Die Colonie. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753174471
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wenn sie überhaupt Deutsch verstehen."

      „Und doch thun sie es," sagte der Director, „und zwar meist aus dem ganz einfachen und in jedem andern Falle schätzenswerthen Grunde, daß sie eine sehr gute Meinung von sich selber haben. Ich kann Alles, was ich will, sagen sie, bedenken aber dabei gar nicht, daß sie nicht Alles wollen, was sie können, denn es kann natürlich ein Jeder, wenn er nicht gerade einen überschwächlichen Körper mitbringt, Handarbeit verrichten; aber wie die Vorsätze auch daheim gewesen sein mögen, hier machen sie nicht einmal den Versuch dazu, und wenn sie ihn machen, bleibt es auch gewiß immer bei dem Versuche. Es ist und bleibt ein wun-/31/derliches Volk, und wenn ich erst einmal nicht mehr Director bin, was, wie ich hoffe, nicht mehr lange dauern wird, so glaub' ich, daß ich mich sogar prächtig dabei amüsiren werde, sie in ihrem eigenthümlichen Treiben und Wirthschaften zu beobachten. Jetzt aber halten sie mir die Galle fortwährend in Gährung, und dabei kann natürlich der beste Humor nicht aufkommen, ohne seine bestimmte Partie Gift mit anzunehmen. Sehen Sie, da kommt gleich Einer davon; sieht der Mensch aus, wie ein brasilianischer Pflanzer?"

      Um die eine Ecke bog in diesem Augenblicke ein Herr, der - wenn die Sommerbeinkleider nicht ein klein wenig zu kurz gewesen wären - in dem Anzuge recht gut hätte an einem schönen Nachmittage unter den Linden in Berlin spazieren gehen können. Er trug vollkommen moderne Tuchkleidung, einen Cylinder, einen Regenschirm, der hier auch besonders gegen die Sonne benutzt wurde, und im Knopfloch den Rothen Adlerorden vierter Klasse.

      Als er den beiden Herren begegnete, lüftete er den Hut mit einer sehr förmlichen, aber auch sehr vornehmen Verbeugung, und ging dann, ohne Miene zu einem weiteren Gruße zu machen, stolz vorüber.

      „Und wer war das?"

      „Der Baron Jeorgy, seinem Berichte nach aus einer sehr alten Familie, der mit der Idee herüberkam, brasilianischer Pflanzer zu werden. Er übernahm eine allerliebst gelegene Colonie - Sie müssen heute Morgen daran vorbei gekommen sein."

      „Ah, das Haus da oben auf dem Berge, wo ein reizendes junges Paar von brasilianischer Abstammung wohnt?"

      „Ganz recht, Köhler's Chagra, wie der Platz jetzt heißt - und er v e r wirthschaftete das Gut in unglaublich kurzer Zeit dermaßen, daß es zuletzt wenig mehr als eine Wildniß war. Er mußte es endlich verkaufen, denn es trug ihm nicht einmal mehr die Kosten, und natürlich konnte Niemand weiter daran schuld sein, als der Director, da ihm dieser noch dazu nicht einmal mehr Geld darauf vorstrecken wollte. Er ist seit der Zeit wüthend auf mich, nach Art solcher Leute aber auch um so viel höflicher geworden, und ärgert /32/ sich nur, daß ich von seinen Verleumdungen gegen mich nicht die geringste Notiz nehme."

      „Guten Morgen, Herr Director!" unterbrach in diesem Augenblick ein junger Mann das Gespräch, der sie überholt hatte und rasch an ihnen vorüberschritt. Er grüßte dabei sehr ehrfurchtsvoll, schien sich aber nicht lange in seines Vorgesetzten Nähe aufhalten zu wollen, dem er vielleicht unerwartet in den Wurf gelaufen, denn er bog rasch in die nächste Querstraße ein und verschwand in einem der Gärten.

      „Der junge Herr," sagte Könnern, „scheint stark gefrühstückt zu haben. Sein ganzes Aeußere sah wenigstens danach aus."

      „Ein anderer Fluch unserer Colonie," seufzte Sarno, „das war unser Schullehrer."

      „Der Schullehrer? Er kann höchstens zweiundzwanzig Jahre alt sein."

