Und hier kommt auch eine dieser kleinen Unrichtigkeiten zutage, mit denen der Rabe kokettierte und ab und an eine Kurve begradigen wollte. In seinem Brief an Sie, Don Diego, schreibt er sinngemäß vom Haus seiner Väter. Er hat aber erst in die Familie Campillo, der das Haus seit etlichen Generationen gehörte, hineingeheiratet. Ich habe das überprüft, es kann also nicht das Haus seiner, Don Xaviers, Väter gewesen sein.
Aber das sollte uns in der Betrachtung und Beurteilung seiner Person nicht weiter beeinträchtigen. Derlei Dinge sind bei uns an der Tagesordnung, damit nimmt es unser Menschenschlag hier nicht so ganz genau. Eine Weile regt man sich auf, dann ist alles vergessen und man akzeptiert das Gewünschte. Es schadet ja auch niemandem. Ja, das Ehepaar Marrasca lebte in Wohlstand zufrieden vor sich hin, nahm an den gesellschaftlichen Ereignissen unseres kleinen Städtchens teil, richtete sogar draußen vor der Stadt alljährlich eine große festa aus, und war überall wohlgelitten. Besonders Don Xavier schätzte man ob seiner Besonnenheit und seiner Klugheit. Deshalb in erster Linie auch sein Beiname der Rabe, den man ihm verliehen hatte, die ständige schwarze Kleidung und der gelbe Strohhut waren nur eine passende Beigabe.
Natürlich gab es, wie überall auf der Welt, auch hier Neider und böse Zungen. Aber das waren unbedeutende Randerscheinungen, die keiner ernst nahm. So ist es doch immer, wenn Eifersucht und Neid sich paaren, Sie kennen das sicher, Don Diego.
Ja und dann kam das unglückselige Jahr, in dem der Rabe starb. Die Tatsachen sind ja bekannt, er fuhr, wie er es häufig tat, mit seinem Boot von Canyamel aus hinaus aufs Meer, ein Sturm kam überraschend auf und Dan Xavier ertrank jämmerlich. Am nächsten Tag fanden Fischer Teile seines zerschmetterten Bootes am Strand. Zwar wurde seine Leiche nie irgendwo angeschwemmt, aber das hat nicht viel zu sagen, dafür kann es hunderte Erklärungen geben.
Im Ort meinten einige, mit den Geschäften des Raben sei es nicht mehr so gut gelaufen und er habe deshalb Hand an sich selbst gelegt.
Ich halte das für eine gewagte, nicht zutreffende Vermutung. Nichts, aber auch gar nichts wies darauf hin, daß es ihm schlecht ging. Kurz zuvor hatte er mit seiner Gattin noch eine längere Reise nach Barcelona unternommen. Ganze zwei Monate blieben sie auf dem Festland und schienen sich ausgiebig amüsiert zu haben. Dona Maria schwärmte noch Jahre danach von dieser Reise. Und kurz nach ihrer Rückkehr nach Artà geschah dann das Unglück. Nein, ich bin mir sicher, Don Xavier hat keinen Selbstmord begangen. Dazu war er einfach nicht der Typ. Und womit er sein Leben bestritt, wußte ja keiner. Niemand kannte seine Geschäfte.
Außerdem, so schlecht kann es ihm offensichtlich nicht gegangen sein, auch nach seinem Ableben hat Dona Maria die Zuwendungen an die Kirche, die Stadt und die Armen der Gemeinde fortgeführt und zwar über ihren eigenen Tod hinaus, entsprechende Verfügung über großzügige Schenkungen waren in jenem Teil des Testaments, das Sie nicht betraf. Lediglich die alljährlichen festas vor der Stadt hat sie nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr veranstaltet. Aber das erscheint mir durchaus verständlich, obwohl ich glaube, sie tat das mehr aus Rücksicht auf das Gerede der Leute, denn aus Pietät ihrem espos gegenüber.
Überdies, bitte nehmen Sie mir den kommenden Satz nicht übel, Don Diego, aber Sie selbst partizipieren, nach allem, was man hört, auch nicht schlecht von der Hinterlassenschaft Don Xaviers.
Nein, ich bleibe dabei, sein Tod war ein bedauerliches Unglück, so wie es leider täglich auf der ganzen Welt vorkommt. Man sollte keine verschwörerischen Theorien darum spinnen.
Was bleibt, sind das schöne Haus in der schönsten Stadt Mallorcas“, Don Basilio lachte vergnügt auf, „und natürlich das Geheimnis um den Reichtum des Raben. Aber ich habe von jeher die Meinung vertreten, der Mensch muß nicht alles und jedes ergründen. Nehmen Sie es so hin, wie es ist. Solange sich keine Verdachtsmomente auftun, die auf irgendwelche Unrechtmäßigkeiten hinweisen.
