In diesem Punkt ging es ihm nicht anders als Don Remigio und mir, wenn auch die Gründe andere waren.
Als er seine Sinne noch einigermaßen beisammen hatte, fragte mich Álvaro, ob er gegen entsprechendes Entgelt meine Gastfreundschaft auf absehbare Zeit noch weiter in Anspruch nehmen dürfte, bis er seine Angelegenheiten einem Abschluß entgegengeführt hätte. Lachend sagte ich sofort zu, eigentlich froh darüber, in meinem neuen Domizil, zumindest in der Anfangszeit, nicht alleine wohnen zu müssen. Auf einen Mietzins verzichtete ich. Über soviel Großzügigkeit kamen dem Chauffeur die Tränen und er versprach mir, mich mit seinem Automobil überall dorthin zu transportieren, wohin die Notwendigkeit es verlangte oder mein Wunsch mich hinbestellen würden. Ich solle es ihm bei Bedarf nur mitteilen, er halte sich jederzeit bereit. Dann wandte er sich wieder seinem Weinglas zu, denn Bienvenida hatte in der Küche zu tun, zu der ihm Pablo den Zutritt mit Nachdruck untersagt hatte.
Während der Chauffeur weiterhin seine Hormone betäubte, verabschiedete ich mich von Don Remigio und dieser von mir in die Nachtruhe.
Am Vormittag des nächsten Tags trafen wir uns in der Kanzlei Don Jaramagos, dem advocat der Stadt, bei dem Dona Maria ihre letzten Verfügungen hinterlegt hatte. Der las sie uns ohne weitere Verzögerung vor, ich unterschrieb die notwendigen Papiere und war nun rechtsgültiger Besitzer all dessen, was vorher Eigentum von Xavier Marrasca und seiner Frau Maria gewesen war. Nachdem ich mich zudem schriftlich verpflichtete, mindestens sechs Monate des Jahres im Winter das Haus in Artà zu bewohnen, erhielt ich aus den Händen des advocat die erste der in dem Schreiben von Don Xavier avisierten vierteljährigen Geldanweisungen über 30.000 Peseten, zu ziehen auf die Caixa de Balears, eine Summe von umgerechnet etwa 10.000 Reichsmark, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht auszumalen gewagt hätte. Das bedeutete, ich hatte im Monat allein aus der Erbschaft mehr als 3.000 Reichsmark zur Verfügung. Zusammen mit meinen eigenen pekuniären Mitteln, die allerdings an diese Summe bei Weitem nicht heranreichten, war ich über Nacht ein wohlhabender Mann geworden, zumal die Kosten für die Lebenshaltung hier auf der Insel wesentlich geringer waren als in meiner deutschen Heimat.
Die anderen Bedingungen, die ich zu akzeptieren hatte, um das Erbe antreten zu können, waren Nebensächlichkeiten, die mich nicht weiter berührten, wie das Untersagen aller baulicher Veränderungen, die für den Erhalt des Hauses nicht unbedingt notwendig waren und die Verfügung, daß ich Immobilie und Mobilie weder verpachten noch veräußern, sondern lediglich meinen Nachkommen vererben durfte. Sollte ich, genau wie die beiden Marrascas, keine Nachkommen haben, war ich verpflichtet, einen geeigneten Erben zu finden, der die Hinterlassenschaft im Sinne des ersten Besitzers weiterführte, anderenfalls es der Kirche zugeschlagen wurde. Zwar konnte ich mir allenfalls verschwommen vorstellen, was es heißt, die Hinterlassenschaft im Sinne des ersten Besitzers weiterzuführen, aber das besorgte mich in diesem Moment auch nicht sonderlich.
Nach Rücksprache mit dem Wirt Pablo, verpflichtete ich seine Frau Consuela gegen ein angemessenes Entgelt, das Haus zweimal wöchentlich gründlich zu reinigen. Ihre Schwägerin Bienvenida stellte ich zu ähnlichen Bedingungen zur Pflege des Gartens ein.
Dann betrat ich das Haus erstmals als sein in alle Rechte und Pflichten eingesetzter Besitzer. Mein Haus.
Es hatte insgesamt vier Wohnebenen von denen zuunterst ein Verschlag, kein eigentlicher Keller, mehr ein flacher Unterstand von etwa eineinhalb Metern Höhe, in den felsigen Boden gehauen war. An den Wänden waren Regale befestigt, in denen neben konserviertem Gemüse in großen Gläsern auch ansehnliche Weinvorräte und allerlei Haus-, Küchen- und Gartengerät lagerte. Obwohl es hier angenehm kühl war, hielt ich mich in diesem Unterstand nur so lange wie nötig auf, etwa um eine Flasche Wein oder ein Glas Eingemachtes zu holen, denn ich mußte immer halb gebückt mit eingezogenem Kopf dort drinnen stehen, was ich als äußerst beschwerlich empfand. Zudem stieß ich mir trotz aller Vorsicht ständig den Kopf an den harten Lehmkanten der Decke. Im Erdgeschoß befand sich die Küche und direkt in diese übergehend ein großes Zimmer, das den Marrascas als Wohn- und Eßzimmer gedient haben mochte.
