Efix stieg die Treppe hinunter, pflückte eine kleine rötliche Goldlackblüte, hielt sie zwischen den auf dem Rücken verschränkten Händen und ging so nach der Basilika.
Die Stille und Kühle des ragenden Berges lagerte über allen Dingen. Nur das Gezwitscher der Drosseln in den Brombeersträuchern belebte die Gegend und mischte sich mit dem eintönigen Beten der Frauen in der Kirche. Auf den Zehenspitzen, mit der Goldlackblüte in der Hand, trat Efix ein und kniete hinter der Kanzelsäule nieder.
Die Basilika zerfiel von Jahr zu Jahr mehr; alles war dort grau von Feuchtigkeit und Moder. Durch die Ritzen im Holzdach fluteten die schrägen Sonnenstrahlen silbrig flimmernd über die Köpfe der knienden Frauen, und die Heiligenfiguren, die sich bräunlich vom schwarzen, rissigen Grund der noch die Wände schmückenden Bilder abhoben, glichen diesen schwarz und blau gekleideten Frauengestalten, die alle gelblichblasse Gesichter hatten, eine eingefallene Brust und einen schweren, vom Sumpffieber aufgetriebenen Leib. Auch ihr Gebet hatte einen schweren, eintönigen Klang, der wie aus weiter Ferne, wie aus einer längst versunkenen Zeit herüber zu zittern schien. Jetzt drehte sich der Priester im schwarzen, weißverzierten Chorgewand langsam mit erhobenen Händen um; ein Strahlenbündel spielte um sein bleiches Haupt wie um das eines Propheten. Und hätte der kleine Mesner nicht dann und wann das silberne, helltönige Glöckchen in der Luft geschwenkt, wie um den Spuk ringsum zu bannen, so hätte Efix trotz der blendenden Lichtflut, trotz des Gezwitschers der Vögel geglaubt, einer Geistermesse beizuwohnen. Dort sind sie alle noch, genau wie früher: Don Zame, der in seinem Betstuhl kniet, und etwas abseits Fräulein Lia, die so blaß in ihrem schwarzen Tuch aussieht, fast wie die Gestalt auf dem alten Gemälde dort, zu dem die Frauen ab und zu emporschauen. Es ist das Bild der Büßerin Magdalena, das nach der Wirklichkeit gemalt sein soll. Liebe und Trauer, Hoffnung und Reue lachen und weinen aus ihren unergründlichen Augen, spielen um ihren schmerzlichen Mund.
Da verstummte der Gesang der Frauen plötzlich, und einige rüsteten sich zum Aufbruch. Efix, der die ganze Zeit sein Haupt an die Säule der Kanzel gelehnt hatte, schreckte aus seinen Träumen auf und folgte Fräulein Esther, die nach Hause ging, ins Freie.
Die schon hoch am Himmel stehende Sonne glühte auf das Dörfchen herab, das verlassener als je in der blendenden Helle des heißen Mittags dalag. Die aus der Kirche strömenden Frauen verschwanden da und dort, lautlos wie Gespenster, und wieder hüllten tiefe Einsamkeit und Stille das Haus der Damen Pintor ein. Fräulein Esther trat an den Brunnen, um ein Nelkenpflänzchen mit einem kleinen Brett vor der Sonne zu schützen, eilte dann flink die Treppe hinauf und schloss Türen und Fenster. Der Boden der Veranda knarrte unter ihren Schritten, und von der Mauer und dem morschen Holz rieselte grauer Staub wie Asche herab.
Efix wartete, dass sie wieder herunterkommen sollte. In der Sonne auf den Stufen sitzend, die Mütze tief in die Stirn gezogen, um sein Gesicht ein wenig zu beschatten, schnitzte er mit seinem Taschenmesser einen Pfahl zurecht, den Fräulein Ruth vor dem Eingang anbringen wollte. Aber die im Sonnenlicht blitzende Klinge blendete seine Augen, und die welke Goldlackblüte zitterte auf seinen Knien. Er fühlte seine Gedanken verworren kreisen und dachte an das Sumpffieber, das ihm im vorigen Jahre schwer zugesetzt hatte.
Sollte es mich schon wieder am Kragen haben?
Da kam Fräulein Esther mit einem Blumentopf in der Hand wieder herunter; er rückte zur Seite, um sie vorbeizulassen, und hob das von der Mütze beschattete Gesicht.
»Sie gehen doch nicht mehr fort, Herrin?«
»Wohin soll ich denn gehen um diese Zeit? Zum Mittagbrot hat mich doch niemand eingeladen.«
»Ich möchte Ihnen gern etwas sagen. Freuen Sie sich eigentlich?«
»Über was denn, mein Lieber?«
Sie war wie eine Mutter zu ihm, aber ziemlich stolz; sie hatte stets nur den Knecht in ihm gesehen.
