„Ich gehe das durchaus erwachsen an“, zischte seine Chefin. „Ich bin ja auch nicht der, der überall herumvögelt und es damit jetzt sogar in den Bericht eines Banküberfalls geschafft hat!“
„Hör mal Bea …“
„Es heißt Frau Kriminalrätin oder gerne auch Frau Doktor Kechlinger“, unterbrach sie ihn schroff. „Such dir was aus!“
Beller zuckte mit den Schultern. „Also gut -Frau Doktor Kechlinger - wo liegt das Problem?“
„Das Problem ist, dass du deinen Schwanz nicht im Griff hast!“
Beller unterbrach. „Es heißt Kriminalober…“
„Schnauze!!!“
Beller hob entschuldigend die Hände und lehnte sich zurück.
„Du bist der Psychologe in meinem Team und hast nichts Besseres zu tun, als bei einem Banküberfall mit Geiselnahme eine der Geiselnehmerinnen flach zu legen?“
„Ich habe streng nach Vorschrift gehandelt!“
„Quatsch!“
„Ich bin als Unterhändler in die Bank rein. Die Geiseln saßen zusammengedrängt im Besucherbereich. Vier Geiselnehmer waren in der Halle verteilt und jeder hatte eine Waffe. Die Frau unter ihnen identifizierte ich als das schwächste Glied. Sie war offensichtlich total zugedröhnt und redete wirres Zeug, also habe ich versucht, sie zu beruhigen und eine Beziehung zu ihr aufzubauen.“
„Na, das ist dir ja gelungen“, sagte seine Chefin spöttisch. „Wann wollt ihr heiraten?“
Beller ignorierte sie.
„Ich hab ihr gesagt, dass das alles doch nicht sein muss, dass sie die Geiseln gehen lassen soll. Sie sei so ein hübsches Mädchen, für das noch alle Wege offen stehen, und so weiter. Du kennst das Programm.“
Doktor Kechlinger sah ihn schweigend an.
„Und so habe ich sie dann auch erreicht“, fuhr er fort. „Sie war auf einmal viel zugänglicher, aber dann hält sie mir die Pistole an den Kopf und zwingt mich in das Büro des Bankdirektors. Ob ich sie wirklich hübsch finde, hat sie mich gefragt und ich habe „ja“ gesagt. Und dann fängt sie an ihre Bluse aufzuknöpfen. Dann fragt sie, ob mir ihre Titten gefallen und wedelt mir damit vor der Nase herum. Und noch ehe ich etwas antworten kann, greift sie mir in den Schritt und spürt meine Erregung.“
„Du hattest einen Ständer? Während einer Geiselnahme? Wie krank bist du eigentlich?“
„Hey, ich bin immer noch ein Mann und ihre Titten waren echt hübsch, also …“
Seine Chefin winkte genervt ab.
„Und warum hast du sie in dem Moment nicht gleich überwältigt? Nahegenug dran warst du ja …“
Beller verzog das Gesicht. „Ich war mir nicht sicher. Sie war wirklich total zu und ich wollte nichts riskieren.“
„Also hast du es ihr erst besorgt und sie dann überwältigt.“
Beller nickte. „In dem Moment war es am einfachsten und das Risiko am geringsten.“
Doktor Kechlinger spitzte die Lippen. „Du weißt, dass sie dich wegen Vergewaltigung angezeigt hat?“
Das war neu für Beller. „Wie bitte? SIE hatte die Waffe! Es war genau umgekehrt. Du glaubst doch diesen Müll nicht?“
Diesmal ließ sie ihm das „du“ durchgehen.
„Was ich glaube, ist irrelevant, aber es wird auf jeden Fall eine Untersuchung geben. Ich kann ihre Anzeige nicht einfach ignorieren.“
Beller verstand. „Dann bin ich jetzt also suspendiert?“
Seine Chefin wiegte den Kopf. „Das wäre eine Möglichkeit, aber du weißt, wie wenig Psychologen wir haben. Das wäre Verschwendung. Was bei der Untersuchung herauskommt, weiß ich nicht, aber bis zu deren Abschluss arbeitest du weiter. Aber du musst die Stadt verlassen. Wenn die Presse von dieser Geschichte Wind bekommt – und das wird sie – brennt hier die Hütte. Da möchte ich gerne sagen können, dass wir bereits reagiert haben.“
Oha. Damit hatte Beller nicht gerechnet. Berlin war sein Lebensmittelpunkt. Hier war er geboren und aufgewachsen, hier hatte er studiert und arbeitete jetzt hier. Er konnte sich nicht vorstellen wegzugehen.
