"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Petersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742770639
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des Wunschdenkens. Leider liegt so etwas, zumindest zu diesem Zeitpunkt, außerhalb meiner gesetzlichen Befugnisse.

      Was bleibt sind die immer gleichen, langweiligen Verhöre, Lügen die man durchschaut aber nicht widerlegen kann.)

      Der Diplomat, Ralf Stilton, erschien ihm ebenfalls dubios. Nur an diesen ehrenwerten Mr.Stilton kam er überhaupt nicht heran. Der Pass wies ihn als mit entsprechender Immunität versehen aus.

      (Was macht solch ein hohes Tier an dieser gottverlassenen Grenzstation, und wenn schon, warum kommt er dann mit dem schäbigen Bus und nicht in bequemer Dienstkarosse-vorgefahren?)

      Selbst die Frage nach dem Grund des Besuchs in Mexiko prallte ab von einem:

      „Bedaure, das unterliegt einer geheimen Verschlusssache.“

      Zu guter Letzt war da noch Señor Random, ein mexikanischer Geschäftsmann. Er hatte einen kleinen Laden in Herrmosillo. Das ließ sich jedenfalls schnell und leicht bestätigen. Unerklärlich war nur, warum er bald darauf so spurlos verschwand.

      Cuevas schaute angeödet aus dem Fenster. Zwar hatte die Sonne inzwischen die morgendliche Kälte vertrieben und ihr gleißendes Licht über dem flachen, ereignislosen Land ausgebreitet. Doch was er sah, war nach wie vor nur Leere, nichts was ein Gefühl von heimatlicher Verbundenheit erregte. Auch wenn er in dieser Umgebung aufgewachsen und den Anblick gewohnt war, begann er immer mehr sein Leben als ein Spiegelbild davon zu sehen. Zunehmend deutlicher zeigte es für ihn etwas Lähmendes, gegen das er innerlich aufbegehrte.

      (So monoton wie die ständig repetierenden Abläufe meiner Arbeit. Werde ich eines fernen Tages, wenn ich meinen Schreibtisch in Richtung Pensionierung verlasse, rückblickend auf mein Leben sagen: War´s das? War das alles?)

      Die Vernehmungen hatten allesamt nichts gebracht.

      (Gewiss, dieser Mord gehört aufgeklärt wie jeder andere. Aber so viel dämmert mir jetzt schon, darum allein geht es hier gar nicht.)

      Ein unerklärlicher Windstoß erreichte ihn, wie aus einer fremdartigen Welt von anderer Frequenz. Instinktiv schaute er auf seine Uhr, als sollte sie eine andere Zeit anzeigen. Nur ein kurzer Augenblick, dann hatte die Gewohnheit ihn wieder.

      Irgendetwas war ihm gleich seltsam vorgekommen, nicht zuletzt auch an den Anwesenden, nur so ein Gefühl. Als wenn die alle nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort wären. Die Blintons vielleicht ausgenommen. Die gängigen Mordmotive passten einfach nicht. Da war mehr hinter der Sache, etwas Unbekanntes, Größeres, von dem keine Konturen zu erkennen waren. Nur wusste er noch nicht, dass es sich den herkömmlichen Mitteln der Erkenntnis ohnehin entzog, weil es so nicht greifbar war.

      (Alle behaupteten, fixiert gewesen zu sein auf das, was sich da abspielte zwischen dem kleinen Billy und dem Vogel. Niemand wollte angeblich etwas bemerkt haben. Niemand hatte gesehen, ob sich wer kurz entfernte. Für mich ist die Frage nicht mehr, ob hier gelogen wurde und von wem, sondern nur noch - und viel aufschlussreicher: warum?)

      Er inspizierte noch einmal die Toilettenräume, den Ort, wo es passiert sein musste. Keinerlei Zeugen irgendeines Kampfes, keine Spuren an den Wänden oder auf dem Fußboden, kein ausgerissenes Haar oder verlorener Knopf. Es muss alles sehr glatt gegangen sein, blitzschnell und mit überraschender Sicherheit, um nicht zu sagen professionell. Cuevas Augen ruhten auf den blassen, graugelben Kacheln. Für einen Moment schüttelte ihn etwas, als läge hier ein unsagbares Grauen in der Luft. Eine vage Ahnung beschlich ihn, etwas völlig anderes würde dahinter stecken, etwas ihm noch unbekanntes, bislang in keinem seiner Fälle aufgetauchtes. Wenn diese Kacheln reden könnten, wie es aussah die einzigen Zeugen. Aber die blieben wie immer kalt, glatt und stumm.

      Zurück im Büro blickte Cuevas nachdenklich durch die abgetönten inneren Scheiben auf die Fahrgäste im Warteraum. Unbemerkt konnte er von hier aus die Runde beobachten. Normalerweise würden die doch jetzt palavern, lamentieren, dass sie so lange hier festgehalten würden, sich aufregen über die Zumutungen seitens der Polizei. Aber die saßen nur alle stumm und reglos da, glotzten geradezu verbissen die Wände an. Kein Zweifel, etwas stimmte da nicht, war anders als sonst. Nicht dass es ihn verwirrte, aber er kam einfach nicht darauf, was es sein könnte. Den Deckenbalken sah er langsam einen Leguan überqueren. Wachsam aber desinteressiert schaute der auf die Menschengruppe unter sich.

