Die Pilotenkonferenz. Dr. Harald Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Harald Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783738023916
Скачать книгу
ob eine besser als die andere ist oder nicht.“

      „Ja, kenne ich, und?“

      „Nun, für jeden Vergleich kann man nun in einer Matrix entweder die dominierende Alternative eintragen oder eine Zahl, zum Beispiel ‚2‘ für ‚dominiert‘ oder ‚0‘ für ‚wird dominiert‘. Und dann wird ausgezählt.“

      „Ist doch egal ob so rum oder so rum, letztlich kommt die gleiche Reihenfolge raus.“

      „Genau. Ob ich jetzt die jeweils bessere Alternative in die Matrix setze und anschließend auszähle oder eben Nullen, Einsen für Unentschieden oder Zweien und diese dann addiere, ändert ja nichts am Prinzip und Ergebnis des Bewertungsverfahrens, oder? Letztlich wird also willkürlich eine der beiden Methoden verwendet, richtig? Niemand würde diesem Punkt Bedeutung beimessen, stimmt’s?“

      „Ja, wohl nicht. Wie du schon sagst …“

      „Und das ist der Clou - es ist eben nicht egal! Dr. Anastrop zeigt anhand eines Beispiels auf, dass die beiden Ansätze eben nicht zum gleichen Ergebnis führen müssen. Ein offenbar irrelevantes Detail des Verfahrens kann letztlich über das Endergebnis entscheiden – und keiner merkt’s!“ Jetzt war Tom endgültig bedient.

      Kapitel 8 - Walk and Talk II

      Tom und Chris waren schon eine ganze Weile unterwegs. Sie hatten sich die ganze Zeit angeregt unterhalten, d.h. die meiste Zeit hatte Chris geredet, während Tom interessiert, wenn auch nicht immer ganz glücklich, zuhörte. Selbst mit viel anspruchsvolleren Methoden, die so ausgeklügelt und mathematisch wasserdicht seien, dass subjektive Einflüsse keine Rolle mehr spielten, konnte er Chris nicht überzeugen. Er erwiderte etwas von Black Boxes, die nur Experten noch durchschauen könnten und folgerichtig leicht angreifbar seien von Managern, denen das Ergebnis nicht gefalle.

      Jetzt, wo das Kongressgebäude wieder in Sichtweite kam, wollte er die Gelegenheit noch nutzen. Professor Mons hatte ja referiert, dass Menschen im Diktatoren-Spiel großzügiger agieren als im Ultimatum-Spiel. Obwohl sie in diesem Spiel also sozusagen einen Freifahrtschein zum Abzocken ihrer Mitspieler hatten, taten sie das genau nicht. Tom war nicht wirklich eine griffige Erklärung eingefallen. Ob Chris dazu etwas sagen konnte? Chris, der Baumwollpflücker? Andererseits musste Tom zugeben, dass ihn Chris' Ausführungen während des Spaziergangs durchaus beeindruckt hatten. Wie auch immer Chris zu seinem Wissen gekommen war, er schien zu wissen, wovon er sprach.

      „Sag mal, Chris“, begann Tom, „heute Morgen sprach der Professor Mons vom Ultimatum- und vom Diktatoren-Spiel.“

      „Diktatoren-Spiel? Ist das die Variante, wo der eine Spieler eine gegebene Summe zwischen sich und einem zweiten Spieler aufteilen kann wie er will, und der zweite Spieler nichts machen kann?“

      „Ja genau. Jetzt ist es laut Professor Mons so, dass sich die ‚Diktatoren‘ großzügiger verhielten als die Spieler im Ultimatum-Spiel, obwohl sie ja jede Summe mitnehmen könnten.“

      „Und warum ist das so? Wie erklärt Mons das Verhalten?“

      „Eben gar nicht. Ihm lief die Zeit davon, und wir sollen unseren Mentor danach fragen.“

      „Aha. Du hast ja sicher darüber nachgedacht – was meinst du denn?“ Das hatte Tom besonders gern. Gegenfrage statt Antwort.

      „Mir ist eben nichts Vernünftiges eingefallen. Ich meine, das Ultimatum-Spiel ist ja eher wie ein Wettbewerb. Wie weit kann ich gehen, in der Art. Als Diktator dagegen kann ich eh machen, was ich will.“

      „Das ist ganz und gar nicht unvernünftig, ich denke, das ist sogar mehr oder weniger der Schlüssel zur Erklärung. In der Tat ist es so, dass Menschen in Wettbewerbssituationen anders handeln als in sozialen Situationen. Im Zusammenhang mit ‚Diktator‘ klingt das jetzt zwar komisch, aber die meisten Versuchsteilnehmer entwickeln in dieser Rolle eher ein Schutzgefühl gegenüber dem Mitspieler und machen dann fairere Angebote als in der Ultimatum-Variante, wo der Mitspieler, wie du schon festgestellt hast, eher als Sparringspartner gesehen wird.“