»Nun – nun, dass ihre Schwestern beide damit einverstanden sind, daß Don Giacinto herkommt.«
»Freilich freue ich mich. Es mußte ja so kommen.«
»Er ist ein guter Junge. Er wird sicherlich sein Glück machen. Man sollte ihm ein Pferd kaufen. Aber ...«
»Aber?«
»Aber man darf ihm von Anfang an nicht zu viel Freiheit lassen. Die jungen Leute sind alle gleich. Ich erinnere mich noch: wenn mir in meiner Jugend jemand den kleinen Finger gab, nahm ich gleich die ganze Hand. Und dann – Sie wissen doch, Fräulein Esther – die Pintors sind ein herrisches Geschlecht ...«
»Wenn mein Neffe kommt, Efix, werde ich zu ihm sagen wie zu einem Gast: Setz dich und tue so, als wärest du hier zu Hause. Trotzdem wird er merken, dass er nur ein Gast ist.«
Da stand Efix auf und schüttelte die Späne des Pfahls von seinen Ärmeln. Alles ging gut, und trotzdem bewegte ihn ein Gefühl von Unruhe; er hatte noch etwas auf dem Herzen, wagte aber nicht zu sprechen.
Langsam folgte er der Herrin, nahm die Mütze ab, um den Pfahl besser einrammen zu können, und wartete wieder geduldig, bis Fräulein Esther zurückkam, um Wasser am Brunnen zu schöpfen.
»Kommen Sie, geben Sie her!« sagte er und nahm ihr den Eimer ab; und während er Wasser schöpfte, schaute er unverwandt in den Brunnen, um seiner Herrin nicht ins Gesicht blicken zu müssen; denn er schämte sich, den Lohn zu verlangen, den sie ihm noch schuldete.
»Sagen Sie, Fräulein Esther – ich sehe die Schilfbündel gar nicht mehr. Haben Sie sie verkauft?«
»Ja, ich habe sie zum Teil verkauft, an einen Händler aus Nuoro. Den Rest haben wir zum Ausbessern des Daches verwandt, und auch zur Bezahlung des Maurers. Du weist doch, der Sturm hat am letzten Fastentag die Schindeln entführt.«
Und so drang er nicht weiter in sie. Es gibt so viele Wege, wie man seine Dinge ordnen kann, ohne den Leuten weh zu tun, die man gern hat. Deshalb machte er sich auf den Weg zur Wucherin Kallina und begrüßte unterwegs die Großmutter des jungen Burschen, der zur Bewachung des kleinen Gutes zurückgeblieben war. Groß und dürr, mit welkem, von einem schwarzen Tuche eingerahmtem Gesicht saß die Alte auf den Stufen vor ihrem verwitterten Häuschen und strickte. An ihrem langen, gelben, runzligen Hals hing eine Korallenkette, an ihren Ohren glitzerten zwei goldene Ohrringe wie leuchtende Wassertropfen, und es schien fast, als hätte sie im Altern ganz vergessen, diesen Schmuck ihrer Mädchenjahre abzulegen.
»Gott zum Gruß, Muhme Pottoi! Wie geht's uns? Der Junge ist auf dem Gut geblieben, kommt aber heute Abend zurück.«
»Ah – du bist es, Efix! Der Herr sei mit dir. Na, von wem war denn der Brief? Vom jungen Herrn Giacinto? Nehmt ihn gut auf, wenn er kommt. Schließlich kehrt er doch ins Haus seiner Väter heim, ist Don Zames Seele, denn die Seelen der Alten leben in den Jungen weiter. Sieh dir bloß Grixenda, meine Enkeltochter, an! Die ist vor sechzehn Jahren, an Christi Himmelfahrt, zur Welt gekommen, während ihre Mutter starb. Nun, schau sie doch an, ist sie der Mutter nicht wie aus dem Gesicht geschnitten? Dort kommt sie gerade ...«
Und richtig kommt Grixenda dort vom Fluss herauf, mit einem Wäschekorb auf dem Kopf: groß, schlank, den Rock über die schimmernden Beine hochgestreift, die schmal und kerzengerade sind wie die eines Rehs. Und von einem Reh hat sie auch die länglich geschnittenen Augen, die feucht in dem blassen, ebenmäßigen Gesicht glänzen. Ein rotes Band presst den zarten Busen unter dem über dem Hemd ausgeschnittenen Mieder zusammen.
»Ei – sieh an, Gevatter Efix!« rief sie freundlich und rauh zugleich, stellte den Korb auf seinen Kopf und wühlte in seinen Taschen. »O – wie garstig! Den ganzen Tag denke ich an Sie, und Sie haben mir nichts mitgebracht – nicht einmal eine Mandel.«
Efix ließ sie gewähren und freute sich ihrer Anmut. Die Alte aber mit dem starren Gesicht und den gläsernen Augen sagte sanft:
»Der gute Don Zame selig kehrt zurück.«
Da erstarrte Grixenda plötzlich, und ihr hübsches Gesicht und ihre schönen