Brigitte empfand ihre Hochzeit als die allerschönste, die sie jemals gesehen hatte. Der Kern ihres Empfindens lag nicht nur darin, weil es ihre eigene war und Brigitte somit die Hauptperson des Geschehens. Dazu trug eher bei, dass Dominik keine Kosten und Mühen scheute, um die Feier festlich und pompös zu gestalten. Er tat was in seiner Macht stand, um es an nichts fehlen zu lassen.
Brigittes Brautkleid bezahlten allerdings ihre Eltern, die dabei ebenfalls nicht auf das Geld achteten. Das ließen sie sich nicht nehmen. Sie hätten ihren letzen Groschen dafür gegeben, dass ihre Tochter sich als Braut konkurrenzlos strahlend repräsentierte.
An ihrem majestätischsten Tag trug Brigitte ein knöchellanges schneeweißes Kleid, das nur aus Spitze und Satin bestand. Die Blöße ihrer Schultern bedeckte ein Pelzjäckchen, mit dreiviertellangen Ärmeln. Der zu dem Kleid gehörende Schleier war stattliche fünf Meter lang. Er wurde von sechs kleinen Mädchen aus Brigittes Verwandtschaft getragen. Diese trugen einheitliche, zartrosa Kleidchen und ihre Haare waren mit Rosenkränzen geschmückt.
Zu diesem höchst feierlichen Anlass ließ sich Dominik einmalig einen silbergrauen, maßgeschneiderten Frack mit Weste anfertigen. Mit schwarzen Lackschuhen sowie Zylinder geziert, übernahm er seine Braut von deren Vater. Einträchtig schritten sie den endlos scheinenden, roten Teppich entlang zum Altar.
Dem märchenhaften Brautpaar gingen wiederum vier Blumenmädchen voraus, die identisch zu den Schleppenträgerinnen bekleidet waren, und streuten aus geflochtenen Körben bunte Blüten auf den Weg, den das Brautpaar beschritt.
So zogen das Paar und sein Gefolge mit allen Attributen, die zu einer Märchenhochzeit gehörten, den Gang zwischen den Bänken entlang durch die Kirche. Auch dort, in dem Gotteshaus, hatte Dominik großzügig gewirkt. Es gab fast keine Stelle am und um den Altar, die nicht mit Blumengestecken oder Vasen mit duftenden Sträußen geziert war. An jeder Ecke einer Bankreihe leuchteten ebenfalls kleine Gebinde aus Blumen. Die letzten Bankreihen verband je ein Torbogen aus Blüten, durch die das Brautpaar bei seinem Einmarsch dann hindurch schritt.
Die Orgel spielte den traditionellen Hochzeitsmarsch und alle Blicke hafteten naturgemäß auf dem Brautpaar. Bis auf den letzten Platz war die Kirche besucht. Denn schon die Hochzeitsgäste füllten die Bänke zu zwei Dritteln aus. Selbst in den Gängen zwischen den Bankreihen standen Schaulustige unter Verwandten, die keine Sitzplätze mehr erhaschen konnten. Sogar vor der Kirche bildete sich eine kleine Menschentraube aus Leuten, die nicht einmal mehr einen Stehplatz abbekamen.
Brigitte war angetan von dem Anblick der vielen Menschen, die alle nur wegen ihr kamen. Die Eindrücke, die auf Brigitte einstürzten, waren unbeschreiblich. Das gesamte Arrangement rührte sie so, dass sie nur schwer die Freudentränen unterdrückte, die sie zu überkommen drohten.
Als sie jedoch am Ende ihres Weges an ihrer Mutter vorbeikamen und Brigitte ihren beseelten „Alles-Gute-Blick“ sah und dass ihr das Augenwasser in dicken Tropfen zwischen den Lidern stand, konnte sie nicht mehr an sich halten. Die Schleusen öffneten sich und die Tränen liefen Brigitte ungehalten über die Wangen. Sie weinte ungebremst aus lauter Glückseligkeit und unendlicher Herzensfreude.
Selbst ihren Vater, einen gestandenen Mann, den Brigitte noch nie hatte weinen sehen, obwohl er schon sehr viel Elend und persönliches Leid erlebte, berührte dieses Ereignis tief im Innern. Brigitte sah ihn noch nie in einer solchen Gemütsbewegung. Auch er bekam beim Anblick seiner Tochter, die er in diesem Hochzeitsglanz erleben durfte, feuchte Augen. Dem Zauber einer solchen Zeremonie konnte auch der Brautvater sich nicht entziehen. Da hätte er keinerlei Gefühle haben dürfen, um nicht ergriffen zu sein.
