Der Kaiser von Elba. Ole R. Börgdahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ole R. Börgdahl
Издательство: Bookwire
Серия: 2
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750232426
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neuen Rang erst seit zwei Tagen innehatte, aber immer noch die alten Abzeichen trug. Ich gratulierte ihm und erfuhr darüber hinaus, dass Karl Johann erst in einigen Tagen in Paris erwartet wurde.

      »Er muss sich etwas zurückhalten«, erklärte mir Överste Kungsholm. »Es werden immer noch Stimmen laut, die behaupten, dass Bernadotte seinen einstigen Herrn auf dem französischen Thron belassen will. Derzeit steht dem aber Zar Alexander entschieden entgegen. Zum Glück haben wir gewisse Kontakte ins russische Hauptquartier …«

      »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber das verstehe ich nicht. Wir kämpfen doch Seite an Seite, warum wird dann nicht auch mit allen Nachrichten offen umgegangen?«

      Överste Kungsholm lächelte. »Mich wundert, dass Sie diese Frage stellen. Überlegen Sie doch einmal. Napoléon hat Moskau angezündet, so hat Zar Alexander allen Grund hart gegenüber Frankreich und seinem Kaiser zu sein. Preußen hat ohnehin noch ein Hühnchen mit Napoléon zu rupfen. Dies ist die eine Seite, wobei ich nicht behaupte, dass sich Preußen und Russland grün sind. Aber das ist ja noch nicht alles. Was hat Kaiser Franz von Österreich vor? Sieht er jetzt die Chance, einen ungeliebten Schwiegersohn loszuwerden oder geht ihm Familienbande über alles. Eine einfache Scheidung ist nicht die Lösung, wo es jetzt den kleinen Napoléon Franz Joseph Karl gibt.«

      Ich nickte. »Das verstehe ich.«

      »Ja, aber verstehen Sie auch unsere Seite?«, fuhr Överste Kungsholm fort. »Der Kronprinz ist natürlich über jeden Zweifel erhaben. Das ist zumindest unsere Ansicht. Und auch wenn Bernadotte zwischen Vergangenheit und Zukunft zu trennen vermag, zählt dies alles nichts gegen die Meinung der anderen. Wir haben schon einmal über dieses Thema gesprochen, Sie erinnern sich? Karl Johann ist zu franzosenfreundlich, aber was sollte er anderes sein, er ist ja Franzose, das kann er nicht abschütteln. Dennoch wird er seine Pflicht erfüllen.«

      »Was ist mit den Briten?«, fragte ich.

      »Die Briten, die werden auch noch ihre Rolle spielen. Die spanische Frage ist ja so gut wie geklärt. Ich bin aber froh, dass die Briten nicht hier auch schon mitmischen.«

      »Dann zerbricht die Koalition?«

      »Sie haben recht, dass könnte der Außenstehende denken, wenn er das, was ich gesagt habe, näher betrachtet und seine Schlüsse zieht. Aber Sie können versichert sein, nach außen hin und an der Oberfläche ist die Koalition einig gegen Napoléon Bonaparte. Im Inneren, tief drinnen, finden allerdings die heftigsten Kämpfe statt.«

      »Kämpfe?«, wiederholte ich.

      »Ja, es sind regelrechte Kämpfe, und zwar um Informationen, um Nachrichten. Oft ist es entscheidend, eine Nachricht schon dreißig Minuten früher als die Gegenseite zu haben. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles, das können Sie sich ja selbst denken.«

      Överste Kungsholm öffnete die schwarze Aktenmappe, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag und zog ein einzelnes Stück Papier hervor. Ich sah, dass es eine Handschrift trug, die an einigen Stellen verschmiert war. Der Överste ahnte, dass ich dieses Detail bemerkt hatte.

      »Dies hier wurde in aller Eile abgeschrieben, was durchaus auch verdächtig sein kann, weil der Schreiber vielleicht für die Gegenseite arbeitet und mit Absicht etwas ausgelassen oder neue Inhalte hinzugefügt hat.«

      »Sie machen mich neugierig«, sagte ich.

      »Genau das sollten Sie auch sein. Aber ich verrate Ihnen, was das ist. Napoléon hat dem Zaren seinen Willen mitgeteilt. Ney und MacDonald und Général Caulaincourt sind heute Vormittag in die Stadt gekommen. Das wurde natürlich geheim gehalten. Der Zar hat sie gleich wieder nach Fontainebleau zurückgeschickt, und zwar mit einem glatten Nein.«

      »Nein wozu?«

      Överste Kungsholm lächelte und zitierte aus dem Schriftstück, das er noch in der Hand hielt. »Napoléon willigt ein, zugunsten seines dreijährigen Sohnes Napoléon Franz Joseph Karl Bonaparte abzudanken. Die Kaiserin Marie-Louise soll dabei als Regentin des unmündigen Kindes eingesetzt werden. Das ist alles und für den Kaiser der Franzosen ein großer Schritt. Er wird allerdings nicht damit durchkommen, wie wir bereits wissen. Natürlich werden alle Beteiligten der Koalition von dieser Entwicklung unterrichtet, aber das dauert noch, während wir schon bescheid wissen …«

      »Und dieses Wissen nutzen«, erlaubte ich mir, den Satz zu beenden.

