Tomoji. Lukas Kellner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lukas Kellner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753150796
Скачать книгу
hinwegsetzen wollen, dann geht das nur mit einem Gerichtsbeschluss.“

      „Und Sie wissen, dass ein Gerichtsbeschluss in diesem Fall von mehr als einem Gericht überprüft werden muss. Das dauert mindestens drei Tage. Diese Zeit haben wir nicht. Mir ist es immer noch ein Rätsel, warum sie nicht eine Sekunde daran gedacht haben, uns wenigstens vorzuwarnen, wenn sie so etwas veröffentlichen. Wir beide können daran jetzt nichts mehr ändern, aber ich weiß, dass irgendwo tief in Ihnen drin auch ein Mensch steckt. Also, warum vergessen wir nicht einfach ganz kurz, was passiert ist. Nicht für mich, auf keinen Fall für mich! Aber für das Opfer. Und für die Opfer, die noch kommen werden.“

      Kurz hörte man nur das leichte Hintergrundrauschen des Telefons. Dann erbarmte sich Potaska zu einer Antwort.

      „Wissen Sie, meine Arbeit ist nicht so leicht, wie Sie denken. Ich muss jeden Tag meinen Kopf hinhalten für das, was ich schreibe. Ich habe Verantwortung, nicht nur mir selbst gegenüber und der Zeitung, sondern auch den Menschen gegenüber. Gerade in Momenten wie diesen. In Momenten, in denen ich von einem Polizisten, einem Staatsbeamten, angerufen werde und aktiv dazu aufgefordert werde, Nachrichten der Öffentlichkeit vorzuenthalten – in diesen Momenten, weiß ich, dass ich das Richtige tue!“ Eliah rollte die Augen. Der Mann war wirklich unglaublich. Sollte er überhaupt weiter argumentieren?

      „Hier geht es aber nicht darum, dass wir Nachrichten von der Öffentlichkeit fernhalten! Es geht nur darum, dass wir sie für den Moment zurückhalten. Sobald wir den Täter haben, können Sie alles veröffentlichen, was Sie wollen. Wir spielen doch im selben Team, oder etwa nicht? Außerdem: Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie dadurch aktiv Ermittlungen behindern? Wenn sie nicht kooperieren, dann…“

      „Verhaften Sie mich!“ Potaska war jetzt noch lauter und trotziger als zuvor. Es schien für ihn in der Tat unmöglich, auch nur einen Funken Schuld bei sich selbst zu erkennen. Mit bebender Stimme fügte er hinzu:

      „Glauben Sie denn tatsächlich, wir wüssten, woher die Mails kommen? Wofür halten Sie mich? Die Mails wurden uns anonym zugesendet. Wenn Sie den Artikel gelesen hätten, wüssten Sie das auch. Wir haben den nämlich mit einer Erklärung veröffentlicht und übrigens auch mit einem Aufruf: Bei Informationen zum Tathergang bitte an die Polizei wenden. Aber jetzt kommen Sie an und stellen mich wie einen Verbrecher dar, ich glaube, Sie spinnen!“ Eliah ballte die Fäuste. Es war ein Talent von Potaska Gespräche so hinzudrehen, dass er wie der Unschuldige dastand. Was ihn aber noch mehr ärgerte, war, dass er damit sogar teilweise recht hatte. Aber eben nur teilweise.

      „Das rechne ich Ihnen auch hoch an. Trotzdem können Sie bei so etwas nicht im Alleingang agieren. Ich habe das Ganze erst zu dem Zeitpunkt erfahren, als auch jeder andere davon wusste. Ist Ihnen eigentlich klar, dass anonym nicht gleich anonym ist? Man kann E-Mail-Adressen zurückverfolgen. Das, was Sie mir da gerade gesagt haben, ist eine wichtige Information, die unseren Ermittlungen bisher gefehlt hat. Sie haben damit dem Täter einen Vorsprung verschafft, den wir vielleicht nicht so leicht wieder aufholen können.“

      Potaska antwortete wieder trotzig, allerdings schien er etwas an Sicherheit verloren zu haben.

      „Ach, hören Sie auf, mir hier den schwarzen Peter zuzuschieben, nur weil Sie gerade noch im Dunkeln tappen. Also, was wollen Sie tun?“ Eliah wollte ihm eigentlich noch einen Konter aufdrücken, besann sich dann aber zum Gegenteil. Hier ging es nicht um seinen Stolz.

      „Ich schicke Ihnen ein paar Männer und Frauen vorbei. Spezial-Kräfte, die sich mit der IT auskennen. Sie werden versuchen, die Adresse zu lokalisieren. Bitte stellen Sie sicher, dass morgen früh um sieben jemand bei Ihnen im Büro ist, der den Leuten Zugang zu den betreffenden PCs geben kann und eingeweiht ist.“

      „Gut, es wird jemand da sein. War’s das, ich habe noch einen Termin“, schnaubte Potaska abgehackt. Eliah warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Der Stundenzeiger hatte die zwölf-Uhr-Grenze bereits überschritten. Er wollte eigentlich fragen, warum er so spät denn bitte noch Termine hatte, entschied sich dann aber doch dagegen. Immerhin hatte er gerade bekommen, was er wollte.