Hinter der Küche, vom schmalen Flur begehbar, gleich neben der Tür zum Vorratsunterstand, befand sich ein Abort, dem sich eine Art Badestube mit einem zinkenen Zuber und Wasserreservoir samt Kohleofen anschloß.
Eine schmale Treppe führte ins erste Stockwerk, in dem sich insgesamt drei Zimmer befanden. Das ehemalige der Dona Maria, in dem nun der Chauffeur Álvaro seinen liebeskummerbedingten Rausch ausschlief, und jenes, das Don Xavier als Arbeitszimmer genutzt hatte, welches ich nun bewohnte. Beide Räume waren in etwa gleich groß und zeigten, nebeneinander liegend und mit jeweils zwei Fenstern versehen, zur Straße hinaus. Über den Treppenabsatz war das dritte Zimmer erreichbar, das sowohl begehbarer Kleiderschrank als auch An- und Umkleidezimmer gewesen sein mochte, denn an die Wände waren Schränke eingepaßt, die eine beträchtliche Anzahl von Kleidungsstücken, für Mann und Frau getrennt, enthielten, gleichwohl deren Zuschnitt auf ein älteres Entstehungsdatum schließen ließ und keinesfalls den derzeit aktuellen modischen Gepflogenheiten entsprach.
In Fortsetzung der schon erwähnten Treppe gelangte man in die über der ersten liegende Etage, deren drei Zimmer eine fast gleiche Größe aufwiesen. Zwei davon waren offensichtlich als Gästezimmer gedacht gewesen, denn sie enthielten neben Tisch und Stuhl auch jeweils Bett und Schrank. Der dritte Raum aber beherbergte eine recht umfangreiche Bibliothek, in die ich mich sofort verliebte und die zu erforschen ich mir als vordringlich vermerkte. Neben den Buchregalen, die jede freie Wandfläche, sogar den Platz über der Zimmertür, bedeckten, gab es einen ledernen Sessel, der bequem und behaglich daher kam und seitlich davor ein gediegenes Rauchertischchen, gerade groß genug, ein Glas Wein und den Aschenbecher für eine gute Zigarre darauf abzustellen.
Über einen weiteren Treppenabschnitt gelangte man dann auf die Dachterrasse, die mit einer hüfthohen Brüstung versehen war. Ringsum hatte Dona Maria tönerne Schalen und Amphoren unterschiedlicher Größe aufgestellt, die mit prachtvollen Exemplaren der heimisch mediterranen Flora bepflanzt waren. Eine erdbraune Steinbank und ein ebensolcher Tisch luden zum Verweilen. Gleichzeitig schützten die Pflanzen vor den Blicken allzu neugieriger Nachbarn, gaben aber dennoch genügend freie Sicht auf die Dächer der Stadt, Don Remigios nahe Kirche Transformaciò del Senyor und dem etwas höher gelegenen Santuari. Eine Therme fing das Regenwasser auf und leitete es bei Bedarf in die Badestube im Erdgeschoß.
Als ich die Dachfläche betrat, wußte ich sofort, noch bevor ich zum ersten Mal auf der steinernen Bank gesessen hatte, daß sie, neben der Bibliothek ein Stockwerk tiefer, mein bevorzugter Aufenthaltsort im Haus, beziehungsweise außerhalb desselben sein würde.
Allmählich fand ich wieder in meinen alten Trott, die neu getroffenen Arrangements mit Consuela und Bienvenida spielten sich nach den üblichen Anfangsschwierigkeiten im Lauf der Zeit ein.
Vormittags begab ich mich auf Erkundungstour in die nahe Umgebung, ohne allerdings planvoll und mit einem bestimmten Ziel vorzugehen. Ich ließ mich einfach treiben und träumte vor mich hin. Mittags, wenn die Hitze am Größten war, trank ich in der Bar El Ultim meinen Kaffee, um anschließend in meinem kühlen Heim ein erfrischendes Schläfchen zu halten. Nachmittags begab ich mich auf die schattige Dachterrasse, trank kalten rosado und schmökerte in einem Buch aus der Bibliothek. Abends schließlich traf ich mich mit Don Remigio zum Nachtessen im El Ultim und abwechselnd leisteten uns auch Don Basilio, der advocat, der alcalde oder der metge Gesellschaft.
Es waren, je nach dem, besinnliche oder feucht fröhliche Abende, die sich oft bis in die frühen Morgenstunden hinzogen und nicht selten kam es vor, daß Don Remigio oder auch Don Basilio in meinen Gästezimmern nächtigten, weil ihnen in ihrem Zustand der Heimweg hügelaufwärts mit den steilen Treppenstufen zu mühselig erschien. Eine vernünftige Einschätzung, die sicherlich zutraf und in ihrer Weisheit dazu beitrug, Verletzungen von Körper, Geist und Ansehen der beiden Geistlichen auf ein Minimum zu reduzieren.
Eines Tages, mir stand der Sinn nach einem kleinen Ausflug