„An was dachtest du?“, fragte er unsicher.
„Du bist einer unserer besten Psychologen und außerdem auf Terrorprävention spezialisiert – da gibt es einige Möglichkeiten.“
Beller schaute auf. Das klang gar nicht so schlecht.
„Die Zeit der großen Veranstaltungen steht an und wir wurden schon mehrfach um Unterstützung gebeten. Ich denke, da bist du ganz gut aufgehoben. Ich schicke dich nach Süddeutschland, wo du bei der Planung und Umsetzung von Anti-Terror-Maßnahmen beraten wirst.“
War das wirklich ihr ernst? Das war keine Bestrafung oder Maßregelung, das war ein Geschenk. Schon seit Jahren wollte er nach Bayern und vor allem aufs Oktoberfest und nun bekam er das dienstlich verordnet.
„Du schickst mich wirklich aufs Oktoberfest?“
„Wer hat etwas vom Oktoberfest gesagt“, erwiderte seine Chefin süßlich lächelnd. „Süddeutschland ist nicht nur Bayern! Du gehst nach Baden-Württemberg – nach Friedrichshafen am Bodensee.“
Beller überlegte angestrengt, was ihm zu diesem Namen einfiel. Nichts.
„Was soll da sein?“
„Dort findet nächste Woche das Seehasenfest statt. Ein Kinderfest mit um die hunderttausend Besuchern. Man sollte sich dort also durchaus Gedanken um die Sicherheit machen.“
Sie will mich nur loswerden, dachte Beller. Ein Kinderfest am Bodensee? Bitte! Sie ist immer noch sauer und schickt mich deshalb in die Provinz, obwohl sie genau weiß, wie ich Berlin liebe. Miststück. Das war nichts weiter als die Rache einer verschmähten Frau. Falsch, im Grunde hatte er sie nicht verschmäht, sondern ihr nur nicht seine volle sexuelle Aufmerksamkeit zukommen lassen. Offensichtlich machte das für sie keinen Unterschied.
„Weitere Möglichkeiten?“
„Wie gesagt: eine vorübergehende Suspendierung wäre auch drin.“
Dr. Kechlinger legte zufrieden die Beine übereinander und beobachtete Bellers Reaktion. Fast konnte man seine Gedanken rattern hören. Immer wieder fixierte er einen willkürlichen Punkt im Raum und setzte zu einer Antwort an, brach aber immer wieder ab und fixierte einen neuen Punkt.
„Also gut“, gab er endlich auf. „Dann packe ich meine Koffer für Friedrichsstadt …“
„Friedrichshafen“, korrigierte ihn seine Chefin. „Ich bestätige noch heute die Anfrage der Kollegen von dort und sage ihnen, dass du am Samstag kommst.“
Beller riss die Augen auf. „Samstag? Ist nicht dein Ernst … Hertha spielt im Stadion …“
„Es ist mein Ernst. Schau dir das blöde Spiel auf Sky an.“
Beller wusste, dass sie den Moment genoss. Seine einzige Freizeitbeschäftigung, die nichts mit Alkohol oder Frauen zu tun hatte, waren seine Aufenthalte im Stadion bei den Heimspielen von Hertha BSC Berlin. Schönen Dank auch.
Beller erhob sich seufzend von seinem Klappstuhl. „Dann ist ja alles geklärt – Frau Dr. Kechlinger …“
Sie nickte. „Das ist es, Kriminaloberkommissar Beller.“
Beller verließ das Büro und ließ die Tür offen.
„Und behalte bitte dieses eine Mal deinen Schwanz in der Hose“, rief sie ihm drohend hinterher. Der Sekretärinnenersatz verschluckte sich an seinem eigenen Lachen und starrte verbissen auf seinen Monitor, als Beller an ihm vorbeilief.
Sven Frey ließ sich erschöpft auf die Treppe vor der Konstanzer Uni sinken und öffnete seinen Rucksack. Die Flasche Meckatzer hatte die eineinhalbstündige Klausur in ihrer Thermohülle wohlgekühlt überstanden. Er ließ den Kronkorken mithilfe seines Feuerzeugs