      „Danke, Guten Abend.“

      Potaska antwortete nicht mehr, sondern legte einfach auf.

      ‚Was für ein Arschloch!‘, dachte Eliah nahm noch einen kräftigen Schluck und erhob sich aus dem Sessel. Es fiel ihm schwerer als gedacht, und an den Seiten seiner Knie zog ein Stechen bis tief in die Wade hinab. Wie wäre es schön gewesen, jetzt einfach im Sessel sitzen zu bleiben. Er hätte sich vielleicht noch die Wiederholung des Spiels ansehen können, das er verpasst hatte. Kurz dachte er ernsthaft darüber nach, doch dann gab er sich einen Ruck. Er stellte das Bier auf den Wohnzimmertisch, bewegte sich in den Flur, ging an der Tür mit den zwei Herzen vorbei und verließ seine Wohnung.

       ‚Was für ein Arschloch!‘, dachte Potaska und rammte den Hörer auf das kiwigrüne Telefon vor sich. Er mochte diese altmodische Variante, die er sich einmal auf einem Flohmarkt für fünf Euro gekauft hatte. Sein Büro war voll mit solchen Vintage-Spielsachen, doch konnte man davon im Moment nicht viel erkennen. Das Licht seiner Schreibtischlampe reichte gerade einmal dafür aus, die Papierblätter vor ihm zu erleuchten. Der Rest um ihn herum ertrank in dunkler Schwärze. Er war der Letzte, der jetzt noch im Gebäude war, doch gerade deswegen mochte er es, um diese Zeit im Büro zu sein. Dann konnte er wenigstens ungestört arbeiten und der ständig unterschwelligen Geräuschkulisse der anderen entgehen. Einige seiner besten Texte hatte er um diese Uhrzeit allein in seinen Computer getippt.

      „War er es?“ Die Stimme klirrte aus der Dunkelheit heraus. Potaska schreckte hoch und stierte ins Nichts. Es dauerte einen Moment, bis er seine Fassung wiedererlangt hatte.

      „Sagen Sie mal, von anklopfen haben Sie auch noch nichts gehört, oder?“, schnaubte er.

      Sein Gegenüber war immer noch nicht zu sehen und er ging auch nicht weiter auf Potaskas Vorwurf ein.

      „Vergessen Sie mal nicht, wer Sie zuletzt aus der Scheiße gezogen hat! Gäbe es mich nicht, gäbe es Sie nicht. Sie sind definitiv mein kleinstes Problem.“

      Der Mann war an den Tisch herangetreten, stützte sich auf der Kante des Schreibtischs ab und lehnte sich nach vorn. Jetzt erst konnte man sein Gesicht erkennen. Seine Züge waren hart und kantig. Das gegeelte Haar war so schwarz, dass es mit seiner Umgebung verschmolz, genauso wie die dunkelgraue Digitaluhr mit Lederarmband. Einzig die flachsfarbene Krawatte stach dezent aus der Dunkelheit heraus. Die Schatten unter seinen Augen gaben ihm etwas Unmenschliches, fast schon Dämonisches.

      „Vergessen Sie das niemals, Potaska!“ Florian Potaska sagte nichts. Stattdessen starrte er in die toten Augen des Mannes vor ihm. Der schien niemandem jemals direkt in die Augen zu sehen, nur immer ganz leicht darüber hinweg. Genauso tat er es in diesem Moment, während er abermals das Wort ergriff. Er redete leise, doch seine Worte donnerten durch den Raum und hatten nur ein Ziel: Sein Gegenüber.

      „Also... war er es?“

      „Ja“, antwortete Potaska schlicht.

      „Gut. Verhalten Sie sich unauffällig. Sie werden morgen wieder Bilder bekommen, wieder mit einer korrespondierenden Zeichnung und so bearbeitet, dass Sie die Fotos rechtlich veröffentlichen dürfen. Gehen Sie vor wie besprochen.“ Der Mann lehnte sich zurück und verschwand wieder im Dunkeln.

      Warmes Blut pulsierte durch Potaskas Körper. Es schien in seinem Bauch zusammenzufließen und strömte von dort aus nach oben, wie die Lava eines ausbrechenden Vulkans. Er musste sich nicht so behandeln lassen. Zwar war er diesem Mann in der Tat einen Gefallen schuldig, das ging aber nicht so weit, dass er für ihn eine Straftat begehen musste. Zugegeben, dem aufgeblasenen Hinterwäldler von Polizisten eins auszuwischen, spielte ihm durchaus in die Karten, aber so redete man nicht mit ihm. Niemand! Der Impuls durchzuckte seinen Körper. Er sprang auf, wirbelte herum und schlug mit der Faust auf den zweiten Lichtschalter, der hinter seinem Schreibtisch in der Wand verbaut war. Noch im Drehen begann er zu wettern: „Hör mal du aufgeblasener…“

      Das Licht erreichte jetzt jeden Winkel seines Büros. Die vorgezogenen, dunkelbraunen Vorhänge, die kleine Sitzecke mit Glastisch, das Regal mit der Schreibmaschine und den vielen eingerahmten Bildern. Doch keinen Mann. Das Büro war leer, so, wie es die ganze Zeit über hätte sein sollen. Da war