Der Vergangenheit dunkle Zeiten. Ulrike Eschenbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Eschenbach
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783530
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Kaltschnäuzigkeit und Hartherzigkeit schickte Joe sie umgehend nach Hause. Noch am Tag ihrer Beichte kaufte er ihr ein Zugticket und brachte sie zur Bahn. Er setzte sie mit den Worten: „Sieh zu, dass du schnellstmöglich zu deinen Kindern kommst, und versuche gut zu machen, was du an ihnen verbrochen hast“ in den Zug. Alleine und innerlich von Gewissensbissen zerfressen, trat Mutter die Heimreise zurück nach Deutschland an. An der Grenze angekommen wurde sie, da sie nach wie vor wegen uns Kindern auf der Fahndungsliste stand, verhaftet.

      Ihr wurde der Prozess gemacht sowie das Sorgerecht für uns Kinder entzogen. Die Verurteilung beinhaltete eine dreijährige Bewährungsstrafe. Aufgrund der vorliegenden Situation wurde unserer Mutter ein Arbeitsplatz sowie eine Wohnstelle in der Bayrischen Pfalz zugewiesen. Dort lernte sie ein halbes Jahr später ihren zukünftigen Mann Herbert kennen. Jener hatte sehr viel Nachsicht mit ihrer Vergangenheit und gab ihr in jeder Beziehung Halt und Hilfestellung. Durch ihn fand sie wieder den Weg zurück in die Normalität. Gerne hätte sie im Nachhinein manches - besonders, dass sie ihre Kinder so einfach im Stich gelassen hatte - ungeschehen gemacht. Jene Schuldgefühle begleiteten Mutter, ihr ganzes Leben.

      Nach fast drei Jahren - meine leibliche Mutter hatte mittlerweile diesen Mann geheiratet und lebte nun in geordneten Verhältnissen - durfte sie meinen Bruder Leon, der bis dahin noch im Heim lebte, wieder zu sich nehmen. Mein Zuhause allerdings blieb weiterhin bei den Pflegeeltern, die mich ohnehin adoptieren wollten.

      Mutter wurde die Adresse meiner Pflegefamilie genannt sowie freigestellt, mich zu sich zu nehmen oder mich zur Adoption freizugeben. Mutter zögerte lange Zeit, gab mich aber, da auch die Pflegeeltern immer wieder um eine Adoption baten, dann doch hierfür frei. Mutters Begründung dafür war: Aus dem Mädchen mache sie sich sowieso nicht so viel! Trotz dieser Aussage stellte sie jedoch zur Bedingung, dass sie mich weiter, wie bisher, ab und an besuchen beziehungsweise sehen dürfe. Die Besuche verteilten sich aufgrund der Entfernung auf drei bis viermal im Jahr. Mama kündigte dann immer an: „Tante Gerda kommt uns wieder besuchen!“ Ich liebte diese Tante Gerda abgöttisch, ohne zu wissen, dass sie meine leibliche Mutter war.

      Mama, meine Adoptiv-Mutter, liebte mich auf ihre Weise. Ihre Liebe war mehr als überschwänglich, besonders dann, wenn alles nach ihren Wünschen und Vorstellungen verlief. War dies nicht der Fall, schlug ihre bis dahin übergroße Liebe ganz schnell in Hass, Wut und extremen Jähzorn um. Papa dagegen war ein sehr ruhiger, ausgeglichener Mensch, der mir sehr viel Wärme und Verständnis entgegen brachte. Bei ihm hatte ich stets das Gefühl des Verstehens und der Geborgenheit.

      Meine ersten Lebensjahre waren von ständiger, schwerer Bronchitis begleitet. Dies seien, so meinten die Ärzte, die Nachwehen der mangelnden Ernährung sowie der häufigen Unterkühlung in der Baby Zeit. Mama hatte mich in diesen Zeiten aufopfernd gehegt und gepflegt. Nichts war ihr zu viel. Als sie anfangs von den Ärzten aufgefordert wurde, mich wieder ins Heim zurückzubringen, da ich nach deren Meinung nie ein gesundes Kind werden würde, protestierte sie mit aller Macht dagegen. Ihre Worte waren stets: „Sie ist mein Mädchen und bleibt mein Mädchen! Ich liebe sie über alles und gebe sie nie und nimmer mehr her!“ Mama stellte ihre Liebe zu mir immer über alles.

      Noch heute frage ich mich: Was empfand sie wirklich für mich? War es wirklich Liebe? War es Egoismus? Oder war ich ganz einfach ihr Besitztum? Denn nach Liebe fühlte sich mein weiteres Leben wirklich nicht an… Als ich anfing, wie bei allen Kindern allgemein üblich, eine gewisse Willenskraft sowie Abneigungen zu entwickeln, gab es massive Probleme. Mamas Motto war: Gehorchen, gehorchen und nochmals gehorchen, ansonsten gab es Liebesentzug oder aber Schläge auf den nackten Po.

      Eines Abends, ich war damals etwas über vier Jahre alt, gab es, wie des Öfteren schon, fettige, schwabbelige, gekochte Schweinefüßchen mit Brot und Senf. Man konnte sich zwar zur damaligen Zeit glücklich schätzen, Fleisch, egal welches, auf den Tisch stellen zu können, doch für mich war jenes mehr als ekelig. Das Nahrungsangebot sowie die finanziellen Mittel waren in dieser Zeit immer noch sehr gering. Fleisch gab es, wenn überhaupt, nur einmal pro Woche. Ansonsten wurden die hungrigen Bäuche mit Suppe, Gemüse und Kartoffeln gesättigt. Gekochte Schweinefüße waren damals ein beliebtes, billiges und ausgiebiges Essen. Zumindest in Franken!

