Schwarzer Seehas. Stefan Mitrenga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Mitrenga
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754107508
Скачать книгу
… ich brauche etwas, das ich dem Führer zeigen kann. Wissen Sie, Hitler ist ein ausgesprochenes Augentierchen!“

      Während Ummenhofer über seine Formulierung lachte, sah sich Liebrecht panisch im Zimmer um. Wie konnte dieser Mann den Führer als Augentierchen bezeichnen? Wenn das irgendwer gehört hatte und meldete, würden sie mit Sicherheit beide im Gefängnis landen.

      Ummenhofer sah seine Bestürzung und winkte ab.

      „Keine Panik, mein Lieber. Der Führer und ich, wir sind … na sagen wir einfach: er schätzt mich als Berater.“

      Liebrecht war immer noch unsicher und sprach unwillkürlich leiser.

      „Und was also brauchen Sie von mir?“

      „Ein funktionierendes Schiff. In sechs Monaten. Schaffen Sie das?“

      Liebrechts Mund stand offen, während er versuchte, die Information zu verarbeiten.

      „Sechs Monate?“, stammelte er. „Wie soll das gehen? Ich habe … ich kann nicht ... also ich müsste …“

      „Faseln Sie nicht“, unterbrach ihn Ummenhofer schroff. „Ich habe schon einiges vorbereitet. Sie müssen nach Danzig. Auf der dortigen Werft steht alles für Ihr Projekt bereit. Falls doch etwas fehlt, werde ich dafür sorgen, dass Sie es bekommen.“

      Liebrecht nickte apathisch.

      „Und noch eins: ich erwarte nicht, dass Sie in diesen sechs Monaten ein komplettes Boot fertigstellen – ich erwarte einen funktionsfähigen Prototyp. Höchstens zwanzig Meter lang?“

      Liebrecht verstand nicht. „Was wollen sie denn mit so einem Spielzeug?“

      „Ich weiß. Laut Ihren Plänen wäre das Boot sechsundsiebzig Meter lang. Ich bezweifle aber, dass Sie das in den sechs Monaten realisieren können. Außerdem denke ich an die Materialkosten … immerhin ist es nur ein Prototyp. Die Hauptsache ist, dass es funktioniert. Bekommen Sie das hin?“

      Liebrechts Gedanken rasten. Auch bei der geringeren Größe wäre es ein immenser Kraftakt. Wenn wirklich alles vorbereitet war, könnte er es schaffen, aber er müsste sofort aufbrechen. Hier hielt ihn nichts. Er war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Er vögelte gelegentlich eine der Sekretärinnen, doch das war nichts Verbindliches.

      „Ich schaffe das“, sagte er nach kurzem Überlegen und spürte erst als er es aussprach, dass er einen Pakt geschlossen hatte.

      Das war vor mehr als sechs Monaten gewesen. Zwei Tage nach ihrem Gespräch hatte er sich auf den Weg nach Danzig gemacht. Ummenhofer hatte nicht übertrieben: in einer kleinen, etwas abseits gelegenen Halle, in der bis vor kurzem noch zivile Yachten gebaut worden waren, fand er alles, was er brauchte. Die Tage verbrachte er auf der Werft, die Nächte in einem hübschen Haus, das nur zehn Gehminuten entfernt lag. Es hatte sogar einen gepflegten Garten, aus dem er sich bedienen konnte. Manchmal fragte er sich, was aus den Bewohnern geworden war.

      Wie er es für die spätere Produktion vorgesehen hatte, wurde auch der Prototyp in Sektionen gebaut. Die Einzelteile, angefertigt nach seinen Plänen, kamen aus ganz Norddeutschland. Das hatte den Vorteil, dass die Ressourcen – Material und Fachkräfte – nicht an einem Ort gebündelt werden mussten. Sollte eine Produktionsstätte ausfallen, womit man im Krieg rechnen musste, konnte deren Arbeit an anderer Stelle fortgeführt werden, ohne dass das Gesamtprojekt gefährdet war. Wenn die Produktion anlief, konnten die Einzelsektionen in der Werft wie am Fließband zusammengesetzt werden.

      Probleme gab es nur mit den Elektromotoren. Die ersten, die geliefert wurden, waren nicht genau austariert und verursachten Vibrationen, die unter Wasser zu Geräuschen geführt und langfristig Schäden an den Verankerungen bewirkt hätten. Erst beim dritten Versuch war die Spulenwicklung des Motors so exakt, dass sich alle Werte innerhalb der Toleranz befanden.

      Liebrecht sah erneut auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Von den Werfthallen her näherte sich langsam ein Fahrzeug mit abgedunkelten Scheinwerfern und parkte einige Meter vor dem Landungssteg. Kurze Zeit tat sich gar nichts, dann wurden die hinteren Türen des Maybach geöffnet. Zwei Männer stiegen aus und kamen auf ihn zu.

