Ich nahm den Bus in die Innenstadt und überlegte, ob ich nicht auch meine Ernährung umstellen sollte, wenn ich schon mal dabei war. Bei mir gab es auffällig oft Pizza oder chinesisches Essen vom Lieferservice. Immer noch besser, als fetttriefende Fritten und Burger, versuchte ich mich stets vor mir selbst zu rechtfertigen.
»Mach mal halblang. Du solltest einen Schritt nach dem Anderen machen und nicht so einen Zirkus veranstalten, nur weil Du mal mies drauf bist, das geht uns doch allen so!«, meldete sich das allzeit grantige Teufelchen auf meiner linken Schulter zu Wort.
»Also mir nicht!«, antwortete sein hell gekleideter Gegenpart auf der Rechten gut gelaunt. »Körperertüchtigung und gesunde Ernährung sind der richtige Start für einen erfolgreichen Tag.«
Seufzend stieg ich aus und war fürs Erste geneigt, dem gehörnten Berater beizupflichten.
Am nächsten Morgen machte ich mich in brandneuer Sportbekleidung und leichtem Trab auf in den Stadtpark. Zigaretten und konsequente Sportvermeidung sorgten für eine schnelle Kurzatmigkeit, ich war jedoch fest entschlossen, diesen Zustand bald zu ändern. Nach ein paar Dehnübungen am Rande des Parks schlug ich die lange Strecke um den See ein. Ich fühlte mich ein wenig wie Amundsen oder Vasco da Gama. Heute würde ich meinen Seeweg durch den Park entdecken. Als ich den See halb umrundet hatte, bemerkte ich mehrere Polizisten mit Spürhunden, die in einer Kette das Gelände durchstreiften.
Etwas verunsichert lief ich weiter. In der Nähe von Ordnungskräften fühlte ich mich nie besonders wohl, auch wenn ich ein reines Gewissen hatte. Auf der anderen Seite war meine Neugier geweckt und ich wäre am Liebsten zu den Beamten hinübergelaufen, um mich zu erkundigen, was sie hier suchten. Schließlich bemühte ich mich dennoch um ein möglichst unverdächtiges Aussehen und setzte meinen Lauf fort.
Um einen Springbrunnen herum angeordnet, luden ein paar Parkbänke zum Verweilen ein. Auf einer bemerkte ich eine Zeitung, unter der ein paar Beine hervor ragten.
»Da ist Polizei!«, rief ich, wartete aber nicht weiter auf eine Reaktion. Warum ich den Penner warnte, wusste ich selber nicht genau. Wenn die Polizisten hierher kämen, wären Unannehmlichkeiten für ihn so gut wie sicher. Auf der anderen Seite konnte ich nicht sagen, ob der Kerl nicht vielleicht etwas damit zu tun hatte, was auch immer die Beamten hier suchten.
Eigentlich wollte ich mich länger im Park aufhalten, doch unter diesen Umständen war ich froh, als ich beim Bäcker meine Brötchen bekam und eine viertel Stunde später duschen konnte.
»Polizei« war das Einzige, das Dosen-Willy im Halbschlaf hörte. Frierend setzte er sich auf und sah den Jogger in Richtung des Eingangs zum Park verschwinden. Er rieb sich die Augen und sah sich verschlafen um, konnte jedoch keine Polizisten entdecken. Sie würden ihn zweifellos von hier verjagen, das taten sie immer. Niemand wollte einen Obdachlosen sehen. Davon gab es zwar genug in der Stadt und sie waren ausgegrenzt von der Gesellschaft. Jeder war sich dessen bewusst, was nicht hieß, dass man gern darüber nachdenken mochte. Willy faltete die Zeitung zusammen und griff sich seine Plastiktüte voller leerer Dosen und Flaschen, mit denen er sein Überleben sicherte und die ihm seinen Namen einbrachten. Er betrachtete es als gegenseitiges Abkommen mit den Menschen, zumindest sah er es so, um sich nicht völlig wertlos zu fühlen. Sie ließen ihm den Müll da, damit er was zu beißen hatte und er hielt die Stadt sauber. Im Sommer kam er auch relativ gut über die Runden. Es war heiß, die Leute tranken viel und es herrschte selten Mangel an Leergut. Die Nächte waren angenehm und er brauchte auch nicht so viel Nahrung. Doch jetzt begann die harte Zeit, bald wäre es zu kalt auf der Parkbank, dann müsste Dosen-Willy sich einen anderen Ort suchen, einen windgeschützten Hauseingang, von wo er viel öfter vertrieben wurde.
In der Ferne sah er die Beamten mit Hunden zwischen den Bäumen herumlaufen. Das sah nicht nach einer zufälligen Patrouille aus. Es war wohl besser, hier ein Loch in der Luft zu hinterlassen, wenn er es nicht auf ein Plauderstündchen mit ihnen abgesehen hatte. Willy dankte dem Jogger im Stillen für die Warnung und machte sich auf den Weg zum Supermarkt, um seine »Ware« gegen etwas Essbares einzutauschen.
