„Du hast …“, misstrauisch sah sie zu ihm hoch.
Sandar zuckte die Achseln, rückte den Sessel näher und nahm dicht vor ihr Platz, hob ihre Füße auf seinen Schoß. „Wär‘ ‘ne wüste Nacht geworden.“
„Schade eigentlich.“
„Aye …“ Er zog ihr Schuhe und Strümpfe aus und begann ihre Füße kräftig zu kneten und zu reiben. „Kann ich dir eine Frage … Was hältst du von Lucinda?“
„Was ich …“ Mara stieß die Luft aus, runzelte die Stirn. „Ich kenne sie nicht gut, ich habe lediglich bei zwei, drei Gelegenheiten kurz mit ihr reden können. Auf dem Fest zu Mittsommernacht schien sie … als müsste sie eine Rolle spielen. Und bei anderen Anlässen hat sie wenig geredet, jedenfalls nicht mit mir. Sie ist wohl nicht mehr …“
„Im Haus ihres Bruders. Lucinda lebt jetzt bei Getti, wo sie sich offenbar deutlich wohler fühlt als zuletzt im Palast.“
Fragend schaute sie Sandar an. Er erwiderte ihren Blick, lächelte etwas verkniffen. „Ich hab‘ … ich war bei ihr, zwei Tage, bevor wir aufgebrochen sind. Wir haben geredet, nicht so viel, doch wir haben uns erstaunlich gut verstanden, also habe ich … Ich bin die Nacht über geblieben. Habe die letzte … genau genommen die vorletzte Nacht, bevor wir in den Krieg zogen, mit ihr … in ihrem Bett verbracht.“
„Und …“
„Sie erwartet ein Kind. Nicht von mir“, erklärte er hastig. „Das … deutete sie an, bevor wir miteinander …“ Er schüttelte den Kopf, massierte weiter fürsorglich ihre Füße. „Jedenfalls ist sie schwanger. Ich habe sie nicht … Aber ich frage mich seither, was ich tun soll.“
„Musst du etwas tun?“, wunderte sich Mara.
„Ich könnt‘ sie ja wenigstens …“
„Das könntest du.“
„Ja“, stimmte Sandar zu. „Das könnte … sollte ich.“ Er lächelte, entspannter jetzt, fast erleichtert. „Gleich morgen.“
* * *
Marok hatte Frauen in seinem Kriegs-Lager gehabt. Dieser brutale Mistkerl von Ostländer hatte zwei Frauen in seinem Zelt, nur zu seinem Vergnügen! Für sein Vergnügen. Der Gedanke widerte Hiron an, noch immer. Dabei sollte er sich einfach freuen, ihnen tatsächlich entkommen zu sein, aber es war … Frauen hatten in einem Heerlager einfach nichts verloren! Dass Domallen ebenfalls … Aber das war etwas anderes, der hatte gute Gründe gehabt, militärische Gründe, Mara war sein Berater, zufällig halt eine Frau, und nicht …
Hiron wollte nicht darüber nachdenken, selbst jetzt noch nicht, es war, als würde sich alles in ihm verkrampfen vor Wut und Abscheu. Und doch wurde er beständig daran erinnert, weil diese Frau bei ihm war. Seit diese Frau bei ihm war, eine aus Maroks Zelt.
‚Gefällt sie Euch, Hiron?’, hatte der Dreckskerl ihn gefragt, an dem Abend vor der Schlacht, und er hatte lediglich genickt. Und nein, er wolle sie nicht haben. Marok hatte das Angebot nicht ernst gemeint, natürlich nicht, laut gelacht, er wollte ihn demütigen, vielleicht auch die Frau beschämen – er wusste nicht einmal mehr genau, auf welche Marok gedeutet hatte. Schön waren sie beide gewesen, sehr schön.
Er hatte einen Trick, eine Falle vermutet, als seine jetzige Begleiterin ihm einige Nächte später flüsternd zugeraunt hatte, sie könne ihm helfen. Nach der Schlacht, die nicht so verlaufen war, wie Marok es sich gewünscht hatte, irgendwo im Kitainagebirge und wiederum in Maroks Zelt. Weshalb Marok ihn am Leben ließ, wusste er nicht, er glaubte nicht, dass er dem Mann irgendetwas verraten hatte. Was auch, dass die manduranische Armee der ostländischen zahlenmäßig unterlegen war, hatte Marok selbst gesehen. Doch sie hatten besser gekämpft; er hatte nicht mitbekommen, wie hoch die Verluste der Ostländer waren, jedoch Maroks Fluchen gehört, seine Unzufriedenheit erlebt. Dieser hatte ihn nicht selbst zusammengeschlagen, dafür hatte er Barreck, seine Leibwache, aber er hatte mitbekommen, wie Marok in jener Nacht seine Wut an den Frauen ausließ.
