Tamira bemerkte, dass ihr die Kriminalhauptkommissarin unangenehm zu werden begann. Es lag nicht an der Person der Kriminalhauptkommissarin, Tamira hegte einen grundsätzlichen Groll gegen maritime Motive. Als Kind war sie mit ihren Eltern im Urlaub an der Ostsee gewesen. An einem der Abende hatten ihre Eltern ihr erlaubt, am Strand zu bleiben, während sie sich für das Abendessen umzogen. Tamira war etwas später zu dem Restaurant gegangen, in dem sie gemeinsam essen wollten. Die Frau am Eingang hatte ihr aber den Zutritt verwehrt. Sie sagte, es wäre nicht möglich, das Restaurant in Badebekleidung zu betreten. Tamira trug ein Strandkleid, auf dem die Abbildungen lachender Seesterne zu sehen waren. Sie erklärte der Frau immer wieder, dass es sich nicht um Badebekleidung handelte. Es war ein Strandkleid und ihre Eltern warteten im Restaurant. Die Frau ließ sich nicht umstimmen. Tamira sah die weiße Bluse noch heute vor sich. Die Bluse hatte goldene Knöpfe. Den Knöpfen waren Anker und Wellenlinien eingeprägt.
»Ich gebe Ihnen meine Karte«, sagte die Kriminalhauptkommissarin und nahm eine Karte aus der Handtasche, die über ihrer Schulter hing. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt. Es wird in jedem Fall eine offizielle Vernehmung stattfinden.« Sie hielt Tamira die Karte hin. »Schließlich waren Sie dabei, als die Leiche gefunden wurde.«
Tamira betrachtete die Karte. Maia Hinckelsee, Kriminalhauptkommissarin stand darauf und Landeskriminalamt Berlin, Dezernat 11, dann folgten mehrere Telefonnummern. Tamira war erleichtert, keine maritimen Motive zu entdecken. Sie schaute erneut zu dem Knopf an der Jacke. Die Kriminalhauptkommissarin würde sich inzwischen fragen, aus welchem Grund sie immer wieder zu dem Jackenknopf schaute. Es musste ihr Misstrauen wecken, wenn sie zwanghaft auf den Knopf starrte. Tamira hob ihren Blick, der an Frau Hinckelsees seltsam verschnittenen Haaren hängen blieb.
»Ich saß gerade beim Frisör«, erklärte die Kriminalhauptkommissarin. »Der Anruf wegen der Leiche kam, bevor er die endgültige Form hineingebracht hatte.« Sie schüttelte den Kopf, als ob sie durch das Schütteln eine Verbesserung hätte erzielen können. »Das Problem ist, dass er meinen plötzlichen Aufbruch gar nicht gut verkraftet hat. Ich nehme an, ich werde nie wieder einen Termin bei Kahn Shahim bekommen.«
»Das tut mir leid«, beeilte sich Tamira zu versichern. Wenn sie nicht mit dem Kaffee in der Hand zum Steg gegangen wäre, hätte Frau Klingenberg möglicherweise ihr Foto gemacht, ohne die Leiche zu entdecken, und die Kriminalhauptkommissarin hätte nicht mit einem unvollendeten Haarschnitt durch die Stadt fahren müssen. »Weiß man eigentlich, wer der Tote ist?«, fragte sie, um das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu lenken.
»Der Mann hatte einen Ausweis in der Tasche.« Die Kriminalhauptkommissarin deutete zu dem Haus jenseits des Weges. »Er war der Galerist der Katze.«
Tamira erinnerte sich, Frau Bohrfeldt in einem Gespräch über eine malende Katze reden gehört zu haben. Es war ihr aber nicht bewusst gewesen, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser malenden Katze und dem Haus jenseits des Weges gab. Sie hatte einige Male eine weiße Katze auf dem Balkon des Hauses gesehen.
»Ich glaube, Sie waren gerade dabei aufzubrechen«, sagte die Kriminalhauptkommissarin. »Im Augenblick habe ich keine weiteren Fragen.«
»Ich muss zur Universität«, antwortete Tamira und versuchte, die Uhr am Handgelenk der Kriminalhauptkommissarin zu lesen.
»Was studieren Sie denn?«, wollte sie wissen, während sie ihr Handgelenk in eine Position brachte, die es Tamira erleichterte, die Zeiger zu erkennen.
»Es ist Neogräzistik, aber ich bin Dozentin.«
»Neogräzistik«, wiederholte die Kriminalhauptkommissarin, als würde sie überlegen, ob die Neogräzistik in einem ihrer früheren Mordfälle eine Rolle gespielt hatte. »Sie haben da eine schlimme Verletzung am Kopf.«
»Das kommt von einem herabfallenden Buch.« Sie war von einem herabfallenden Buch verletzt worden. Es entsprach der Wahrheit, musste aber merkwürdig klingen. »Die Katze hat das Buch vom Regal gestoßen«, fügte sie erklärend hinzu. Wie kam sie darauf, einer Katze die Schuld zu geben? Das machte es nicht besser, weil niemand glauben würde, dass ihr eine Katze die Kopfverletzung mit einem Buch beigebracht hatte. Kriminalhauptkommissarin Hinckelsee wandte sich dem Haus auf der anderen Seite des Weges zu. »Nicht die weiße Katze«, stellte Tamira richtig. »Es war einer von meinen Katern.«
Der Juniwind löste die Blüten des Bauernjasmins, der unter dem Balkon des Hauses auf der anderen Seite des Weges wuchs. Ein Blässhuhn am Ufer sang ein anhaltendes Krök. Die Kriminalhauptkommissarin ließ ihren Blick über Hecken, Wege und Balkone bis zum Wasser wandern. Tamira hatte eine Kopfverletzung und ihre DNS befand sich an der Bügelfalte der Hose des Toten. Nirgendwo war ein Kater in Sicht.
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