Brennpunkt Gastronomie. Rene Urbasik. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rene Urbasik
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753181912
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Stattdessen plauderte die Adelige völlig normal und ungeniert mit mir, bestellte ein einfaches Gericht, ohne irgendwelche Sonderwünsche und verabschiedete sich freundlich von mir. Das Trinkgeld war angemessen und fiel nicht aus dem herkömmlichen Rahmen.

      Dieser angenehmen Überraschung sollten im Laufe meiner gastronomischen Karriere viele unangenehme folgen. Ich begegnete Menschen, die glaubten, es sich leisten zu können, andere Leute wie Untergebene zu behandeln. Menschen, die in ihrem Dasein nichts Beifall-zu-Zollendes geleistet hatten, sondern durch irgendeine glückliche Fügung zu Geld gekommen waren. Adelige bezeichnen solche Emporkömmlinge als „Parvenüs“. Genau wie Neureichen haftet den Parvenüs der Makel an, sich hinsichtlich der Umgangsformen und Konventionen, nicht den sogenannten besseren Kreisen anpassen zu können. Wobei meine Erfahrungen eher in die Richtung gehen, dass Altreiche gar nicht so viel Aufheben um ihre Titel oder Honoratioren machen.

      Eine Zeit lang war ich als Bedienung bei einem Gourmet-Caterer tätig. Dort bekam ich allerlei Einsichten in die Häuser der feinen Gesellschaft. Die Mitglieder von alteingesessenen Kaufmannsfamilien waren sich nicht zu schade, selbst mit anzupacken, wenn unsere LKWs vorfuhren, um das Equipment auszuladen. Die durch Erbschaften oder Lottogewinne zu Geld gekommenen Auftraggeber schauten durch uns Gastro-Arbeiter hindurch, wie durch eine schmutzige Scheibe und gaben Anweisungen gefälligst nichts kaputtzumachen. Trinkgeld für die geleistete Arbeit war aus deren Kreisen selten zu erwarten. Dafür spielten sie gerne den großen Zampano vor ihren Gästen. Ihre Feste waren Prestige-Angelegenheiten und hatten mit geselligem Zusammensein herzlich wenig zu tun. Krampfhaftes Verhalten der neureichen Gastgeber war steter Begleiter bei all ihren Feierlichkeiten. Alles musste teuer und professionell aussehen, um mit dem Nachbarn, der kürzlich eine Sommer-Party gegeben hatte, gleichzuziehen. Kellner und Köche waren in ihren Augen nur minderwertige Angestellte, die zu funktionieren hatten.

      Diese vor allen Augen herumzukommandieren oder herunterzuputzen schien ihnen ein Gefühl von Allmacht zu geben. Am schlimmsten waren die Frauen oder Freundinnen selbsterklärter Millionäre oder Business-Novizen. Man spürte förmlich, welch eine Energie die aufgepimpten Ladys damit verbracht hatten, sich den neureichen Selfmademan zu angeln. Selbst meist aus einfachen Verhältnissen stammend, glaubten sie jetzt das große Los gezogen zu haben. Die Damen gingen förmlich auf in ihrer neuen Rolle als Grand Lady. Ständig wurden wir Kellner im harschen Ton aufgefordert, den Gästen mehr Champagner nachzuschenken oder uns gefälligst mit dem Servieren der Vorspeisen zu beeilen.

      Es war immer wieder ein befriedigendes Gefühl, den tiefen Fall der einen oder anderen verblassenden Schönheit zu beobachten. Millionärs-Fantastereien, die zerplatzten wie Seifenblasen, jähe Abstürze mit Konkursen und eidesstattlichen Erklärungen. Chronische Champagner-Konsumenten teilten sich plötzlich eine Piccolo-Flasche Sekt Hausmarke und nahmen das Tagesmenü statt Hummer Thermidor. Nicht, dass sich angesichts solcher Niedergänge warme Genugtuung in unseren frostigen Kellner-Herzen breitgemacht hätte...

      Der Geiz

      In den unterschiedlichen Zweigen der Dienstleistungen ist es hierzulande üblich, zusätzlich zur eigentlichen Rechnung, einen Obolus für die Angestellten zu hinterlassen. Diese Extra-Gratifikation geschieht auf freiwilliger Basis und hängt im Normalfall, hinsichtlich der Höhe, von der Zufriedenheit des Kunden ab. In Deutschland beträgt das sogenannte Trinkgeld zwischen 5 und 10%, in Schwaben kann es auch schon mal unter die 2%-Hürde fallen. Friseure, Taxifahrer, Lieferdienste und Zusteller bessern sich damit ihr Einkommen auf. Auch Angestellte im Gastgewerbe profitieren gerne von diesem traditionsreichen gesellschaftlichen Konsens. Ist der Beifall am Ende der Aufführung das Brot des Künstlers, so ist das Trinkgeld die Anerkennung für den Service der Bedienung. War der Ober besonders freundlich und aufmerksam? Hat die Serviererin echte Herzlichkeit gezeigt statt professioneller Freundlichkeit? Dann gibt es keinen Grund, deren Leistungen nicht zu honorieren. Sie haben durch ihre charmante Art dazu beigetragen, dass der Abend mit der neuen Freundin ein Erfolg wurde. Das sollte uns ein paar Münzen wert sein.