      Dann brütete er über seinen Notizen.

      (Einer von den Dreien muss es gewesen sein, das sagt mir ein untrügliches Gefühl. Aber welcher? Der schwer durchschaubare, alte Indianer? Sollte der tatsächlich ein Brujo sein, dann wären die Motive dieses Hexers ebenso undurchsichtig wie nicht nachvollziehbar. Der zwielichtige Handelsvertreter, der angeblich geschäftlich in Mexiko unterwegs war? Wie das denn, wo der kein Wort Spanisch verstand? Ja, und da wäre als Dritter noch der saubere Mr.Stilton, der in Sachen unnahbarer Geheimnisse unterwegs war. Einer von den Dreien, aber welcher? Keinem kann ich auch nur das Geringste nachweisen. Noch nicht einmal ein vages Verdachtsmoment ist in Sicht, und ein Tatmotiv ebenso wenig, von Beweisen ganz zu schweigen.

      Die Anderen kommen, da bin ich mir sicher, als Täter nicht in Frage. Aber welche Rolle spielten die? Warum waren sie tatsächlich hier? Weil angeblich auf Billy und den Papagei fixiert, konnte mir auch niemand mit Bestimmtheit sagen, ob einer der Betreffenden sich kurz entfernt hätte, um dem Opfer zu folgen. Höchst unwahrscheinlich, da wird zumindest einer gelogen haben.)

      Er ließ den Kopf sinken in die offenen Hände über den aufgestützten Ellenbogen.

      Die sich überkreuzenden, lanzenförmigen Blätter ergaben ein eigenartiges Muster. Wie ein Raster um rhythmisch versetzte, konzentrierte Lichtpunkte herum. Nur an einer Stelle rechts oben brach das Sonnenlicht klar durch. Aber der Lichtstrahl ging an ihm vorbei. Im tiefen Schatten zwischen den Baumwurzeln lauerte er auf seinem Lager. Wie immer gedachte er den Rest seiner nächtlichen Tätigkeit hier in Ruhe auszukosten. Und wie alle seiner Art liebte er es, den größten Teil des Tages mit seligem Nichtstun zu verbringen. Ein verhängnisvoller Fehler deswegen zu glauben, er schliefe. Völlig entspannt dämmerte er so vor sich hin, unentdeckt auf der Hut Einzig seine Ohren bewegten sich leise, lautlos wie mobile Empfangsschirme, die jedes noch so kleine Geräusch aufnahmen. Zeigten sie Verdächtiges an, so wäre er auf der Stelle hellwach und sprungbereit. Bis dahin blieb er eine schweigende Unergründlichkeit, aus der Tiefe des Schattens dräuend. Eine belanglos erscheinende Umgebung ließ davon nichts ahnen.

      Er hob den Kopf und schüttelte ihn, als hieße es etwas abzuwerfen.

      (Was immer das bedeuten soll, ich darf hier nicht vor lauter Frust in müßige Tagträumerei verfallen. Es hilft alles nichts, keinerlei Ergebnis ist in Sicht.)

      Er seufzte, ließ die Faust auf den Tisch fallen, stand auf und verkündete seinen Leuten draußen im Warteraum, sie könnten alle gehen lassen. Den Toten und dessen Gepäck sollten sie auf den Wagen laden und ins Labor nach Hermosillo bringen.

      Frustrierend war auch der Befund, der wenige Tage später aus dem Labor eintraf. Die Untersuchung hatte ergeben, Gonzalves war ermordet worden durch eine Injektion mit einem schnellwirkenden Gift, wie es eigentlich nur bei den Brujos mancher Indianerstämme bekannt war. Xomil-Xihuite war ein besonders bösartiges Gift, von den Indianern auch „Gläserner Sarg“ genannt. Schon in allerkleinsten Mengen verursacht es Höllenqualen und lässt das Opfer bei völliger Bewegungslosigkeit die fürchterlichsten Ängste durchmachen. Bereits die winzige Dosis von 0,007 Gramm tötet einen Hund von 5 kg. in wenigen Minuten. Größere Mengen lassen den damit Injizierten auf der Stelle zusammenbrechen, sich nur noch einmal schütteln, um dann sofort starr zu werden.

      (Natürlich, sofort wirken sollte es, damit das Opfer sich nicht mehr bemerkbar machen konnte. Hab ich es doch geahnt! Ein Grund hätte sich schon gefunden, um diesen diabolischen Kerl zumindest vorläufig festzuhalten.)

      Cuevas sah wieder das Gesicht des Toten vor sich, die Augen hervorgetreten, der Mund schwarz angelaufen und weit aufgerissen. Leichenblasse Haut widersprach dem noch Sekunden zuvor Lebenden, der jetzt plötzlich das Aussehen eines Dämons oder Zombies angenommen hatte.

      Cuevas besaß teilweise selber Indianerblut in seinen Adern, war in dieser Umgebung aufgewachsen