      »Ganz recht. Wir werden selbst nach Fontainebleau reisen.«

      »Dann brechen wir sofort auf?«

      »Nein, das wäre zu auffällig«, erklärte Överste Kungsholm. »Es reicht, wenn wir morgen Abend ankommen.«

      *

      Es war mir ganz recht, den Tag noch in Paris verbringen zu können, obwohl mich Överste Kungsholm nicht sofort gehenließ, denn zwischen uns fiel zum ersten Mal der Begriff Nachrichtendienst, der nicht so verschwörerisch wie Geheimdienst klang. Der Överste erzählte mir nur, dass er Kontakt zum schwedischen Geheimdienst hatte, dass er auf niedrigster Stufe eingebunden war und ich auf noch niedrigerer Stufe ebenfalls dazugehören sollte. Es ging lediglich um Hilfsdienste und keines Falls um richtige Spionage. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen, schließlich wollten wir uns nach Fontainebleau begeben, dorthin, wo sich auch Napoléon Bonaparte aufhielt. Ich verstand nur, dass wir die Aufmerksamkeit auf uns lenken sollten, so dass die richtigen Geheimagenten unentdeckt blieben.

      Gegen fünf Uhr verließ ich die Stadtvilla. Mein Pferd blieb jedoch bei guter Versorgung in den Stallungen des Quartiers und so schlenderte ich zu Fuß durch den Park. Draußen vor dem Tor mit dem Wachposten suchte ich in meiner Kleidung nach Michas Zettel. Einer der Soldaten warf einen Blick auf die Notiz und erklärte mir sogleich, wie ich die Anschrift finden konnte. Auf den Straßen war nicht viel los und so kam ich gut voran. Ich verlief mich allerdings noch zweimal, wagte es aber nicht, einen Pariser Bürger anzusprechen, da ich ja eine fremde Uniform trug und die Blicke ohnehin auf mich gerichtet schienen.

      Als ich fast da war, hörte ich schon ein Rufen. Ich sah mich um, dann nach oben zu einer der Fensterreihen im zweiten Stock des Hauses, und da winkte Micha. Er gab Zeichen und lotste mich zu einem Tor, durch das es in einen Innenhof ging. Ich sollte dort eine Stiege finden und so war es auch. Micha und seine Kameraden bewohnten das ganze Obergeschoss des Hauses. Die Unterbringung war so großzügig, dass immer nur zwei Männer in einem Zimmer logierten. Micha zeigte mir alles und stellte mich seinen Kameraden vor. Und da erkannte ich einige Gesichter wieder, Soldaten, mit denen ich vor ein paar Tagen gegen Paris gezogen war. Ich erfuhr auch, dass die Eskadron keine Verluste erlitten hatte. Es gab ein paar Verletzte und tatsächlich sah ich einige von Michas Kameraden mit Verbänden an Armen, Beinen und Kopf.

      »Wir feiern heute ein Fest«, erklärte Micha schließlich, der seinen Arm nicht mehr in der Schlinge trug.

      »Das hört sich gut an und wo geht es hin?«

      »Nirgends, wir bleiben hier. Wir werden den Hof schmücken, warten noch auf ein paar Gäste und schließen dann das Tor ab.«

      Bei dem Wort Gäste zwinkerte er mir zu und ich verstand gleich, was er meinte.

      »In Paris gibt es so wunderschöne Frauen. Wir haben ein paar eingeladen, du wirst begeistert sein.« Micha schnalzte mit der Zunge.

      Mir war schon klar, von was für Damen er sprach. Während meines Kriegszuges war mir diese Art von Einladung in so mancher kleinen und großen Stadt begegnet. Ich selbst hatte bisher noch nie davon Gebrauch gemacht. Und ich hatte auch diesmal vor, das Trinken, Tanzen und Lachen mit Michas weiblichen Gästen zuzulassen, mehr allerdings nicht. Unwillkürlich musste ich an Bellevie denken, obwohl sie mit dieser Entscheidung nichts zu tun hatte.

      Ich bot mich schließlich an, beim Aufbau des Festes zu helfen. Fast das gesamte Mobiliar aus dem oberen Stockwerk wurde nach unten in den Hof gebracht, Stühle, Tische, Bänke und sogar ein paar teure, lederne Sessel. Ich beobachtete, wie eine riesige Feuerstelle mitten auf dem Hof eingerichtet wurde. Ein ganzer Wagen Brennholz kam hereingefahren, wurde von einem Teil der Männer entladen und von zwei weiteren fachmännisch gestapelt. Als es darum ging, ein Metallgestell über der Feuerstelle aufzurichten,