Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847676546
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       p.s. Ehe ich es im Überschwang der Gefühle vergesse: Sie werden sich neben vielen anderen natürlich auch die Frage stellen: Warum gerade ich, ein Alemany, warum kein Mallorquiner, warum nicht zumindest ein Spanier vom Festland?

       Nun, das, mein Freund war eine Frage der Abwägung. Wie ich schon andeutete, spielen für mich weder die Nationalität noch die Herkunft des Menschen eine Rolle, entscheidend sind andere Kriterien und Voraussetzungen. Ich will es Ihnen nicht zu einfach machen, denn für einen intelligenten Menschen wird alles Einfache schnell langweilig. Nichts aber geschieht ohne Grund, auch der Zufall nicht.

       Also kommen Sie selbst drauf, Sie werden es lösen, das vermeintlich Geheimnisvolle, auch wenn es Ihnen im Augenblick, verständlicherweise, noch als Wirrnis erscheinen muß.

       X.M.

       p.p.s. Wie ich sicherlich zu recht vermute, sitzen Sie in meinem Ohrensessel, während Sie dieses Schreiben lesen. Sie müssen wissen, daß das Zimmer, das Ihnen Dona Maria vermietete, einst das meine gewesen ist. Ich nutzte es vornehmlich zum Nachdenken und habe viele ertragreiche Stunden in ihm verbracht, aber Sie werden das Besondere des Raumes schon noch bemerken. Es würde mich freuen, wenn auch Sie das Zimmer zu dem Ihren bestimmen würden, so daß sozusagen die Tradition gewahrt bleibt. Falls Sie, Ihren Zeiten angepaßt, beim Interieur entsprechende Veränderungen vornehmen, erteile ich Ihnen hierdurch, im Vorgriff quasi, die Absolution. Nur eine Bitte darf ich in aller Bescheidenheit an Sie richten, halten Sie den Sessel in Ehren, er hat schon meinem Schwiegervater und dessen Vater als Stätte der Ruhe und des Nachdenkens gedient. Ich bin davon überzeugt, er wird auch Ihnen gute Dienste leisten. So, dies nun war mein letztes Anliegen, und wenn es auch schwer fällt Abschied zu nehmen, beende ich hiermit meine Zeilen.

       X.M.

      zwei / dues

      Nachdem ich das Schreiben des Senyor Marrasca ein zweites und schließlich ein drittes Mal gelesen hatte, war die Kerze heruntergebrannt. Mit einem kaum hörbaren Zischen ging das Licht am Docht aus, dessen Ende nur noch wenig glimmte bis es ebenso erlosch.

      Im Halbdunkel saß ich da, hatte die Augen geschlossen und versuchte, das soeben mehrmals Gelesene zu verarbeiten, zu deuten, zu verstehen. Wenn ich alle Mutmaßungen und Spekulationen einmal außer Acht ließ, blieben eigentlich nur drei Gegebenheiten übrig, die auf mich als Adressaten des Schreibens hinwiesen.

      Zum einen war da die Anrede mit meinem Vornamen Diego. Auch wenn es sich um die spanische Variante handelte, Jakob bleibt Jakob, egal in welcher Sprache. Andererseits war Diego ein sehr geläufiger Namen und die Übereinstimmung konnte durchaus Zufall sein.

      Schwerer wog schon Don Xaviers Hinweis auf meine deutsche Herkunft. Aber sicherlich war ich nicht der einzige Deutsche, der Jakob hieß und jemals in Artà gewesen war. Obwohl ich an diesem Punkt schon nicht mehr so recht überzeugt von meiner eigenen Argumentation war.

      Der dritte Punkt betraf den Hinweis auf die Vermietung des Zimmers an mich. Das Zimmer hatte mir Dona Maria vor sieben Jahren vermietet. Da war ihr Mann schon 25 Jahre tot. Den Brief konnte er logischerweise nur vor seinem Tod geschrieben haben. Wie aber sollte er damals schon von der Vermietung des Zimmers gewußt haben?

      Zwar konnte es sich auch hier um eine Zufälligkeit, um verschlungene Fügungen handeln, aber wenn ich alle drei Hinweise zusammen betrachtete, war es mir doch zu gewagt, sie als Zufall zu deuten.

      Ich konnte die Angelegenheit drehen und wenden wie ich wollte, es blieb dabei, ich selbst war derjenige, den Senyor Marrasca angeschrieben, dem Senyora Marrasca das Zimmer Ihres espos vermietet hatte, dem beide ihr Haus und eine als „ausreichend bemessen“ deklarierte Summe Geldes hinterlassen hatten. Über die Identität des von den beiden Gemeinten gab es nicht den geringsten Zweifel. Ich war gemeint, kein anderer.