Und selbst dann, nennen Sie mir ein Vermögen, das auf rechtmäßige Art und Weise erworben wurde. Das eine schließt das andere aus. Genauso radikal übrigens, wie der berühmte Herr Teufel angeblich das Weihwasser meidet. Es mag Sie vielleicht erstaunen, diesen Satz aus dem Munde eines capellà zu hören, aber Sie kennen ja meine unkonventionelle Einstellung bestimmten Dingen gegenüber. Hab ich recht, Remigio?“
Damit beendete Don Basilio seine Rede, nahm einen großen Schluck Wein, wischte sich mit dem Ärmel über den Mund (es mußte sich um eine unter den Geistlichen der Insel verbreitete Unsitte handeln) und lächelte zufrieden in unsere kleine Runde.
Don Remigio nickte versonnen.
„Zeigen Sie doch dem Kollegen die beiden Fotografien, über denen wir den gestrigen Abend verbracht haben. Vielleicht weiß er, um welches Café es sich handeln könnte“, wandte er sich an mich.
Da ich sowieso neuen Wein holen mußte, stieg ich ins Haus hinab und holte auch gleich die Bilder. Don Basilio besah sie sich lange, schüttelte dann aber den Kopf.
„Ich würde mich dazu hinreißen lassen, die Behauptung aufzustellen, es handelt sich um ein spanisches Café. Ein Gefühl, mehr nicht. Ob es aber hier auf Mallorca oder auf dem Festland liegt, vermag ich beim besten Willen nicht zu sagen. Ist das wichtig? Aber weil wir nun einmal dabei sind, wer ist der Herr im Hintergrund, der so aussieht wie Sie, Don Diego?“
„Nun, ich vermute einmal, es handelt sich bei dem großen Unbekannten um meinen Großvater. Verschiedene Anhaltspunkte weisen darauf hin. Und an dieser Stelle setzt auch mein Interesse an der ganzen Sache ein. In welcher Verbindung stand mein Großvater zu den Marrascas? Alle drei Personen auf den Bildern sind tot, ich kann keinen von ihnen mehr befragen. Natürlich kann alles nur ein blöder Zufall sein, aber wenn ich das Schreiben Don Xaviers an mich und mein Erbe bedenke, glaube ich einfach nicht an eine Laune des Schicksals. Ich bin davon überzeugt, sobald ich hinter diesen Zusammenhang komme, lüfte ich auch das Geheimnis meines Erbes. Vielleicht sogar noch weitere Dinge, von denen wir jetzt noch nichts wissen.
Sie sagten gerade, Don Basilio, der Rabe hätte vor seinem Tod zwei Monate zusammen mit seiner Frau in Barcelona verbracht. Auch mein Großvater war zu dem fraglichen Zeitpunkt zumindest in Spanien, warum also nicht in Barcelona? Können Sie sich vorstellen, daß diese Aufnahmen dort in Barcelona entstanden sind?“
„Natürlich kann ich das. Sie können sehr gut in Barcelona entstanden sein, allerdings, das muß ich der Vollständigkeit halber hinzufügen, ebenso gut in Valencia, Sevilla, Madrid, Salamanca oder in jeder anderen Ansiedlung, in der es ein Straßencafé gibt. Wissen Sie, wie viele Etablissements dieser Art es in unserem geliebten Heimatland gibt? Wir Spanier sind besessen davon, ein Leben ohne die Straße ist für uns nicht denkbar. Der Rabe ist viel gereist, manchmal hat er seine Frau mitgenommen. Da die Fotos nicht datiert sind, können wir sie leider nicht zuordnen.“
Das mußte ich einsehen und tröstete mich mit dem Antwortschreiben meiner Mutter, das ich in einigen Wochen in den Händen zu halten hoffte.
Sodann erzählte ich den beiden capellàs von meinem Vorhaben, die Haushaltskladde genauestens auf etwaige Besonderheiten und Hinweise zu untersuchen. Sowohl Don Remigio als auch Don Basilio bestärkten mich darin, verwiesen allerdings ehrlicherweise auch auf die ungeheure Arbeit, die dies für mich bedeutete. Andererseits stimmten sie mir zu, daß die Kladde der einzige Angriffspunkt wäre, der mir derzeit zur Verfügung stand. Bis das Antwortschreiben meiner Mutter eingetroffen war, konnte ich ohnehin nichts anderes unternehmen. Es sei denn, zwischenzeitlich passierte etwas Unvorhergesehenes.
Mittlerweile war die Zeit gekommen, in der wir gewöhnlich das Nachtessen einnahmen. Also tranken wir die Neigen unserer Weingläser und begaben uns dann in die Bar El Ultim, in der Consuela schon unseren angestammten Tisch entsprechend eingedeckt hatte.
Zum Zeichen der Dankbarkeit, daß beide pares sich meiner Probleme mit so viel Engagement annahmen, erbot ich mich, sie zu diesem Essen einzuladen, was sie erfreut akzeptierten. Es war die Geste, die sie zu schätzen wußten und nicht der finanzielle Vorteil, den beide nicht nötig hatten, denn sowohl Don Remigio als auch Don Basilio waren von Hause