      „Und nicht einmal ist er trotzdem, sondern gerade deshalb Schullehrer," sagte der Director; „unser deutscher Bauer ist nämlich von Haus aus und von klein auf so daran gewöhnt worden, den „Schulmeister" als ganz untergeordnete Persönlichkeit zu betrachten und danach natürlich auch die Erziehung seiner Kinder zu bemessen, daß ihn für diese jeder Milreis reut, den er ausgeben soll, und er förmlich gezwungen werden muß, die Kinder in die Schule zu schicken. Das Loos eines Schullehrers ist aber in keinem Lande der Welt beneidenswerth, und nur daheim, wo Leute von Jugend auf dazu erzogen werden und dann später keine andere Laufbahn mehr einschlagen können, finden sich immer genügende Kräfte. Hier dagegen, wo Jeder sein Brod weit besser und sorgenfreier verdienen kann, der nur irgend seine Knochen gebrauchen will, denkt gar Niemand daran, sich zu dem fatalen und außerdem noch schlecht gelohnten Amte eines Schullehrers herzugeben, der nicht nothgedrungen muß. Das aber sind dann meist junge Leute, Studenten oder Handlungsdiencr, die einen angeborenen Abscheu vor Hacke und Schaufel haben, und nur, um nicht zu verhungern, sich gerade für so lange der „Beschäftigung" eines Schullehrers unterziehen, als sie nichts Anderes und Besseres zu /33/ unternehmen wissen. Sowie sic aber etwas Besseres finden, kann man sich auch fest darauf verlassen, daß sie der Gemeinde kündigen - manchmal gehen sie sogar ohne Kündigung fort, und wie nachtheilig ein so steter Wechsel - den eigentlichen mangelhaften Unterricht nicht einmal gerechnet - auf die Kinder wirken muß, läßt sich ja denken und liegt klar zu Tage.

      „Zu Zeiten trifft es sich, daß wir trotz alledem einen ordentlichen Mann, wenigstens für Monate oder ein halbes Jahr, in der Schule haben. Dieses Mal freilich meldete sich, als die Kinder schon drei Wochen ohne den geringsten Unterricht gewesen waren, ein möglicher Weise irgendwo durchgebrannter Handlungsdiener für die Stelle, die man ihm auch „auf Probe" überließ, und da der gute Mann den brasilianischen Wein merkwürdiger Weise trinken kann, benutzt er jeden freien und nicht freien Augenblick, um über die Stränge zu schlagen."

      „Und auf die Art," lachte Könnern, „warten beide Parteien gegenseitig, ob sie einander nicht bald wieder los werden können?"

      „Allerdings," erwiderte der Director; „hier aber haben wir jetzt das Ziel unseres Spaziergangs - das Auswanderungshaus erreicht, das ich doch heute Morgen einmal besuchen und Ihnen gleich zeigen wollte. Hier sehen Sie die Einwanderer untergebracht, welchen, der furchtbaren Nachlässigkeit unserer Provinzialregierung zufolge, noch keine Colonie - d. h. kein eigenes Land für ihre Arbeit angewiesen werden konnte, und die hier auf Staatskosten gefüttert werden müssen, bis Ihr Freund die nöthigen Landstrecken für sie vermessen haben wird. Aber treten wir ein. Sie sehen da Alles viel besser, als ich es Ihnen sagen könnte."

      Könnern sah vor sich ein langes, fast ovales Gebäude, aus Pfählen oder eingerammten Stämmen aufgerichtet, und theils mit Schindeln, theils mit Ziegeln, an einigen Stellen sogar mit Schilf und Reisig nothdürftig gedeckt, um das herum es von den abenteuerlichsten Gestalten wimmelte. Alle waren Deutsche, darüber blieb dem Fremden auch nicht der geringste Zweifel, denn die flachsköpfigen Kinder nicht allein, Männer und Frauen selbst in ihren alten heimischen

      /34/ Trachten verleugneten ihr Vaterland nicht einen Augenblick.

      Ihre Beschäftigung war aber ziemlich genau dieselbe wie die jenes Theiles, den der Director in seine eigene Wohnung genommen hatte, nur daß hier entschieden mehr Männer einquartiert schienen. Der innere weite Raum, wo nicht die unpraktischen riesigen Auswandererkisten aufgeschichtet standen, war mit ihnen ordentlich angefüllt, denn in der heißen Tageszeit hatten sie den Schatten des luftigen Gebäudes gesucht, während die Frauen hier und in der Sonne draußen arbeiten konnten, so viel sie eben Lust hatten.

      Als der Director übrigens mit dem Fremden den innern Raum betrat, erhoben sich die Meisten von ihrem rauhen Lager und nahmen die Mützen ab, denn der „Herr Director" war ja die erste Person in der Kolonie, und mit dem durften sie es also schon nicht verderben.

      „Nun, Leute," sagte Herr Sarno nach der ersten flüchtigen Begrüßung, „nun werdet Ihr bald Euer Land bekommen können, denn heute hat die Regierung endlich Jemanden hergesandt, der Euren Grund und Boden vermessen soll. Haltet Euch nur bereit, daß einige Familien von Euch gleich ausrücken können, sowie eine Anzahl von Colonien vermessen ist. Ihr werdet das Herumliegen hier wohl auch satt haben?"

      „Na, es geht, Herr Director," lachte der eine Mann; „wenn wir's im Leben nicht schlechter kriegen, läßt stch's aushalten - aber froh wollen wir doch sein, wenn wir einmal wieder für uns arbeiten dürfen. Das faule Leben hat auch keine rechte Art - und eigentlich schon ein bischen zu lange gedauert."

      „Hier geht's auch schmählich eng zu," sagte ein Anderer, „beinah wie auf dem Schiff, und der Müller da drüben, der macht sich mit seiner Familie auch noch so breit, daß wir Anderen lieber hinaus vor die Thür möchten, damit der große Herr nur Platz hat."