„Grüß´ Elvira von mir, ja?“, bittet er und küsst mich zum Abschied. „Ich schreibe dir, wenn ich mit Fletcher gesprochen hab. Sein Wohnwagen steht nicht weit von hier“, sagt er und erinnert mich somit wieder an meine Pflichten als Hexe.
Fletcher soll mich in die Künste der weißen Magie einweisen. Nun, da ich aber Chris´ Haus gesehen habe, möchte ich nichts sehnlicher, als ein paar Tage mit ihm dort zu verbringen und alles zu erkunden.
„Okay“, seufze ich und blicke noch einmal zur Garage mit dem Boot und dem riesigen Holzhaus.
Chris grinst in sich hinein, küsst mich flüchtig und verabschiedet sich.
Ich wende meinen Wagen und trete unfreiwillig den Rückzug an. Als ich den kleinen Pfad über den Hügel fahre, lenkt etwas Glitzerndes im Augenwinkel meine Aufmerksamkeit auf sich. Auf dem Beifahrersitz liegt ein Schlüsselbund. Er gehört Chris.
Ich überlege rückwärts wieder den Hügel hinauf zu fahren, um ihm seinen Schlüssel zu bringen, entscheide mich dann aber dagegen und ziehe stattdessen die Handbremse. Schnell schnappe ich mir den Schlüssel, steige aus und klettere den Hügel empor und auf der anderen Seite wieder herunter. Ich sehe Chris mit dem Rücken zu mir an der Haustür stehen, reiße den Arm mit dem Schlüssel hoch und will gerade seinen Namen rufen, als die Tür von innen geöffnet wird.
Ein kleines Mädchen, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, kommt heraus und stürmt in Chris Arme. Er beugt sich vor und ich höre sein kehliges, dunkles Lachen. Sie gluckst und kichert, als er sie fest an sich drückt. Ihr Haar ist dick und dunkel, genau wie seins.
Dann erscheint eine weitere Person in der Tür. Sie ist groß und schlank, hat langes blondes Haar, das ihr bis zur Hüfte reicht. Sie lehnt sich an den Türrahmen und stemmt eine Hand in ihre Hüfte. Chris wuchtet das kleine Mädchen von seinem Arm auf seine Seite und geht auf die Frau zu. Wieder höre ich sein Lachen, als er die Frau in seine Arme schließt. Das Mädchen vergräbt ihren kleinen Kopf an Chris Hals, während die schlanken Finger der Frau flüchtig über Chris´ Rücken streichen. Dann legt sie ihren Arm um seine Taille, das Kind in ihrer Mitte, und so verschwinden sie im Inneren des Hauses. Die Tür fällt krachend ins Schloss.
Kapitel 2
Mein Herz zieht sich zusammen, zersplittert und fällt klirrend in Scherben zu Boden. Ich lasse den Arm sacken, in dessen Hand ich noch immer Chris´ Schlüsselbund halte und starre weiter auf die nun geschlossene Eingangstür, während die aufkommenden Tränen langsam meine Sicht trüben.
Hör auf, Scarlett, du weißt ja noch nicht einmal, wer die Frau und das Kind sind, meldet sich mein Unterbewusstsein. Es ist der Versuch mich selbst zu beruhigen, doch es will nicht so recht funktionieren. Chris hatte vor ein paar Tagen noch gesagt, dass es eine Menge Dinge gäbe, die ich über ihn nicht wüsste. Waren diese Frau und das Kind eines davon?
Mit einem dicken Kloß im Hals und den Schlüssel, der sich in meine zur Faust geballte Hand bohrt, gehe ich zurück zu meinem Wagen. Ich steige ein, werfe den Schlüssel in den Fußraum des Beifahrersitzes, starte den Motor und fahre mit heulendem Motor los. Vielleicht hört Chris den fauchenden Panther und befürchtet, ich könnte ihn mit seiner Frau, Freundin, oder was auch immer, gesehen habe. Würde ihm recht geschehen. Ich hoffe, ihm sackt das Herz genauso in die Hose, wie meines, dass nun in Scherben auf dem Waldboden liegt.
Ich befinde mich auf dem Feldweg hinter dem Wald, als mein Handy klingelt. Mit zitternden Fingern hole ich es aus meiner Manteltasche und blicke rasch darauf. Es ist Chris. Doch anstatt abzunehmen, werfe ich es in den Fußraum zum Schlüssel, wo es unaufhörlich weiterklingelt. Der fröhliche Klingelton passt rein gar nicht zu meiner momentanen Stimmung, weswegen ich das Radio laut stelle, bis mir die Ohren dröhnen und das lustige Gedudel komplett übertönt wird. Ich trete das Gaspedal durch und lasse den schwarzen Panther aufheulen. Er schreit meine Wut und Enttäuschung in die Welt hinaus, damit ich es nicht tun muss.
