„Ja, es fing alles an, nachdem deine Mutter sich mit dem schwarzen König einließ“, beginnt sie zu erzählen und die Vorstellung meiner Mutter zusammen mit diesem Mann lässt die Härchen auf meinen Armen zu Berge stehen. „Wir wussten natürlich nicht, was er war. Aber ich spürte von Anfang an, dass er nichts Gutes bedeutet. Ella und er waren Hals über Kopf ineinander verliebt. Innerhalb weniger Wochen gaben sie ihre Verlobung bekannt und Ella wurde mit dir schwanger. Ich erzählte ihr von meinen Bedenken und sagte ihr, dass ich ihn verfolgt hatte und sah, wie er nachts auf dem Grundstück eines alten Guts herumspazierte und sich dann in Luft auflöste! Aber natürlich glaubte sie mir nicht.“
„Er hat sich in Luft aufgelöst?“
Elvira nickt und starrt gedankenverloren auf den mit Kratzern übersäten Couchtisch. „Jede Nacht, wenn Ella schlief, verließ er sie und ging zu diesem Gut. Ein paar Mal habe ich ihn beobachtet und es war, als überschreite er eine unsichtbare Grenze und ward danach verschwunden. So als husche er in eine andere Dimension hinein.“
Ich denke über Elviras Worte nach, bis mir wieder dieser widerliche Anhänger, den der schwarze König mir mit der Einladung zusammen geschickt hat, einfällt. „Ich habe eine Einladung von ihm bekommen. Dabei war so ein Anhänger, total widerlich! Es ist ein Rattenherz im Zuckermantel. In der Einladung stand, dass ich nur so sein Schloss betreten kann. Hatte er vielleicht auch so einen Anhänger?“
„Er hat dich eingeladen?“, hakt Elvira aufgebracht nach und reißt die Augen auf.
„Ja. Darin steht, dass sein Medium ihm gesagt hat, ich würde bald weiße Magie erlernen. Da er sich aber Chancengleichheit erbittet, lädt er mich in sein Schloss ein, um mir die schwarze Magie näherzubringen. Es ist nicht wirklich eine Einladung. Wenn ich nicht freiwillig komme, dann wird er mich holen lassen.“
Elvira schlägt die Hände über den Kopf zusammen. „Oh mein Gott … Nun ja, damit hätten wir rechnen müssen. Wann sollst du zu ihm?“
„Heute in einer Woche.“
Elvira springt auf. „Und dann sitzt du hier noch rum? Du musst dringend mit Fletcher reden, Scarlett! Er muss dir die Grundlagen der weißen Magie erklären, und ...“, ruft sie fahrig, doch ich hebe meine Hand und unterbreche sie.
„Ganz ruhig, Elvira! Ich gehe heute Nachmittag zu Fletcher. Chris hat schon alles mit ihm besprochen, nun beruhige dich wieder!“
„Mich beruhigen? Scarlett, wenn der schwarze König dich erstmal unter seine Fittiche nimmt, dann wird er dich auf die schwarze Seite ziehen. Es liegt dir im Blut, Kind!“
Jetzt stehe ich auch auf und stemme die Hände in die Hüfte. „Du denkst also wirklich, dass dieser Bastard es schafft, mich auf seine Seite zu ziehen? Ich mag vielleicht von seinem Blut abstammen, Elvira, aber ich bin nicht wie er!“
„So meinte ich das nicht“, lenkt sie in ruhigerem Ton ein. „Ich meine nur, dass die dunkle Seite sehr verführerisch sein kann. Und der schwarze König wird sich womöglich von seiner besten Seite zeigen, damit du in Betracht ziehst, dich für die dunkle Seite zu entscheiden. Aber das darf nicht passieren!“
„Ich werde nicht auf die dunkle Seite wechseln, Elvira! Ich hätte am liebsten gar nichts mit diesem ganzen Hexenkram zu tun! Ich will einfach nur mein Leben leben, ohne schwarze oder weiße Magie. Ich will Parapsychologin sein, so wie du!“
Elvira seufzt. „Du wirst dich deinem Hexenblut nicht mehr verwehren können. Wenn du dich für die weiße Seite entscheidest, kannst du als Parapsychologin arbeiten. Entscheidest du dich aber für die schwarze Seite, so haben wir dich für immer verloren.“
Kapitel 4
Ich fahre den schmalen Pfad durch den Wald in Richtung Chris´ Haus und denke darüber nach, was Elvira mir offenbart hat. Zu wissen, dass man plötzlich eine Lebenserwartung von knapp fünfhundert Jahren hat, stimmt einen nicht ausschließlich fröhlich. Es bedeutet, dass all diejenigen, die mir jetzt am Herzen liegen, in fünfzig bis einhundertdreißig Jahren nicht mehr da sind. Und dann liegen noch rund dreihundertvierzig einsame Jahre vor mir. Mein Herz wird schwer, wenn ich daran denke. Wenn der schwarze König schon seit vierhundert Jahren existiert, dann bleiben ihm nur noch rund einhundert Jahre zu leben. Wie viele Menschen hat er gehen sehen? Ob es ihm schwerfiel, die Menschen um ihn herum sterben zu sehen? Hat er überhaupt Gefühle und ein Herz?