Er rechnete auch jetzt noch damit, hereingelegt worden zu sein. Obwohl die Frau ihm tatsächlich geholfen hatte. Alles ein Trick. Viel Aufwand für jemanden, der kein ernstzunehmender Gegner mehr war, er war auf einem Auge blind, konnte nur mit viel Mühe gebückt und sehr langsam humpeln, sein linker Arm … besser, er dachte nicht darüber nach. Nicht darüber, was er Marok gesagt hatte, irgendwas über die Ebenen, um im nächsten Augenblick das Gegenteil zu behaupten, lallend, schreiend, schluchzend, weil die Schmerzen ihm schier den Verstand raubten, weil er keine Kraft mehr hatte und sie so fern war. Er hatte sie verloren, er hatte seine Frau verloren, die Mutter seines Sohnes, und er weinte vor Verzweiflung, wusste nicht, wie lange schon.
Die Frau schwieg. Natürlich. Sie war eine Ostländerin, und eine Ostländerin sprach nur, wenn es ihr erlaubt wurde. Oder so ähnlich. Wahrscheinlich stimmte es nicht, doch diese Ostländerin schwieg, aus Angst, vor Scham, warum auch immer. Lange, glatte, rabenschwarze Haare, hätte es nicht die Blonde sein können? Er unterdrückte ein Kichern, reiten konnte sie auch nicht, hing wie ein Sack Getreide im Sattel. Aber er sollte nicht kichern, er geriet sonst ins Stolpern. Schmerzhaft, er musste sich darauf konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Den Gaul, diese Schindmähre von einem Pferd nicht den nächsten Abhang hinunter zu führen, dem kaum sichtbaren Pfad weiter zu folgen. Wohin er sie auch bringen mochte. Die Frau fror, das wusste er, sie war völlig unzureichend bekleidet. Er hatte ihr sogar seine Jacke angeboten, aber sie wollte sie nicht nehmen, und jetzt hatte er nicht mehr die Kraft zu solch einer Geste. Sie würden beide sterben, die Nächte waren zu kalt hier in den Bergen, sie hatten keinen Proviant, keine Decken, nichts, sie waren bereits tot. Er stolperte trotzdem weiter, es blieb nichts anderes zu tun, vor ihm … er blinzelte, wollte nicht stehen bleiben, der Pfad jetzt breiter, fast ein Weg. Und der Weg führte hinab in eine Senke, führte zwischen Mauerresten und Ruinen halbzerfallener Häuser hindurch. Verblüfft blieb er stehen, hörte einen erstaunten, erstickten Laut von der Frau. Gestrüpp zwischen den Mauern, Gras auf den eingesunkenen löchrigen Dächern, die Fenster gähnende Öffnungen, die Läden, die Türen schief, abgerissen, verkohlte Balken. „Das muss …“
Er hatte keine Ahnung, welche Stadt dies einst gewesen war, obwohl er es wissen sollte. Dachte an Dalgena und blinzelte die Tränen fort, schaute um sich, zog langsam das Pferd hinter sich her, suchte. Überall Verfall, aber ein halbwegs dichtes Dach und einigermaßen intakte Mauern sollten doch … Wann, vor wie vielen Jahren war die Stadt aufgegeben worden? Die Schäden waren alt, Jahre, Jahrzehnte, der letzte Krieg mehr als dreißig Jahre her, aber vermutlich waren die Bewohner nicht sofort weg, nicht alle, es gab immer welche, die sich nicht mit dem Unvermeidlichen abfinden wollten, die die Hoffnung nicht aufgaben.
„Halt nach einem Gebäude Ausschau, das noch heil ist. Das zumindest so aussieht.“
„Du…“ Die Frau starrte ihn entsetzt an, senkte eilig den Blick, als er sich zu ihr umwandte. „Du sprichst … meine Sprache?“
„Ja. Nicht die Dialekte, aber ich komme zurecht. Würdest du mir jetzt helfen, du hast zwei gesunde Augen? Wir brauchen eine Unterkunft … Unterschlupf, irgendwas, ein Dach und ein paar Mauern.“
„Du willst … wir bleiben? Hier?“
„Hör mir mal gut zu, Frau. Noch ’ne Nacht unter freiem Himmel überleben wir beide nicht, und in diesen Ruinen tut dir niemand was. Diese verfallene, zerstörte Stadt könnte unsere Rettung sein!“ Und sei es nur für zwei, drei Tage, aber er machte keine Pläne mehr für die Zukunft. „Und jetzt such, bevor es zu dunkel wird.“
* * *
Sandar hatte ihre Füße massiert, fast gedankenlos, hatte geredet und ein bisschen von Lu erzählt, von seinen Plänen, Wünschen, von seinen Vorstellungen. Doch dann hatte er nicht mehr bloß Maras Füße gefühlvoll gestreichelt, sondern auch ihre Beine, hatte