Von der Trauung selbst bekam Brigitte nur Teile mit. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, war aber andererseits so damit beschäftigt keinen Fehler zu begehen, angesichts der vielen Augenpaare die sich auf sie richteten, dass es unmöglich wurde, alle Einzelheiten bewusst aufzunehmen. Zudem kämpfte Brigitte verzweifelt, jedoch ohne Erfolg, gegen die immer wiederkehrende Tränenflut. Einmal losgelaufen, konnte sie diese kaum wieder unterdrücken und eindämmen. Die Rührung lief ihr in kleinen Bächen über die Wangen.
Die einfühlsame Predigt des Pfarrers enthielt ebenfalls rührselige Aspekte, die verdeutlichen sollten, was es heißt eine Ehe einzugehen und die zu Tränen führten, wenn man schon diesbezüglich angeschlagen war.
Der Pfarrer baute auch das von Dominik aufgesetzte Eheversprechen in seine Rede mit ein. Der smarte und knallharte Geschäftsmann zeigte dabei Gefühl und verfasste es selbst, als kleine Überraschung und Huldigung an seine zukünftige Frau.
„Vom heutigen Tage an werden wir unseren Weg gemeinsam gehen, bis dass einer das allerletzte Stück alleine gehen muss“, zitierte der Pfarrer. „Was mein ist, ist Dein. Und was Dein ist, ist mein.
Wir werden uns auf unserer Reise gegenseitig stützen und Halt geben. Die Knüppel, die man uns zwischen die Beine wirft und die Steine, die man uns in den Weg legt, nehmen wir, um uns damit die Brücken zu neuen Ufern zu bauen“.
Danach folgte zum Abschluss die Frage des Pfarrers, welche die Trauung besiegelte. Das erforderliche, klassische „Ja, ich will“, brachte Brigitte nur schwer und zudem schwach über ihre bebenden Lippen.
Dann der Ringtausch, bei dem Dominik Probleme hatte den Ring über ihren zitternden Finger zu schieben. Brigitte ließ im Gegenzug den seinen beinahe fallen vor Aufregung. Zum Schluss noch der besiegelnde Kuss, dann war die Prozedur überstanden. Den wichtigsten Teil der Zeremonie brachte Brigitte einigermaßen mit Stil hinter sich. Sie war außer sich vor emotionaler Erregtheit und bebte innerlich.
Bis zum Verlassen der Kirche hatte sich Brigitte wieder geringfügig besänftigt. Dennoch hielt sie ihren frisch vermählten Ehemann mit immer noch feuchten Augen ganz fest. Sie verließen das Haus Gottes, das sie als Verlobte betraten, als Ehepaar Arm in Arm. Brigitte presste sich dabei an ihren Gatten, um das nach außen hin zu unterstreichen und um sich selbst sicheren Halt zu geben. Dominik war fortan ihr Mann.
Am Eingangsportal der Kirche empfingen sie die wartenden Verwandten, Bekannten und Freunde mit einem Hagel aus Reiskörnern und Wolken von Konfetti. Die Treppe war durchweg mit aromatischen Lorbeerblättern bedeckt. Am Fuße der Treppe hatten die Arbeitskollegen von Brigitte einen Bildteppich aus Blüten gelegt. Als Motiv zeigte er ein Herz, in dessen Mitte zwei ineinander geschlungene Ringe dargestellt waren.
Brigitte wollte um diesen bezaubernden Blütenteppich herum gehen, um ihn nicht beim Betreten zu zerstören. Aber die Umstehenden riefen ihnen zu, sie müssten hindurchgehen, damit dieses Symbol auch wirklich Glück brächte. So hob Brigitte ihren ausladenden Rock an und schritt vorsichtig darüber. Auch Dominik setzte seine Füße nur zögerlich und behutsam in die Blüten und sprang eher darüber, als dass er plump hinein trat.
Als nächstes mussten sie gemeinsam einen kleinen Holzstamm durchsägen, den jemand als Barriere aufgebaut hatte. Danach war der Weg in die Ehe sinnbildlich frei und alle Hindernisse ausgeräumt. Die Gratulanten umringten das Brautpaar sofort, um mit Händeschütteln und Umarmungen ihre Glückwünsche zu überbringen. Für Brigitte erneut eine Tränen treibende, sentimentale Angelegenheit. Die, auf sie schnell hintereinander einstürmenden Empfindungen, konnte Brigitte nicht gebührend erwidern oder verarbeiten. Dominik nahm den Trubel gelassener hin. Er lachte und bedankte sich ohne nervös zu wirken bei jedem, der ihm die Hand schüttelte. Er erschien völlig ruhig bei den Gratulationen.
Brigittes Mutter weinte bei der Beglückwünschung hemmungslos. Ihr Vater wurde das „alles, alles Gute mein Kind“ kaum los, denn seine Stimme drohte ihm den Dienst zu versagen. Stattdessen schloss er seine Tochter liebevoll und ausgiebig in die Arme und drückte sie innig an sich.
Die Großmutter von Brigitte, die diese Hochzeit auch noch miterleben durfte,