      Wie viele dieser Extra-Groschen der Gast letztendlich bereit ist, zusätzlich zum Rechnungsbetrag drauf zu legen, hängt auch von dessen Natur ab. Herkunft, Erziehung oder persönliche Neigungen spielen dabei eine tragende Rolle. Mitarbeiter der Dienstleistungsbranche, die selbst auf ergänzende Zahlungen angewiesen sind, werden in der Regel ebenfalls großzügig sein.

      Gebefreudig sind oft auch Gäste, von denen man es nicht erwartet. Menschen, von denen man weiß, dass diese selbst nicht viel verdienen oder die als sehr bescheiden gelten. Oft hatte ich mit dem Annehmen unüblich großer Summen Probleme. Dann weise ich den Gast höflich darauf hin, dass sein Trinkgeld gerade einen Tick zu hoch ausgefallen sei. Ob er sich ganz sicher sei oder er sich bei der Rechnung eventuell verlesen hat? Manchmal wird das Missverständnis rasch aufgeklärt und ein paar Scheine wandern zurück in die Brieftasche des Kunden.

      Auch wenn es unehrenhaft klingt, so ist es weit verbreitete Praxis, dass Bedienungen, wenn sie für ein Bankett eingeteilt werden, insgeheim darüber spekulieren, wie hoch das Trinkgeld des Gastes ausfallen wird. Dabei kann man positive und negative Überraschungen erleben.

      Eine kleine Hochzeit fand in einen unserer Nebenräume statt. Die frisch Vermählten waren kaum älter als 18 und sichtbar nervös. Das interne Rotationsprinzip hatte entschieden, dass ich die 16 Gäste bedienen durfte. Ein Blick auf das jugendliche Alter der Brautleute und ihrer Geladenen verriet mir sofort, dass ich „Tip-mäßig“ nicht viel zu erwarten hatte. Ich hoffe, das liest sich jetzt nicht böse und raffgierig, so ist es nämlich nicht gemeint. Freundlich und unaufdringlich verrichtete ich meinen Dienst. Da das Hochzeitsessen in À-la-carte-Form stattfand, durfte jeder der Anwesenden frei sein Lieblingsgericht auswählen. Entweder waren die Gäste zu bescheiden oder von unserer Speisekarte überfordert – auf alle Fälle betrug die Rechnungssumme letztendlich knapp 350 Euro. Ich habe zwei-Personen-Tische bedient, die höhere Umsätze zu verzeichnen hatten. Sei es drum. Während ich vor meinem geistigen Auge einen 5-Euro-Schein in meine Geldbörse wandern sah, als nett gemeinten Obolus, zahlte der junge Bräutigam mit seiner EC-Karte. Anschließend drückte er mir 80 Euro Trinkgeld in die Hand und bedankte sich für den guten Service. Noch am Abend fiel mir die Kinnlade herunter, wenn ich an die Spendierlaune des jungen Burschen dachte. Zeitgleich verspürte ich einen Anflug von Scham, weil ich die Gesellschaft quasi seit ihrer Ankunft in unserem Restaurant gedanklich vorverurteilt hatte.

      Dann gab es wiederum diese Gäste, von denen jeder wusste, dass bei ihnen Geld keine Rolle spielt. Teure Reisen, extravaganter Lebensstil – alle Klischees wurden bedient. Champagner-Empfang, teure Rotweine, ein 5-Gänge Gala Menü. Da wurde geklotzt und nicht gekleckert. Hatte der Gastgeber um Mitternacht ungeplant das Bedürfnis nach einem Käsebüfett, so hobelten wir Servicekräfte Brie und Gorgonzola von riesigen Laiben. Ein gut betuchter Gast ließ einen bekannten Szene-DJ einfliegen, weil sich die im Vorfeld gebuchten Live-Musiker als zu langweilig für seine Feier herausstellten. Der Rechnungsbetrag für solche aufwendigen Partys übersteigt oft jegliches Verständnis. Das Trinkgeld der Kunden ebenfalls – nicht selten unangenehm. 8.000-Euro-Veranstaltungen, durchgeführt von fünf Servicekräften, die bis in die frühen Morgenstunden für ihre Gäste da gewesen sind – honoriert mit einem 50-Euro-Schein und der Aufforderung, doch bitte mit der Küche zu teilen.

      Geht's noch? Da wäre es problemloser gewesen, überhaupt kein Trinkgeld zu geben. Das hätte alle Beteiligten besser aussehen lassen.

      Die Wollust

      Hat Amor seinen Pfeil in die Hintern der Auserwählten versenkt und das Feuer der Liebe entfacht, so laufen die zwei Entflammten los, um jedermann mit ihrer Verbundenheit zu erfreuen. Alle Menschen haben jetzt unfreiwillig teilzunehmen an dieser Demonstration der Zuneigung. An Liebe ist an sich nichts verkehrt, solange man all die schönen Gefühle hinter den eigenen vier Wänden parkt.

      Zwei erwachsene Menschen, die sich gegenseitig füttern und miteinander in Babysprache kommunizieren, sind eher peinlich. Ob diese Pärchen ahnen, wie sehr sie ihr Umfeld mit dem ständigen Liebkosen belästigen? Eher nicht, die nehmen ihren Dunstkreis überhaupt nicht wahr. In Restaurants quetschen sie sich dicht gedrängt in winzige Nischen und bleiben dort aufeinander kleben bis die Putzfrau sie am nächsten Morgen trennt. Große Umsätze sind von den Liebenden nicht zu erwarten, denn lodernde Herzen kennen weder Hunger