Die Gelehrte blickte sich nicht zu ihnen um, als sie eintrafen. Sie schien unverletzt, ihre Kleidung nur staubig wie Iains und Cecils. Wahrscheinlich hatte sie der Lawine gerade rechtzeitig entkommen können.
Nun kniete sie neben einem mannshohen Felsen und hielt etwas in ihren Händen …
Oder jemanden.
Eine düstere Ahnung legte sich über die kleine Gruppe.
„Nein“, wisperte Kaeli. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, noch bevor sie wirklich sah, was Saya am Boden hielt. Wie in Zeitlupe bewegten sie sich auf die Gelehrte zu, zögerlich – die Realität fürchtend.
Doch … die Ahnung betrog sie nicht.
„Robin!“ Arn sackte neben Saya in die Knie, voller Grauen auf die reglose Gestalt der Elfe blickend.
Erloschen war das Feuer in seinen Augen.
Aufschluchzend flüchtete Kaeli sich in Cecils Arme, der sie automatisch umfing. In seiner Miene lag reglose Leere.
Iain trat zu Saya, legte seine Hand auf ihre Schulter – Trost spendend und suchend. Saya sah zu ihm hoch, Wut und Schmerz schimmerte in ihren Augen – und Trauer.
„Wir rannten gemeinsam“, sagte sie erstickt. „Immer am Fuß der Berge entlang. Sie schützten uns vor dem Erdrutsch.
Dann stolperte Robin plötzlich und stürzte.
Ich wollte ihr helfen, hielt schon ihre Hand, um sie wieder aufzurichten …“ Hasserfüllt starrte sie auf den Brocken. „Dann krachte dieses … Ding auf sie herab. Es war so laut, … und doch konnte ich das Splittern ihrer Knochen hören. Ihr Unterleib muss vollkommen zerschmettert sein.“
Würgend erbrach Kaeli sich.
Fassungslos und zerrissen vor Kummer bemerkte Iain die Tränen, die über Sayas Gesicht liefen. Ihr lautloses Weinen erschütterte ihn. Behutsam löste er ihre verkrampften Hände von Robins leblosen und zog sie in seine Arme.
Arn nahm Sayas Platz ein.
Er fühlte sich innerlich tot, während er das grausige Bild in sich aufnahm.
Die Elfe lag auf dem Bauch, die untere Hälfte war unter massivem Stein begraben. Ihr Gesicht war ihm zugewandt, ihre dichten Haare bedeckten es in wirrer Unordnung. Sanft strich er es zurück, berührte die weiche Haut ihrer Wange, ihren Hals …
Arn stutze.
Narrte seine Fantasie ihn? War das ein grausamer Streich seiner Einbildung?
Er tastete ein weiteres Mal.
Spürte es erneut.
Dieses winzige Puckern.
Hektisch beugte er sich vor, brachte sein Ohr an ihr Gesicht.
Und auch da. Ganz flach, mehr ein Hauch. Aber eindeutig.
„Sie lebt!“ Er sprang auf. Mit aller Wucht stemmte er sich gegen den Felsen.
„Was?!“ Alle Augen richteten sich ungläubig auf ihn, als hätte er den Verstand verloren.
„Los, kommt! Wir müssen ihr helfen!“, forderte Arn eindringlich. Seine Bemühungen vermochten den Stein nicht zu bewegen.
Saya löste sich aus Iains Armen und blickte ihn ungeachtet ihrer Tränen an.
„Wenn sie lebt“, meinte sie leise und bedeutungsvoll, „dann müssen wir ihr wirklich helfen.“
Iain verstand. Er trat zu Arn, der ihm sofort bereitwillig Platz machte.
„Fass hier mit an.“
„Arn“, sagte er ernst, „das ist nicht die Hilfe, die Robin jetzt noch braucht.“
„Was meinst du?“ Verwirrt zog Arn die Brauen zusammen. „Welche …?“
Ein Bild von einem anderen schwer verwundeten Elfen schoss ihm durch den Kopf, und er wich mit entsetzter Miene zurück.
