wie gefährlich die Spinnen waren. Die Elfen waren nicht sicher, ob eine Tierelfe damit klarkommen könnte. In ihrer ganzen Geschichte gab es keine dokumentierte Begegnung mit einer dieser Riesenspinnen. Die einzigen Begegnungen, von denen sie wussten, waren gefährlich für die Elfen gewesen.
„Wir begleiten Jack und Cameron in die Dörfer.“, beschloss der Häuptling schließlich. „Vielleicht erfahren wir dort etwas Wissenswertes.“
Gemeinsam erreichten sie das Dorf von Jack gegen Abend. Es lag südlich des Sees, aber immer noch in der Nähe des Waldes, in dem die Spinnen lebten. Sogar näher als das Dorf der Diné, weshalb Jack und Cameron die Gefahr bereits kannten.
„Jack!“, rief ihm einer der Männer entgegen, der offensichtlich Wache hielt. „Sie waren wieder da, die Spinnen haben zwei Kinder entführt, Eliza und Acron. Sie haben sie in den Wald geschleppt, wir haben einige Späher hinterher geschickt. Einer von ihnen hat gemeldet, dass die Kinder zu einem riesigen Netz gebracht wurden und dort hängen. Wenn sie, wie kleinere Spinnen auch, lebende Beute bevorzugen, könnten wir Glück haben und die Kleinen lebend befreien. Deshalb sind die Männer den Spinnen gefolgt.“
„Gut, dann müssen wir in den Wald.“, entschied Jack hart. Er wandte sich zu Gaagi um. „Ich verlange nicht, dass ihr uns folgt, aber ich erhoffe es mir, denn ihr seid gute Krieger und man kann sich auf euch verlassen. Allerdings verstehe ich es, wenn ihr eure Kinder nicht alleine lassen wollt.“
Die Männer der Diné wechselten nur einen kurzen Blick. „Wir kommen mit euch.“, versprach der Häuptling.
„Dann kommt und schlaft euch aus, wir gehen morgen früh los.“, führte Jack sie zu seinem Haus. „Ich kann euch nicht viel Platz bieten, aber ich habe Decken, Essen und Trinken für alle. Yas kann bei meiner Tochter schlafen. Für Jayla ist dort sicher auch Platz.“
„Ich ziehe einen Baum vor.“, lehnte Jayla ab. Sie mochte keine Häuser, wo sie den Wald und die Bäume nicht sehen oder riechen konnte. Yas jedoch folgte Jack und den Männern nach drinnen. Sie schlief gerne draußen, aber noch mehr liebte sie die Nähe zu ihrem Vater. Sie folgte ihm überallhin, egal ob es ein Jagdausflug oder ein Spähzug war. Zunächst hatte Gaagi sie zuhause gelassen, wenn er auf die Jagd ging, aber sie war ihm heimlich gefolgt. Gerade so hatte er verhindern können, dass sie verletzt wurde, weil keiner von ihr wusste. Seither nahm er sie mit, wenn sie es wollte, und sie wollte immer. Deshalb war sie auch hier dabei. Nie würde er sich verzeihen, wenn ihr etwas passierte, weil sie ihm alleine folgte .
Die Nacht wurde ruhig, aber kurz. Die Männer saßen noch lange zusammen und debattierten darüber, wie sie vorgehen sollten. Vor allem, nachdem die Späher zurückkamen und berichteten, dass die Kinder noch immer dort waren, scheinbar unverletzt, aber in Spinnweben gewickelt. Viele der Dorfbewohner gesellten sich dazu, sie wollten helfen. Allen schlug das mögliche Schicksal der beiden Kinder aufs Gemüt, und sie wollten etwas tun, um ihnen zu helfen. Früh am Morgen brachen sie auf und erreichten den Wald, als gerade die Sonne aufging. Yáhzí wartete