      „Der soziale Diktator also …“

      „Ja, im Grunde schon. Die meisten Menschen nutzen solche Situationen eben nicht gnadenlos aus, auch wenn es aus rein ökonomischer Sicht vielleicht angebracht wäre. Vertrauen, auch Vertrauensvorschuss, Kooperation, Fairness – all das steckt normalerweise in gewissem Maße in uns. Solange es fair zugeht, gönnen die meisten auch den anderen ihren Anteil. Aber wehe, wir fühlen uns unfair behandelt! Dann werden wir schnell zum Tier und scheuen auch keine Kosten, um es dem anderen heimzuzahlen. Hat Mons von den israelischen Spendensammlern erzählt?“

      „Nein, soweit ich mich erinnere, nein. Was hat es mit denen auf sich?“

      „Nun, wenn du in der Situation wärst, eine Truppe von Spendensammlern auf die Straße zu schicken - was würdest du tun, damit sie möglichst viel Spendengelder einsammeln?“

      „Am Erfolg beteiligen?“

      „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“

      „Wieso denn nicht? Es ist doch wohl logisch, dass sich die Sammler umso mehr anstrengen, je mehr sie selber davon haben!“

      „Eben nicht!“ konterte Chris mit einem triumphierenden Lächeln. Es gefiel ihm offensichtlich, dass er wieder einmal einen festen Glaubenssatz in Toms Gedankengebäude ins Wanken bringen konnte.

      „Die Studie – mit den israelischen Spendensammlern wurde eine wissenschaftliche Studie gemacht - hat sogar gezeigt, dass sie sich weniger anstrengen, wenn sie am Erfolg beteiligt werden, als wenn sie komplett unentgeltlich sammeln. Als man ihnen zehn Prozent der Einnahmen bot, waren sie offensichtlich weniger motiviert als ohne jede Beteiligung!“

      „Aha.“

      „Ja, offenbar gibt es auch ohne finanziellen Anreiz eine Motivation zu sammeln. Das gute Gefühl eben, sich für einen guten Zweck einzubringen. Als die Sammler dann für ihre Tätigkeit quasi bezahlt wurden, hatten sie wohl nicht mehr das Gefühl, aus allzu moralischen Gründen zu handeln und waren im Endeffekt weniger motiviert. Wir sind halt keine Homines oeconomici, sondern soziale Wesen.“

      „Das hat Professor Mons auch gesagt.“

      Chris blickte auf die Uhr. Plötzlich hatte er es eilig. Rasch verabschiedete er sich von Tom.

      „Ich muss los, zum ICM. Wir sehen uns später!“

      „Zum ICM?“

      „Oh, verdammt“, entfuhr es Chris, „vergiss es am besten gleich wieder. Darüber darf ich eigentlich gar nicht reden. Bis später!“ Und schon war Chris verschwunden.

      „Verdammt!“, dachte sich auch Tom. Mit einem Schlag war ihm wieder präsent, dass er ja nach wie vor keine Ahnung hatte, was hier eigentlich gespielt wird. Er ärgerte sich, dass er den ganzen langen Spaziergang mit Chris nicht genutzt hatte, in dieser Richtung weiterzukommen. Der Austausch mit Chris war so kurzweilig und interessant gewesen, dass er schlichtweg vergessen hatte, was er sich fest vorgenommen hatte. Er wusste noch immer nicht, was es mit dem VPHV, dem ‚Verein der Piloten mit Herz und Verstand‘, wie der Präsident in seiner Eingangsrede sagte, auf sich hatte. „Kein Wort zum Verein. Und was für Piloten? Chris war ja offensichtlich auch keiner. Dafür nicht weniger geheimniskrämerisch mit seinem ICM‘‘, ging es Tom durch den Kopf.

      Kapitel 9 - Der Baumwollpflücker

      In der Aula, in der sich Tom mittlerweile wieder befand, herrschte schon reges Treiben. Dabei sollte der Vortrag von Dr. Anastrop noch gar nicht zu Ende sein. Aber wie schon so oft zuvor, war es ihm mal wieder gelungen, den Vortragssaal sozusagen leer zu lesen. Zumindest erkannte Tom so einige Gesichter von heute Morgen wieder. Unschlüssig, was er nun tun sollte, drehte er sich in alle Richtungen, um sich zu orientieren. Außer dem einen Vortragssaal im Souterrain und der Cafeteria im dritten Stock war ihm das Gebäude völlig fremd. Er beschloss, Mittagessen zu gehen. Wie er schnell herausfand, beherbergte