      Mir jedoch wurde es schon übel, wenn ich diese nur sah. Ich konnte und wollte jenes wabbelige Zeug nicht essen. Mama bezeichnete mich daraufhin zornig als „undankbares Geschöpf“ und meinte, ich solle froh sein, dass ich überhaupt etwas zu essen bekäme. Andere hätten mich schon längst verhungern lassen. Da ich keinen Bissen zu mir nahm, setzte sich Mama nun neben mich. Bei solchen Aktionen, die in der letzten Zeit öfter vorkamen, hatte sie dann immer eine Hundepeitsche in der Hand. Diese bestand aus drei Lederriemen, die jeweils zwei Zentimeter breit und etwa zwanzig Zentimeter lang waren. Diese waren bis zu einem Drittel miteinander verflochten und zu zwei Drittel offen. In dem geflochtenen Abschnitt war ein Karabiner eingearbeitet, an dem Mama dieses Folterwerkzeug zur Aufbewahrung in unserer Küche an einen Hacken aufhing. Vor dieser Peitsche hatte ich einen heillosen Respekt! Mehrere Male schon war mein Po ziemlich unsanft mit ihr in Berührung gekommen.

      Mama schob mir nun abwechselnd Brot und wabbeliges Fleisch in den Mund. Gehorsam und in Angst vor einem Peitschenschlag schluckte ich alles, was mir Mama reichte. Kaum, dass ich den letzten Bissen geschluckt hatte, wurde es mir verdammt übel. Und schon passierte es. Alles Gegessene schoss wieder aus mir heraus, zurück in meinen Teller und natürlich auch darüber hinaus. Mama schrie mich an, ich solle mich nicht so anstellen, es gäbe nichts anderes zu essen, außerdem sei ich ein verwöhntes Gör. Sie hätte mich doch lassen sollen, wo ich gewesen war. Unter weiterem Gezeter und Geplärr, holte sie einen Lappen und putzte das Erbrochene vom Tisch. Als sie alles gesäubert hatte, stellte sie mir einen frischen Teller hin, was für mich bedeutete, dass das ganze Szenario nun von vorne losging. Kaum, dass ich den frischen Teller realisiert hatte, lag auch schon wieder ein Stück dieses ekligen Zeugs darauf. In mir stieg Zorn und vor allem Ekel hoch. Mit meinen Armen auf dem Esstisch herum lümmelnd, versuchte ich, mich gegen ein nochmaliges Essen dieses widerlichen Fleisches zu wehren. Durch das Gerangel meiner Arme warf ich ein am Tisch liegendes Schneidebrettchen mitsamt einem großen Brotmesser vom Tisch. Oh Gott! Mama sprang auf und schrie: „Die hat mit dem Messer nach mir geworfen! Das ist eine Mörderin! Ich erschlage dieses undankbare Geschöpf noch! Warum nur haben wir uns nur so etwas ins Haus geholt?“ Zugleich zog sie mich an den Haaren hinter dem Esstisch hervor, riss mir das Höschen vom Po und prügelte mit besagter Hundepeitsche auf meinen nackten Hintern ein.

      Papa versuchte, Mama mit den Worten, „Lass sie, schlag sie doch nicht so. Ulrike hat doch nur durch ihr Gerangel die Sachen vom Tisch gefegt und nicht absichtlich nach dir geworfen. Sie wollte dies ganz bestimmt nicht!“ zu beruhigen. Doch Mama ließ sich in ihrem Jähzorn von Papa nicht beirren. Sie schrie immer wieder, ich hätte willentlich mit dem Messer nach ihr geworfen und schlug weiter auf mich ein. Als Mama endlich von mir abließ, bedeckten dicke, blutige Striemen meinen Po. Wie erstarrt und vor Schmerz unfähig, mich zu bewegen, stand ich in der Mitte unserer Küche. Heulend fragte ich Mama: „Warum tust du mir so weh?“ Mich mit einem bösen Blick ansehend, ging sie, ohne mir eine Antwort darauf zu geben, aus dem Zimmer.

      Auch Papa hatte unterdessen die Küche verlassen. Er war geflohen, um das Ganze nicht mit ansehen zu müssen. Immer noch stand ich stocksteif in der Mitte des Zimmers, als ich spürte, dass etwas Warmes an meinen Beinen entlang lief. In diesem Moment kam Mama mit einem nassen Waschlappen und wischte kommentarlos die Blutspuren ihrer Schläge von meinen Beinen ab. Mit den Worten: „Dann gehst du eben hungrig zu Bett. Außerdem wirst du genau so wie deine Alte“ wurde ich anschließend von ihr zu Bett geschickt.

      Wimmernd lag ich in meinem Bett und spürte, wie das Blut immer noch aus meinen Wunden am Po sickerte. Warum nur, dachte ich, hat sie mich so geschlagen? Warum? Ich liebte sie doch und wollte sie auf keinen Fall ärgern. Nur dieses wabbelige, eklige Fleisch konnte ich einfach nicht essen! Mir wurde schon übel, wenn ich nur daran dachte. Warum verstand sie das nicht? Und was ist eine Mörderin? Mit meinen etwas über vier Jahren wusste ich weder was eine Mörderin war noch konnte ich den Satz „die wird genau so wie ihre Alte“, verstehen.

      Vor Schmerzen wimmernd drehte ich mich von einer auf die andere Seite. Mein Po tat nach wie vor verdammt weh, außerdem war mein Bettlaken durch das immer noch aussickernde Blut feucht und klebte