Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847676546
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von rundlicher Gestalt, jedoch hochgewachsen, insgesamt eine stattliche Erscheinung, der man eine Vorliebe für gutes und vor allen Dingen reichliches Essen und Trinken durchaus ansah. Don Basilio war Festlandspanier, seit dem Priesterseminar aber hier auf der Insel tätig und vertrat die mallorquinischen Interessen vehementer und militanter als so mancher Eingeborene es tat. Wie er mir einmal erzählte, war er keineswegs freiwillig zu seinem geistlichen Beruf gekommen, sondern durch einen Entschluß seines Vaters, dem patro der Familie, der noch der alten Tradition anhing, einen seiner Söhne der Kirche zu schenken. Don Basilio fügte sich seinem Schicksal und wurde pare, nicht aus Glaube und Überzeugung, sondern aus rein materiellen Überlegungen, denn hätte er sich dem Willen des Vaters nicht gebeugt, wäre er enterbt worden und damit so arm wie die Mäuse, die sich im Holzgestühl seiner Kirche herumtrieben.

      Also dachte er nach und sagte sich schließlich, kein Gebot kann so streng überwacht werden, daß es nicht umgangen werden kann und tat das, was er wollte, jedenfalls in gewissen, durchaus sehr großzügig definierten Grenzen. Mit dieser Einstellung kam er der seines Kollegen Don Remigio sehr nahe und das war auch mit ein Grund, warum sich beide so ausnehmend gut verstanden. Dieses Einvernehmen ging so weit, daß sie sich in gewissen Abständen abwechselnd eine mehrtätige Auszeit nahmen und jeder für sich verschwand, wer weiß, wohin, während der andere ihn in seiner Pfarrei vertrat. Kam der eine frisch erholt zurück, fuhr der andere ins Unbekannte. Keiner im Ort außer den beiden wußte, wo sie sich in dieser Zeit aufhielten und was sie taten. Anfangs zerrissen sich die Leute die Mäuler darüber, da man aber weder dem einen noch dem anderen irgend etwas Unrechtes nachsagen konnte, nahmen sie es schließlich als gegeben hin und interessierten sich nicht weiter dafür. Eines Morgens war der eine weg, eines anderen Morgens wieder da. Und kurze Zeit später verschwand der andere in ähnlicher Manier.

      Ebenso wie sein Kollege Remigio war Don Basilio, sieht man einmal von seiner professió ab, ein über alle Maßen angenehmer Zeitgenosse, der nicht nur wußte, in welche Richtung die Erde sich drehte, sondern der sich, wenn es darauf ankam, auch gegen den Wind stemmte, der ihm hin und wieder ins Gesicht blies. Darüber hinaus war er nicht nur über den allgemeinen Durchschnitt gebildet, sondern auch so klug, dies nicht jeden anderen gleich fühlen zu lassen.

      Nachdem er sich zu uns auf die Dachterrasse durchgekämpft hatte, belohnte er diese Anstrengung seines Körpers erst einmal mit einem sehenswerten Schluck Wein, bekundete lautstark sein Wohlbehagen und fragte dann, wie er uns helfen könne.

      Don Remigio erzählte ihm in großen Zügen von meinem Erbe und den Begleitumständen, die damit verbunden waren oder sich aus der Hinterlassenschaft ergeben hatten und bat ihn dann um Auskunft über die Person Xavier Marrasca, den man den Raben nannte.

      Don Basilio nickte, erklärte sich selbstverständlich bereit, mich mit seinem Wissen zu unterstützen und fragte, ob er vielleicht das Schreiben Don Xaviers an mich lesen könnte, bevor er selbst über den Raben berichten würde.

      Natürlich konnte er, ich holte das Schreiben und Don Basilio vertiefte sich darin, schmunzelte ab und zu und schüttelte an einer Stelle leicht seinen Kopf. Dann gab er mir die Papiere zurück, nahm einen weiteren Schluck Wein und sprach:

      „Eins ist sicher, das Schreiben ist echt. Nicht nur ist es die Handschrift des Raben, so weit ich sie noch in Erinnerung habe, sondern auch ein Inhalt, wie er nur von ihm stammen kann, so etwas kann man nur schwer fälschen oder kopieren. Schon gar nicht die kleinen Halbwahrheiten und gekonnten Auslassungen, aber darauf komme ich später zurück, zunächst will ich etwas von Don Xavier Marrasca erzählen, der hier im Ort von jedem nur respektvoll el corb, der Rabe, genannt wurde.

      Entgegen der Annahmen vieler stammte Don Xavier nicht aus Artà, obwohl er diese Tatsache zeitlebens gerne verschwieg. In Wirklichkeit ist er aus einem kleinen Nest in der Nähe des Puig d’ es Moix in der Serra de Tramuntana gebürtig. Ein, nun, ich will mal sagen, recht eigenwilliges Bergvölkchen war das damals, solange ist es noch gar nicht her, daß die Gegend dort bewohnte und auch manchmal unsicher machte. Die einen sagten, sie seien zurückgeblieben, weil von der Zivilisation abgeschnitten, die anderen hielten sie schlicht für Wilde, die nicht viel mehr zustande brachten, als an ihren Berghängen herumzuklettern und sich ansonsten von rohem Fleisch zu ernähren. Ich halte beide Meinungen nicht für richtig, der Rabe bewies eher mehr denn weniger meine Theorie.