Als ich auf dem Krankenhausparkplatz zum Stehen komme, wische ich mir die Tränen von den Wangen und besehe mein Gesicht im Rückspiegel. Mein Lidstrich ist ein wenig verlaufen, aber das kriege ich mit einem Taschentuch wieder hin. Ich atme tief ein und aus, studiere ein Lächeln für Elvira ein und sage mir selbst, dass ich mich um Chris später kümmern kann. Jetzt ist erst mal nur meine Tante wichtig, mit der ich noch einiges zu besprechen habe und die kein weinerliches Häufchen Elend vorfinden soll, wenn sie mich gleich sieht.
Ich steige aus, straffe die Schultern und laufe zwischen umherwehendem Herbstlaub zur Eingangstür.
„Scarlett, da bist du ja!“, ruft Elvira erleichtert, als ich ihr Zimmer betrete. Sie sitzt auf der Bettkante, einen Briefumschlag in der Hand, und springt auf, sobald ich auf sie zugehe. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.“
„Hallo Elvira, freut mich auch dich zu sehen. Danke, mir geht’s gut, und dir?“, antworte ich sarkastisch.
Elvira geht ein paar Schritte auf mich zu, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. „Was ist los, Kind?“
Ich schüttle mit dem Kopf und weiche ihrem Blick aus, da ich befürchte, die Tränen würden zurückkommen, wenn ich sie ansehe.
„Wo ist Chris, hatte er keine Zeit?“, will sie wissen und blickt über meine Schulter zur offenstehenden Zimmertür.
„Nein“, sage ich und lache kalt. „Er ist anderweitig beschäftigt.“
Elvira umfasst meinen Oberarm und zwingt mich, sie anzusehen. „Ist alles in Ordnung mit euch?“
Ich seufze, winde mich aus ihrem Griff und setze ein falsches Lächeln auf. „Natürlich, alles in Ordnung. Wollen wir dann los?“
„Mir machst du nichts vor, Kind. Ich kenne dich besser, als du dich selbst. Aber gut, wir reden später“, sagt sie, faltet ihren Entlassungsbrief, steckt ihn in die hintere Hosentasche und stapft an mir vorbei.
„Da gibt es nichts zu bereden“, protestiere ich und folge ihr.
Sie geht schnurstracks in Richtung Fahrstuhl, wobei sie den Krankenschwestern winkt und sich bedankt.
„Tschüss Elvira!“, und „Komm bloß nicht so schnell wieder, okay?“, oder „Bis bald, Elvira!“, wird ihr zugerufen und mir wird klar, dass sie nicht zum ersten Mal in diesem Krankenhaus ist. In den zwölf Stunden in denen sie hier lag, kann sie nicht mit allen Schwestern Freundschaft geschlossen haben.
Ich steige zu meiner Tante in den Fahrstuhl und warte, bis die Tür sich schließt. „Das war nicht dein erster Aufenthalt in diesem Krankenhaus, oder?“, frage ich und blicke auf die matt silberne Fahrstuhltür.
„Nein“, antwortet Elvira knapp.
„Wie oft schon?“
Elvira seufzt und steckt die Hände in die Taschen ihrer dreckigen Jeans. Getrocknetes Blut färbt den Stoff rotbraun „Ich habe nicht mitgezählt.“
Entsetzt sehe ich sie an, während der Fahrstuhl ins Erdgeschoss fährt und dann mit einem Ruck zum Stehen kommt. „Wie oft, Elvira? Wie oft hast du hier gelegen, ohne dass ich es wusste?“, herrsche ich sie an, wobei sie Ausschau nach meinem Wagen hält.
Als sie ihn erblickt, geht sie auf ihn zu und ich trabe neben ihr her. „Sag mir, was mit dir los ist, und ich sage dir, wie oft ich schon hier war.“
Verärgert schnaube ich und schüttle mit dem Kopf. Das hat sie schon immer gemacht.! Wenn ich mal nicht mit der Sprache rausrückte, hat sie solange nicht mehr mit mir gesprochen, bis ich ihr sagte, was mein Problem war. Aber diesmal wird sie keinen Erfolg mit dieser Masche haben, da ich kein kleines Kind mehr bin. Ich bin erwachsen und muss nicht jedes meiner Probleme mit ihr besprechen. Außerdem wurmt es mich, dass ich so eifersüchtig bin und mich offenbar innerhalb weniger Tage unsterblich in einen Mann verliebt habe, von dem ich so gut wie nichts weiß. Und sollte diese blonde Frau von vorhin wirklich zu Chris gehören, dann will ich lieber gar nicht mehr daran