Susanne steht, die Arme auf dem Tisch abgestützt.
„Wissen Sie, worüber ich die ganze Zeit nachdenken muss?“, stellt sie in den Raum. „Aus welchem Grund hat der Mörder das Opfer mit einer Maske versehen? Es muss eine Bedeutung haben. Nur welche?“
4
Am nächsten und auch am übernächsten Tag sind wir noch keinen Schritt weiter. Keinen einzigen.
Jost`s Befragung hat ergeben, dass die kürzlich entlassenen Sexualstraftäter blütenweiße Westen haben, astreine Alibis.
Der Lebensgefährte der Toten kann nicht viel zur Aufklärung beitragen. Er weiß nur, dass seine Lebensgefährtin gegen einundzwanzig Uhr noch mal die Wohnung verlassen hat, um sich mit jemandem zu treffen. Wer der- oder diejenige war, hat er nicht hinterfragt.
Auf meine Rückfrage, warum er nicht nachgefragt habe, gibt er an, dass er seiner Freundin vertraut und nicht die Absicht gehabt habe, ihr hinterher zu spionieren. Außerdem war ihm klar, dass sie ihm später sowieso davon erzählt hätte.
Dass sie nicht wiederkommt, konnte er nicht ahnen…
Susanne bewahrt mich davor, vom Stuhl zu kippen.
Als sie in mein Arbeitszimmer tritt und mich anspricht, schrecke ich auf.
Mein Kopf hatte bereits Halt auf der Schreibtischplatte gefunden.
„Gehen Sie nach Hause, Renner. Schlafen Sie sich aus. So nützen Sie keinem was.“
Als ich aufbegehren will, schüttelt sie den Kopf.
„Na los, machen Sie schon.“
-----
Ich lege mich angezogen, wie ich bin, aufs Bett. Ich bin physisch am Ende.
Alsbald finde ich mich in einem unsäglichen Traum wieder. Überall um mich herum sehe ich Masken.
Anstatt Schlaf zu bekommen, verfolgt mich der Fall weiterhin. Ich spüre, wie ich heftig zusammen zucke. Davon schrecke ich auf.
Vielleicht hilft ein Drink, denke ich bei mir, und hole die Flasche Singleton hervor, die ich Weihnachten von meinen Eltern geschenkt bekommen habe.
Echt guter Whiskey und eigentlich zu schade, ihn einfach so, ohne Anlass, zu trinken.
Aber ich habe nichts anderes da.
Aus dem einen Drink wird die halbe Flasche.
Doch der Alkohol hilft, und eine Stunde später falle ich in Tiefschlaf.
-----
Als ich munter werde, bin ich kurzzeitig irritiert, der Helligkeit wegen.
Es ist halb drei, wie mir mein Blick auf die Wanduhr anzeigt.
Kann die Uhrzeit stimmen?
Mein Schlafzimmer ist vom Tageslicht geflutet. Also musste es bereits Nachmittag sein.
Hatte ich wirklich zwölf Stunden geschlafen?
Ich kann mich nicht daran erinnern, im letzten halben Jahr jemals so viel Schlaf bekommen zu haben. Wenn ich Glück hatte, habe ich sechs Stunden am Stück geschlafen. Das war schon das Höchste der Gefühle.
Ich fühle mich ausgeruht, stehe auf und haue mir ein paar Eier mit Speck in die Pfanne.
Etwas anderes gibt der Kühlschrank nicht mehr her.
Der Toast, welchen ich dazu esse, ist auch grenzwertig. Aber Schimmel hat er noch keinen angesetzt.
Die Milch ist sauer, was ich erst durch einen kräftigen Schluck aus der Flasche merke.
Angeekelt spucke ich aus. Bleibt nur Leitungswasser zum Nachspülen.
Ich sollte unbedingt einkaufen gehen.
Aber, welcher Tag ist heute?
Sonntag? Montag?
Ich weiß es nicht.
Nach meinem Frühstück überlege ich kurz, was ich mit der mir verordneten Auszeit anfangen soll. Ich habe jetzt richtig Lust, mich wegen dem ganzen Frust und Misserfolg der letzten Tage, mal wieder auszupowern, auf mein Rennrad zu steigen.
Sport hilft immer, den Kopf freizubekommen.
In der Vergangenheit hatte mir das schon öfters geholfen.
Auch hätte ich nun Gelegenheit, wieder etwas für meine Fitness zu tun. Dass die gelitten hatte, merke ich sofort nach den ersten Kilometern.
Vielleicht ist aber auch nur der Alkohol Schuld daran, dass ich so schwitze.
Mit der Zeit finde ich allmählich zu meiner alten Form zurück.
Ich fahre weiter und weiter, gepackt vom Ehrgeiz und durchströmt von Glückshormonen.
Als ich nach einer knappen Stunde genug habe, fahre ich zurück.
Ich stelle mich unter die Dusche und lasse den Wasserstrahl eine Ewigkeit auf meinen Körper prasseln.
Es klingelt an der Tür.
Erst will ich es klingeln lassen.
Ich bin nicht da.
Doch die Klingel schellt wieder. Lange.
Also schlinge ich mir ein Handtuch um die Hüften und trete tropfend an meine Wohnungstür,
um zu öffnen.
Susanne steht davor.
Ihr Blick fliegt über meinen Körper.
Von oben nach unten und wieder hoch.
Sie ist irritiert. Das kann ich ihr ansehen.
Doch noch bevor ich sie hereinbitten kann, tritt sie schon durch die Tür.
In meiner Wohnung herrscht das völlige Chaos.
Meine Klamotten liegen über den ganzen Boden verteilt, überall.
Die Spüle ist voll schmutzigen Geschirrs.
Und ich kann ihr nicht mal etwas anbieten, weil ich nichts da habe.
Schnell sammle ich die umher liegenden Sachen auf und lege sie über einen Stuhl.
„So sieht das nicht immer bei mir aus…“, sage ich, und es klingt wie eine Entschuldigung. Was es ja auch sein soll.
Doch Susanne sieht großzügig darüber hinweg.
„Es gibt ein weiteres Opfer, Renner. Wieder eine Frau.“
Ich steige vor ihren Augen in meine Jeans und knöpfe gerade mein Hemd zu, als sie schon weiter spricht.
„Ich dachte, ich komme gleich persönlich vorbei, um Sie abzuholen. Hätte ja sein können, Sie hören das Klingeln des Telefons nicht. Tut mir übrigens leid, dass Ihr freier Nachmittag damit geplatzt ist.“
Mittlerweile bin ich komplett angezogen, schnappe mir schnell noch meine Jacke von der Garderobe und schließe die Wohnungstür hinter uns ab.
Auf dem Weg zu ihrem Wagen erfahre ich bereits weitere Einzelheiten.
5
„Die Leiche wurde ungefähr vor einer halben Stunde in einem Waldstück am Stadtrand von einem Jogger gefunden. Er hatte kein Handy dabei. Deshalb hielt er ein ihm entgegenkommendes Auto an. Dabei wäre er fast selbst zum Opfer geworden.
Wenn der Täter das Opfer mit einem Fahrzeug dahin gebracht hat, haben wir vielleicht dieses Mal Glück und es gibt Spuren.“
Susanne sieht lächelnd zu mir herüber.
„Übrigens, toller Body…“
Ich wende meinen Blick