Nach der Dusche und einem guten Frühstück konnte ich deutlich fühlen, wie die Inspiration zu mir zurückkehrte, leider nicht für mein aktuelles Projekt. Dennoch musste ich mir ein paar Notizen zu dieser neuen Idee machen. Es wäre schade, wenn so ein Musenkuss in Vergessenheit geriete. Der morgendliche Polizeieinsatz beflügelte mich zu einer Schlüsselszene, in der nach einem Mordopfer gesucht wurde. Ich stellte ein paar Szenen zusammen und entwarf Charaktere. Als sich mein Magen lautstark bemerkbar machte, war es bereits nach Mittag. Für ein paar Sekunden war ich versucht, zum Handy zu greifen.
»Nein, nein!«, schüttelte ich lächelnd den Kopf. »Lass uns mal selber etwas kochen. Einkaufen ist angesagt.«
Ich schob die Einwände meiner inneren Stimme beiseite, jetzt doch nicht einfach die Muse sitzen zu lassen, wo es gerade so gut lief, und fuhr mit dem Fahrrad zum Supermarkt. Dem schneeweißen Blumenkohl konnte ich nicht widerstehen. Dazu nahm ich Hähnchenschnitzel und Nudeln mit. Der Schwierigkeitsgrad der Zubereitung lag in einem Bereich, den ich mir noch zutraute. Lieber klein anfangen. Eine Flasche Rotwein fürs abendliche Brainstorming ergänzte die Einkäufe, schon war ich wieder auf dem Rückweg. Eine Sirene wurde schnell lauter und ließ mich am Straßenrand anhalten. Drei Polizeiwagen rasten vorbei und verschwanden hinter der nächsten Biegung. Was um alles in der Welt war denn hier los?
Sehr viel hatte ich nach meiner Kocherei gestern wirklich nicht mehr geschafft, doch es fühlte sich einfach gut an. Bis auf den Muskelkater, aber ich war nicht gewillt schon aufzugeben. Nach meiner Runde um den See folgte ich einer inneren Eingebung und schlug, statt nach Hause zu gehen, den Weg durch die Allee ein. Kurze Zeit später stand ich vor der Villa. Von dieser Seite sah sie nicht besser aus, als vom Park, doch irgendwie ging sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Schüchtern öffnete ich nach einer Weile das Gartentor und ging auf die Haustür zu. Das Haus sah verlassen aus, doch ich wollte mir sicher sein und zog an einem Klingelzug. Helle Glocken erklangen aus dem Inneren, sonst passierte nichts. Ich wartete eine Minute und versuchte es erneut. Mit demselben Ergebnis. Als ich mich zum Gehen umwandte, bemerkte ich ein Schild, das an der Seite in einem Blumenbeet steckte. »Zu Verkaufen« stand darauf, sowie eine 15-stellige Telefonnummer.
Nach einer Mobilfunk-Nummer sah das nicht aus, vielleicht Ausland? Ehe ich mir über mein Tun im Klaren war, hatte ich mein Handy aus der Tasche gezogen und war dabei, die Zahlenfolge einzugeben.
»Das kannst Du Dir niemals leisten«, empörte sich der Engel auf meiner Schulter.
Jemand hob ab und neben dem Rauschen und Knacken der Leitung ertönte eine dünne, greisenhafte Stimme leise: »Ja?«
»Guten Tag. Mein Name ist Illmann und ich stehe hier vor dem Haus in der ...«, ich suchte nach einem Straßenschild in der Nähe.
»Sind Sie daran interessiert, es zu kaufen?«, unterbrach mich die Stimme.
»Nun, ich bezweifle, dass ich es mir leisten kann. Aber ich dachte, ich erkundige mich einfach mal.«
»Hören Sie. Ich bin schon alt und habe keine Erben, außerdem ist einiges an dem Haus zu machen.« Der Greis machte eine Pause und nannte mir dann eine Zahl, die zwar fünfstellig war, aber in meinen Augen dennoch lächerlich gering. Mir wurde schwindelig. Diese Summe könnte ich tatsächlich aufbringen.
»Oh ... ich ... kann ich es mir überlegen? Eine Nacht drüber schlafen? Kann ich mir das Haus ansehen? Von innen, meine ich?«
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Ich wohne schon lange in Costa Rica, Altersruhesitz. Lassen Sie sich mein Angebot in Ruhe durch den Kopf gehen. Das Grundstück allein wäre den Betrag wert. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich veranlassen die Besitzurkunde zu überschreiben, sobald das Geld auf meinem Konto eingegangen ist.«
Ich versprach, mir das Angebot durch den Kopf gehen zu