      Don Xavier kam gegen Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nach Artà, genau weiß ich es nicht, denn ich selbst war damals noch nicht in der Stadt. Eines Tages stand er auf der Placa d’ Espanya und war einfach da.

      Der alte Jaume, einer der wenigen noch Lebenden aus dieser Zeit, behauptet, ihn als Erster gesehen zu haben und schwört, der Rabe hätte damals schon einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und einen gelben Strohhut mit schwarzem Band getragen. Auch wenn der alte Jaume inzwischen die zweite Hälfte seiner neunziger Jahre ansteuert und des öfteren wirre Merkwürdigkeiten von sich gibt, erscheint mir seine Darstellung von der Ankunft des Raben durchaus glaubhaft. Aber die Details dessen sind wohl eher zweitrangig, obwohl man hierzulande, das sollten Sie wissen, Don Diego, gerade auf Einzelheiten und die Möglichkeiten, diese auszuschmücken, allergrößten Wert legt.

      Als er von den Bergen herabgestiegen war, hieß er auch noch nicht Marrasca, diesen Namen hat er erst später, etwa ein Jahr vor seiner Hochzeit mit der jungen Maria Campillo angenommen. Ich selbst kenne keinen Menschen, der weiß, welchen Namen Don Xavier von Geburt an getragen hat.

      Vielleicht hatte er nur seinen Vornamen, die Bevölkerung in den abgelegenen Bergdörfern lebte damals zum Teil noch unter recht archaischen Verhältnissen. Da war ein Nachname ohne Wert, man kannte sich ohnehin in der kleinen Gemeinschaft des Dorfes. Vielleicht wollte er seinen richtigen Namen auch bewußt nicht nennen. Die Leute in den Bergen gingen nicht immer ganz realen Geschäften nach, Schmuggel und Wegelagerei waren beliebte Erwerbsquellen. Da konnte es durchaus von Vorteil sein, keinen Namen zu haben. Und Xavier, ja, Xavier hießen viele hier auf der Insel. Aber das sind alles nur Vermutungen, durch nichts bewiesen. Schließlich bin ich der Letzte, der einem Toten Dinge, die er nicht zu verantworten hat, in die nunmehr leeren Schuhe schieben will. Da sei mein geistlicher Stand vor.“

      An dieser Stelle kicherte Don Remigio, ich muß schon sagen: frech in die Runde, aber sein Kollege beachtete die kleine Provokation nicht weiter und fuhr stattdessen in seiner Erzählung fort.

      „Ich selbst bin 1888 als junger Priester nach Artà gekommen und habe natürlich alle Honoratioren der Stadt, darunter auch Don Xavier, schnell kennengelernt, das war unvermeidlich. Nach einiger Zeit fiel mir auf, daß der Rabe keinem eigentlichen Beruf nachging, will sagen, er übte weder ein Handwerk aus, noch hatte er nennenswerten Grundbesitz, von dem es sich auskömmlich leben ließ. Dennoch gehörte er zu den wenigen Begüterten des Ortes. Er protzte nicht mit seinem Vermögen, er schmiß mit dem Geld nicht um sich, war aber auch nicht kleinlich, wenn er die Kirche, die Stadt oder die Armen regelmäßig mit großzügigen Zuwendungen bedachte. Schon zu dieser Zeit fragte ich mich oft, woher die Wohlhabenheit Don Xaviers wohl stammen könnte, bin aber nie dahinter gekommen.

      Selbst der alte Pedro Campillo, sein Schwiegervater, hat immer nur bedeutungsvoll die Brauen hochgezogen, wenn das Gespräch auf die pekuniären Quellen des Mannes seiner Tochter kam, aber gesagt hat er nichts. Vielleicht hat er aber auch nichts gewußt oder sich bewußt nicht darum gekümmert, denn er sah seine Tochter gut versorgt und er selbst lebte auch nicht schlecht in der materiellen Sicherheit, die sein Schwiegersohn garantierte.

      Noch als Junggeselle war der Rabe oft auf Reisen quer über die Insel. Später, als verheirateter Mann hielt er es ebenso, häufig nahm er seine Frau, Dona Maria, mit sich. Die beiden führten auch nach heutigen modernen Verhältnissen ein komfortables, manche würden sagen: aufregendes Leben und schienen bar jeglicher Sorgen zu sein. Jedenfalls jeglicher finanzieller Sorgen, was sonst noch gewesen sein mochte, fand, wenn überhaupt etwas war, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit statt.

      Kurz nachdem Don Xavier in Artà angekommen war, machte er Maria Campillo den Hof, die ja auch wenige Jahre später seine Frau wurde und Ihnen, Don Diego, als Dona Maria wohl bekannt sein dürfte. Maria Campillo muß damals eine außergewöhnliche Schönheit gewesen sein, auf die die heiratsfähigen Männer der Stadt geradezu versessen waren.