Mein Wagen kommt knirschend auf dem Kies vor Chris´ Doppelgarage zum Stehen und ich steige aus, während ich mich umblicke. Dieses Haus haut mich einfach um! Es ist so gigantisch und wirkt, als sei es einem Märchenbuch entsprungen. Ich frage mich, wie viele Menschen überhaupt wissen, dass sich tief in diesem Wald hinter der Stadt solch ein Traumhaus verbirgt.
Ich drücke den Knopf meines Autoschlüssels und schließe den Wagen ab. Womöglich wäre das hier, inmitten der dichten Wälder, gar nicht nötig, da sich wahrscheinlich eh niemand hierhin verirrt, aber ich tue es trotzdem.
Als ich auf die Haustür zulaufe, wird sie geöffnet und Chris kommt mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen heraus. Er läuft auf mich zu, schlingt seine Arme um mich und hebt mich hoch.
„Du hast mir gefehlt“, raunt er in mein Ohr und sein heißer Atem streift meinen Hals.
Ich lache und lege meine Arme um seine breiten Schultern, während ich mit den Fingern durch sein weiches Haar streiche. „Es waren doch nur ein paar Stunden.“
„Viel zu lange“, sagt er und bedeckt meinen Hals mit Küssen, während er mich in seinen starken Armen scheinbar mühelos trägt. Dann finden seine Lippen meine und er küsst mich, als wären wir Wochen voneinander getrennt gewesen. Die Stelle an meinem Brustbein wird warm und beginnt immer stärker zu kribbeln, je länger der Kuss dauert.
Ein Räuspern hinter Chris lässt mich innehalten, Chris jedoch nicht. Er küsst mich weiter und ich höre das Räuspern erneut, diesmal lauter mit einem leicht genervten Unterton. Ich drehe den Kopf und blicke an Chris vorbei. Die blonde, schlanke Frau steht mit gekreuzten Armen lässig im Türrahmen und blickt zu uns herüber, während Chris seinen Kopf mit einem wohligen Raunen in meiner Halsbeuge versenkt.
„Chris, wir werden beobachtet“, flüstere ich und zapple mit den Beinen.
Widerwillig löst Chris sich von mir und setzt mich wieder ab, jedoch nicht, ohne meine Hand zu nehmen und unsere Finger miteinander zu verschränken.
„Fertig?“, fragt die blonde Frau und zieht die Augenbrauen hoch.
„Eigentlich nicht“, entgegnet Chris und zieht mich an seine Seite.
Wieder räuspert sich die Frau und beginnt mit der Spitze ihres Wildlederstiefels ungeduldig auf den Boden zu tippen. „Würdest du mich nun bitte vorstellen, Christobel?“
Chris führt mich grinsend zu der Frau. „Darf ich vorstellen, Scarlett, das ist meine nervige Schwester Bianca“, sagt er und Bianca reicht mir die Hand. „Bianca, das ist Scarlett, meine Gefährtin.“
Ich ergreife Biancas Hand und besehe mir ihr hübsches Gesicht. Sie hat dieselben Augen wie Chris, moosgrün mit langen dunklen Wimpern, auch den kantigen Kiefer und die vollen Lippen haben sie gemein, jedoch hat Bianca eine kleine Stupsnase und wenn sie lächelt, bilden sich kleine Grübchen neben ihren Mundwinkeln.
„Hallo Scarlett, freut mich, dich kennenzulernen. Chris hat die ganze Zeit nur von dir gesprochen“, sagt sie und rollt lachend mit den Augen.
„Hallo Bianca“, sage ich und blicke zu ihr hoch. „Freut mich auch sehr.“
Wir folgen ihr ins Innere des Hauses und Chris schließt die Tür hinter uns. Er ist ganz Gentleman und hilft mir aus meinem Mantel, während ich mich umsehe. Von innen ist das Haus noch atemberaubender. Alles ist in Holztönen gehalten, bis auf den Kamin in der Mitte des riesigen Raumes, der wirkt, als wäre er aus einem Fels geschlagen worden. Der Raum erstreckt sich bis zum hinteren Teil des Hauses, der an einer Glaswand endet, durch die man auf den angrenzenden Wald blicken kann. Dichte hohe Tannen, niedrige