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Dieses Mal ist die Spurensicherung bereits vor uns da.
„Georg.“, begrüßt Susanne einen großen hageren Mann.
Der Angesprochene dreht sich zu uns um.
„Sanne.“
Ich habe das seltsame Gefühl, dass sie sich irgendwie vertraut sind. Auch, weil er, für meine Begriffe einen Moment zu lange, ihre Hand festhält.
Er hatte ’Sanne’ zu ihr gesagt. Das ist eine liebevolle Abkürzung, ein Kosename für Susanne…
„Wie geht es deiner Frau?“
Ganz kurz erscheint ein Lächeln in seinem Gesicht.
„Danke der Nachfrage. Ich habe Elvira ins Krankenhaus gebracht. Es war der Blinddarm.“
„Oh. Und hier so?“, fragt Susanne, wieder ganz Ermittlerin.
„Tja, kein schöner Anblick.“, antwortet Georg und weist auf den Körper, der mit dem Rücken zu uns liegt.
„Der Jogger und der Autofahrer waren jedenfalls sichtbar geschockt, was auch verständlich ist. Schließlich bekommt der Ottonormalverbraucher nicht alle Tage eine Leiche zu sehen. Und so eine schon gar nicht.“
Wir sind inzwischen bei der Toten angekommen. Und jetzt sehen wir auch, was Georg meint: Im Bauch klafft ein Loch und Innereien und Darm sind herausgerissen worden und liegen vereinzelt auf dem Waldboden verteilt.
„Ich glaube nicht, dass das der Täter war. Vielmehr könnte das die Machenschaft eines Tieres gewesen sein. Vielleicht die eines Fuchses oder ähnliches.
Da haben wir wirklich Glück, dass sich keine Rotte Wildschweine über sie her gemacht hat. Da wäre nicht mehr viel von ihr übrig geblieben…“
„Gibt es schon irgendwelche Anhaltspunkte, die uns zum Täter führen könnten?“
„Wir haben einiges an Spuren gesichert. Die zuzuordnen bedarf noch einiges an Zeit.
Da die Tote im Besitz ihrer Papiere ist, habt Ihr es dafür einfacher…“
Georg reicht Susanne eine Brieftasche, darin Ausweis, Führerschein und etwas Geld. „Heike Bruhns, 43 Jahre, wohnhaft in der Ferdinandstr. 179.“, liest Susanne vor.
Sie schaut mich an. „Da sollten wir jetzt hinfahren.“
Als wir fünf Minuten später im Wagen sitzen, beginnt sie bereits zu erörtern.
„Zwei tote Frauen. Beide mit einer Maske versehen.
Ich glaube, der Mörder will uns damit etwas sagen. Und ich glaube außerdem, er wollte, dass wir die Leichen finden. Sonst hätte er sie anderweitig entsorgt…
Ich glaube, wir müssen unser Augenmerk verstärkt darauf richten, Verbindungen oder Beziehungen zwischen den beiden Fällen zu suchen…
Renner?!“
Mittlerweile habe ich mich wieder gefangen.
Um ihr zu zeigen, dass ich ihr aufmerksam zugehört habe, blicke ich zu ihr herüber.
„Ja. Ich denke übrigens auch, dass es da etwas geben muss, eine Verbindung. Irgendetwas in der Art.“
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„Der Bericht ist da.“, tönt Rosi Kleins Stimme.
Sie kommt als Letzte und macht die Tür hinter sich zu, während wir uns, die Crew der neu ins Leben gerufenen SoKo „Maske“, bereits vor einer viertel Stunde in Susannes Büro zu der von ihr anberaumten Besprechung eingefunden haben.
Die Gespräche unter den Kollegen verstummen.
„Lass mal sehen…“, beginnt Susanne, während sie schon in der Mappe blättert.
„Die Tote lag scheinbar schon mehrere Stunden im Gestrüpp, bevor sie gefunden wurde.
Der Fundort ist nicht der Tatort. Todesursache: sie wurde erdrosselt. Wie es aussieht, mit ihrem eigenen Schal.