      „Schön zu sehen, dass Sie pünktlich sind“, begrüßte ihn Ummenhofer und gab ihm die Hand. Der andere Mann hielt sich im Hintergrund. So wie Ummenhofer trug auch er einen schweren Ledermantel, seinen breitkrempigen Hut hatte er zum Schutz vor dem Wetter tief ins Gesicht gezogen. Als er endlich vortrat, gefror Liebrecht das Blut in den Adern. Er kannte das Gesicht nur zu gut, war es doch in den letzten Wochen ständig auf den Titelseiten der Zeitungen gewesen. Vor ihm stand der erst vor kurzem ernannte Reichskriegsminister. Albert Speer. Ein panischer Reflex wollte seinen Arm nach oben reißen und das „Heil Hitler“ lag ihm schon auf der Zunge, doch Speer ging dazwischen.

      „Wagen Sie es ja nicht, mich zu grüßen“, zischte er bedrohlich. „Es muss ja nicht jeder mitbekommen, wer ich bin.“

      Speers Angst war berechtigt. Die Feinde des Reiches hatten dazugelernt und erst kürzlich zwei hochrangige Offiziere ermordet. Dabei hatten die Heckenschützen auf die Person geschossen, die ihrem Stand gemäß gegrüßt wurde. Seitdem verzichtete man gerne mal auf den Hitlergruß.

      „Wie lange noch?“, fragte Ummenhofer und schaute aufs Meer. Liebrecht schob den Ärmel hoch und sah auf seine Uhr. „Wenn alles glatt läuft noch fünf Minuten.“

      Für diese Demonstration hatte Ummenhofer sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: das U-Boot war vor knapp zehn Stunden in Kolberg gestartet und sollte nun, nach fast zweihundertfünfzig Kilometern Tauchfahrt, vor ihnen auftauchen.

      „Ich habe es übrigens noch etwas spannender gemacht“, sagte Ummenhofer und lächelte schief.

      Liebrecht schreckte auf.

      „Sie haben doch versprochen, dass Ihr Boot so leise ist, dass es nicht geortet werden kann …“

      Liebrecht nickte.

      „… deshalb habe ich zwei unserer besten U-Bootjäger auf seinem Kurs positioniert. Sie hatten die Anweisung das Gebiet feinmaschig nach Unterwasseraktivitäten abzusuchen. Wir werden sehen, ob sie erfolgreich waren.“

      Liebrecht lief trotz der Kälte Schweiß über den Rücken. Dieser Wahnsinnige hatte tatsächlich noch eins draufgesetzt. Und wofür? Nur um vor Speer glänzen zu können? Er schüttelte unmerklich den Kopf. Oder war er nur darauf aus, seine Unfähigkeit zu beweisen? In dem Fall würde er den Tag vermutlich nicht überleben. Er sah erneut auf seine Kienzleuhr. Seine Hand zitterte. Verdammt, das Boot müsste jetzt da sein.

      Auch Speer sah auf seine Uhr. Seine Hand zitterte kein bisschen. Er bedachte Liebrecht mit einem skeptischen Blick von der Seite.

      „Die fünf Minuten sind um“, stellte er fest und wandte seinen Blick hinaus aufs Meer.

      Komm schon, komm schon, komm schon, bettelte Liebrecht in Gedanken und suchte die Wasseroberfläche ab. Er erschrak, als sich ein Schwarm Möwen kreischend in die Luft erhob und davonflatterte. Dort, wo die Vögel eben noch mit den Wellen auf und ab geschaukelt waren, erhob sich ein massiver Schatten aus dem Wasser. Ohne jegliches Geräusch hielt er auf den Landungssteg zu.

      „Endlich“, entfuhr es Liebrecht.

      „Sie haben daran gezweifelt?“, grinste Ummenhofer. „Sie sollten mehr Vertrauen in ihr Boot haben.“

      Das habe ich, du arroganter Sack, ärgerte sich Liebrecht, aber die zusätzlichen U-Bootjäger waren nie Teil des Plans gewesen.

      Das U-Boot war nun noch zwanzig Meter entfernt und tauchte weiter auf. Über seine gesamte Länge ragte es rund einen halben Meter aus dem Wasser. Ein metallisches Schaben war das erste Geräusch, das die Männer am Steg von dem Boot hörten. Kurz darauf flammte ein schwaches Licht auf und eine Person reckte den Kopf aus dem Turm. Mit leisen Worten gab er Anweisungen nach unten und manövrierte das Schiff behutsam an den Landungssteg.

      Speer schritt das Boot in seiner gesamten Länge ab. Natürlich hatte er die Pläne studiert, doch es war etwas anderes, das fertige Objekt zu sehen. Es wirkte riesig und er schauderte bei der Vorstellung, dass dies nur der Prototyp war mit gerade mal einem Viertel der Originalgröße. Ganz anders als die alten U-Boote, bemerkte Speer staunend. Eleganter.