„Nein, du kannst nicht glauben, dass wir sie …“
„Robin würde das von uns erwarten“, erklärte Saya mit erzwungener Ruhe. Sie achtete die Gesetze und Wünsche der Elfen höher als ihren Widerwillen ob der Durchführung.
„Wer sind wir, dass wir Entscheidungen über Leben und Sterben eines paxianischen Kindes treffen? Es ist nicht an uns, das zu tun!“, rief Arn erbost. In seinen Augen loderte das Feuer intensiver denn je.
„Du hast Recht, das ist es nicht.“ Iain nickte. „Aber sieh dir Robin an. Ihre Verletzungen können nicht heilen. Sie wird sterben.
Wir haben nur die Wahl, es ihr leicht und schmerzlos zu machen. Sie sollte nicht den Qualen ausgesetzt sein, innerlich zu verbluten.“
Fluchend schlug Arn gegen den Stein, dass seine Fingerknöchel bluteten. Verzweifelt und nicht bereit sie aufzugeben, glitt sein Blick unstet über sie hinweg.
Ihre Miene war entspannt, als schlafe sie nur und wäre nicht Mittelpunkt dieses furchtbaren … Ein Gedanke formte sich.
„Seht sie euch an!“, drängte er die Gefährten. „Wirkt sie, als würde sie von Schmerzen gefoltert?“
„Sie ist bewusstlos“, wandte Iain ein. Arn nickte. „Genau. Ihre Ohnmacht ist so tief, dass sie nichts spürt. Sie leidet nicht.“
„Das mag sein“, gab Iain zu, „für den Moment. Aber wenn sie zu sich kommen sollte, werden ihre Qualen unerträglich sein.“
„Das dürfen wir nicht zulassen“, entschied Saya fest.
„Da gebe ich dir Recht. Und das werden wir auch nicht. Aber nicht durch die Art, wie ihr sie davor bewahren wollt.“
„Was schlägst du vor?“
„Ihre Verletzungen heilen nicht von allein, da stimme ich dir zu, Iain. Doch sie könnten geheilt werden.“
„Maylia!“, stieß Kaeli hervor. Sie begriff Arns Intention als Erste.
Und unterstützte sie.
Cecil mit sich zerrend, stemmte sie sich an Arns Seite gegen den Felsen.
Bittend blickte Arn Saya und Iain an, die endlich nachdenklich wirkten und seinem Gedanken Gelegenheit gaben, erwogen zu werden.
„Es sind nur wenige Stunden Marsch von hier zum Pol der Stille. Robins Leben ist dieser Versuch doch wert. Helfen wir ihr zu leben.“
Seinem inständigen Flehen hielt ihre Abwehr nicht stand. Im Grunde wünschten sie sich nichts anderes als Arn. Mit vereinten Kräften hoben sie den Felsen von Robins geschundenem Körper.
Als Kaeli das tatsächliche Ausmaß Robins Verletzungen sah, würgte sie erneut. Cecil drehte sie weg, während Arn die Elfe entschlossen in eine Decke wickelte und auf seine Arme hob.
Bevor Iains und Sayas Zweifel an seinem Vorhaben erneut aufkamen, lief er los.
„Halte durch, Waldelfe“, murmelte er immer wieder.
Mit seinem Laufschritt diktierte er das Tempo der Gruppe, erhöhte es zunehmend. Seine Hast war größer als jede Eile, zu der Saya sie jemals angetrieben hatte.
Wenn einer zu ihm aufschloss, beschleunigte er weiter, nur um allein die Führung zu halten. Niemand sollte Gelegenheit haben, seine Rettungsmission in Frage zu stellen.
„Dieses Tempo kann er nicht durchhalten“, keuchte Iain nach einem weiteren Versuch Arn anzubieten, die Elfe zeitweise zu übernehmen.
Saya schwieg. Sie hatte das Lodern in seinen Augen gesehen. Ihre Sorge galt mehr den feindlichen Begegnungen, die unweigerlich erfolgen mussten.
Konnten sie diese in ihrer schwierigen Konstellation bewältigen?
Immerhin flog auch Cecil über ihnen nicht unbelastet. Kaeli war durch die Folgen