Der ungefähre Todeszeitpunkt liegt zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr am Samstagabend.
Die vorgefundenen Verletzungen im Bauchraum der Toten stammen nicht vom Täter. Sie wurden ihr posthum zugefügt. Wie sich anhand der gefundenen Tierhaare herausgestellt hat, von einem Fuchs.
Um den Tatort herum fanden sich zahlreiche einwandfreie Reifen- und Fußspuren, die sich letztlich jedoch vorbehaltlos als die von Jogger und herbeigerufenem Autofahrer und dessen Fahrzeug herausstellten. Vom Täter keinerlei Hinterlassenschaften, weder auf dem Boden, noch an der Leiche, geschweige an der Maske.“
Susanne wirft in einem plötzlichen Wutanfall die Mappe an die Wand.
„Mist! Verdammt! Das kann doch einfach nicht sein. Da draußen läuft ein Killer rum und wir haben keine einzige Spur. Nichts, ihm auf die Schliche zu kommen. Nichts, ihn zu stoppen!“
Betretenes Schweigen im Raum und Verwunderung darüber, dass unsere Chefin zeigt, dass ihre Nerven blank liegen.
Horst Eulitz sitzt ihr am nächsten und sammelt die Blätter vom Boden auf, die aus der Mappe gefallen sind und gibt sie ihr als Ganzes zurück.
Sie nickt dankend und schenkt ihm ein kurzes Lächeln.
„Ihr wisst, was das heißt?“, fragt sie. „Alles auf Anfang.“
Es wird unruhig im Zimmer. Und laut.
Die Anwesenden erheben sich nach und nach und verursachen durch das Zurückschieben ihrer Stühle kratzende Geräusche auf dem Parkettboden. Sie nehmen ihre vor der Besprechung unterbrochenen Gespräche wieder auf, womit der Geräuschpegel sofort ins Unermessliche ansteigt.
Die Kollegen verlassen Susannes Büro, um in ihr eigenes zurückzukehren und ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Wir zwei bleiben alleine zurück.
Wieder und wieder gehen wir beide Fälle durch.
Vergleichen.
Mutmaßen.
Und müssen uns eingestehen, dass wir nichts wissen. Gar nichts.
Mein Magen knurrt.
Sie sieht auf ihre Uhr.
Mittlerweile ist es einundzwanzig Uhr.
„Gott, Renner, so spät schon?“, gibt sie erstaunt von sich. Pizza?“, fragt sie.
Ich nicke.
Schon hat sie den Hörer in der Hand.
„Wie immer?“
Ich nicke, während ich denke: „…wie ein altes Ehepaar.“
Manchmal erstaunt es mich, wie gut sie mich mittlerweile kennt. Besser, als ich wahrhaben will.
Dennoch weiß sie nicht alles von mir. Bis jetzt habe ich gut vor ihr verbergen können, dass ich einen Schwachpunkt habe, und hoffe, dass es auch in Zukunft so bleibt.
Seit ich vor zwei Jahren in die Mordkommission gewechselt bin, haben wir unzählige Stunden zusammen verbracht. Das verbindet. Und man lernt seinen Partner besser kennen wie seinen eigenen. Man weiß um die Denk- und Verhaltensweisen des Anderen, lernt seinen Charakter und seine Macken kennen, und manchmal erfährt man auch die Lebensgeschichte des Anderen. Doch unsere hatten wir uns bisher verschwiegen.
Bevor Susanne die Bestellung aufgibt, schlage ich ihr vor, meine Anschrift als Lieferadresse anzugeben. Erstens müsste sie mich eh nach Hause fahren, da sie mich abgeholt hatte und mein eigener Wagen vor meiner Haustür parkt. Und zweitens wäre es allemal freundlicher, mal nicht im Büro zu essen.
Susanne ist einverstanden und so finden wir uns eine halbe Stunde später auf meiner Couch, im Wohnzimmer zwischen leeren Pizzakartons, Coladosen und einer Flasche Wein wieder.
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