      Diese Erkenntnis, die als eine unumstößliche anzunehmen ich mich gezwungen sah, löste bei mir Unsicherheit und Zweifel aus. Statt mich meines Erbes zu erfreuen, stürzte ich von einem auf den anderen Moment in Verzweiflung und Depression. In einer ersten Reaktion wollte ich meine wenigen Sachen, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte, für die sofortige Abreise packen. Der Chauffeur mußte noch in der Stadt sein, ich hatte sein Automobil auf der Placa d’ Espanya gesehen, er konnte mich ohne Verzögerung zurück nach Palma bringen, wo es sicher nicht schwierig war, eine Passage nach Barcelona zu buchen. Ich riß den Koffer aus dem Schrank und warf wahllos Hemden, Hosen und Unterzeug hinein. Nach Minuten hektischer Aktivität hielt ich dann doch inne. Mir wurde klar, daß ich vor den Gegebenheiten nicht davonlaufen konnte. Ob ich nun hier in Artà war oder im fernen Berlin, änderte nichts an den Tatsachen und der, zugegeben, unheimlichen Gewißheit, die ich nach der Lektüre von Don Xaviers Schreiben erlangte. Zurück nach Berlin zu gehen wäre nichts anderes als eine Flucht vor diesen Tatsachen, sie würden mich dorthin verfolgen und letztendlich auch einholen. Ein normales, unbeschwertes Leben war dann nicht mehr möglich.

      Der einzige Weg, der mir blieb, war, mich der Herausforderung zu stellen und durch ihre Bewältigung der ganzen rätselhaften Angelegenheit auf den Grund zu gehen, vielleicht sogar eine Lösung zu finden.

      Als ich mir darüber klar war, fiel die Schwere von mir ab, die mich bedrückt hatte, ich schöpfte wieder Hoffnung und Zuversicht. Mit Don Remigio hatte ich einen Verbündeten, der mir überdies von Senyor Marrasca selbst vorgeschlagen worden war. Wenn ich nicht mehr weiter wußte, würde er mir helfen.

      Es war klar, mein Platz war nicht auf der Flucht im fernen Berlin, sondern hier offensiv vor Ort in Artà.

      Wie sich noch am Abend herausstellte, wäre eine sofortige Abreise sowieso nicht möglich gewesen. Zwar war das Automobil samt seines fahrkundigen Lenkers noch in der Stadt, allerdings machte dieser zum Zeitpunkt meiner Erwägungen in der Bar El Ultim sehr zum Mißfallen des Wirtes Pablo, dessen Schwester eher mehr denn weniger aufdringlich den Hof und befand sich in einem derart trunkenen Zustand, der ihn zum Fahren nicht mehr befähigte. Eben die Schwester Pablos übrigens war der Grund seines mehrwöchigen Aufenthalts in Artà, der arme Mann hatte sich hoffnungslos verliebt und kämpfte mit allerlei Mitteln um sein Lebensglück.

      Mir aber war diese Gegebenheit Bestätigung genug, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben, zeigte er doch, daß sich das Schicksal doppelt abgesichert hatte. Don Remigio, dem ich am späten Abend noch davon berichtete, beurteilte den Begleitumstand ähnlich, nur nannte er Fügung, was ich Schicksal titulierte.

      Abends, etwa zur neunten Stunde, betrat ich die Bar El Ultimo. Der pare saß bereits an seinem angestammten Platz, vor sich eine Schale mit Oliven und eine Karaffe Rotwein. Er wartete offenbar ungeduldig auf mein Erscheinen und machte einen angespannten Eindruck. Als ich mich ihm gegenüber an den Tisch setzte, schaute er mich fragenden Blickes an. Natürlich ahnte ich, daß er meine Entscheidung erwartete, aus Gründen der Höflichkeit aber nicht gleich danach fragen wollte. Ich spannte ihn nicht lange auf die Folter und sagte nur:

      „Sein Sie unbesorgt, ich bleibe.“

      Don Remigio nickte und ich vermeinte, unter seinem dichten Bartwuchs ein Lächeln zu erkennen.

      Diesen Abend verbrachten wir im Wissen um die momentan nicht zu klärende Wirrnis, die uns miteinander verband. Wir sparten das Thema aus, verloren uns in Beiläufigkeiten, tauschten höfliche Floskeln und genossen in erster Linie das Essen, das uns Consuela auftischte und mit diesem natürlich den roten Wein.

      Álvaro, der Fahrer, der mich in seinem Automobil hergebracht hatte, saß an einem der kleinen Tische und ersäufte seine Liebeskrankheit mittels einiger botellas Wein. Zwar war es keineswegs ausgemacht, daß Bienvenida, die Schwester des Wirts, seiner Werbung ablehnend gegenüberstand, einige Anzeichen deuteten eher auf das Gegenteil hin. Nur war sie so geschickt oder raffiniert, wie man es auch immer deuten wollte, den guten Álvaro über ihre eigenen Absichten im Unklaren zu halten. Einerseits machte sie ihm Hoffnungen, dann wieder wies sie ihn mit einer schroffen Bemerkung in die Schranken. Dieses Verhalten wiederum brachte ihren Bruder Pablo auf die Palme, denn der war sehr harmoniebedürftig